
Abzugs- und Einzugsrecht
Autor: Claudius Gurt | Stand: 31.12.2011
Das Abzugs- und Einzugsrecht regelte die Bedingungen, unter denen die Herrschaft einem Fremden bzw. einem Untertanen die freie Wohnsitznahme zugestand. Dem in eine Grund- oder Leibherrschaft eingebundenen mittelalterlichen Menschen blieb die Freizügigkeit grundsätzlich verwehrt. Zunehmende Mobilität und krisenbedingte Migration führten jedoch zu Lockerungen des ursprünglich rigide gehandhabten Abzugs- und Einzugsrechts. Bis ins 16. Jahrhundert reduzierte es sich auf eine Einkaufs- bzw. Abgabepflicht.
Gemäss einer Verordnung Graf Rudolfs von Sulz von 1513 betrug die Einkaufsgebühr für einen aus der Herrschaft Schellenberg in die Grafschaft Vaduz Einziehenden 8 Gulden und ging je zur Hälfte an den Landesherrn und die jeweilige Nachbarschaft. Jeder aus der Genossenschaft Abziehende musste dieser den 30. Teil seines verkauften Gutes bezahlen. Im gleichen Jahr ermöglichte ein zwischen Kaiser Maximilian und Rudolf von Sulz geschlossener Vertrag den freien Abzug aus der Herrschaft Schellenberg in die Grafschaft Feldkirch und die Gerichte Rankweil und Sulz. Auch zwischen den Gemeinden herrschte hinsichtlich der Ein- und Abzugsgebühren Regelungsbedarf; 1605 z.B. wurde die hälftige Aufteilung zwischen Vaduz/Schaan und Planken festgelegt. Die Walser am Triesenberg mussten bei der Übersiedlung in eine Talgemeinde Ein- und Abzugsgebühren entrichten, beim Wegzug in eine andere Herrschaft aber entfiel das Abzugsgeld (Urbar von 1609). Im Sulzisch-Hohenemsischen Urbar (1617/19) und im Schellenberger Urbar (1698) war das Abzugs- und Einzugsrecht wieder einheitlich geregelt: In der Grafschaft Vaduz bzw. in der Herrschaft Schellenberg war beim Wegzug eine Vermögensabgabe von 10 % an die Obrigkeit und von 5 % an die jeweilige Gemeinde zu entrichten; die Höhe der Einzugsgebühren wurde nicht festgelegt.
Mit der formalen Aufhebung der Leibeigenschaft 1808 gelangte das Prinzip der Niederlassungsfreiheit zum Durchbruch. Das Abzugsgeld in Form der mittelalterlichen Nachsteuer und die Manumissionsgebühr für die Entlassung aus der Leibeigenschaft wurden abgeschafft, die sogenannte Emigrationstaxe zur Erschwerung der Auswanderung dagegen wurde beibehalten. Durch die fürstliche Verordnung von 1810, die innerhalb des Landes Freizügigkeit vorschrieb, wurden die unter den Gemeinden vereinbarten Abmachungen über die Ein- und Abzugsgebühren aufgehoben. Schliesslich fiel 1848 auch die Emigrationstaxe dahin.
Quellen
- Liechtensteinisches Urkundenbuch, Teil I: Von den Anfängen bis zum Tod Bischof Hartmanns von Werdenberg-Sargans-Vaduz 1416, Bd. 4: Aus den Archiven des Fürstentums Liechtenstein, bearbeitet von Georg Malin, Vaduz 1963/1965 (LUB I/4), S. 343f., 466f.
Literatur
- Alois Ospelt: Wirtschaftsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Von den napoleonischen Kriegen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 72 (1972), S. 5–423, hier S. 56–59.
- Otto Seger: Die Leibeigenschaft und ihre Aufhebung, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 64 (1965), S. 143–152.
- Otto Seger: Aus den Zeiten des Herrschaftsüberganges von Brandis zu Sulz und von Sulz zu Hohenems, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 60 (1960), S. 21–70, bes. S. 57.
- Georg Malin: Die politische Geschichte des Fürstentums Liechtenstein in den Jahren 1800–1815, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 53 (1953), S. 5–178, hier S. 102–105.
Zitierweise
<<Autor>>, «Abzugs- und Einzugsrecht», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.