
Almbruderhof
Autor: Herbert Hilbe | Stand: 10.12.2024
Als «Almbruderhof» wird eine von 1934 bis 1938 auf Silum (Gemeinde Triesenberg) bestehende Bruderhofgemeinschaft deutscher Hutterer bezeichnet. Die nach Jakob Hutter (1500–1536) benannten Hutterer sind eine aus der Reformation hervorgegangene Gruppe der Täufer. Sie leben pazifistisch und nach dem Armutsideal in christlich-kommunistischer Gütergemeinschaft.
Die 1920 vom deutschen Theologen Dr. Eberhard Arnold (1883–1935) im hessischen Sannerz gegründete Brudergemeinde schloss sich 1930 den hutterischen Gemeinden an. Sie wurde, wie andere christliche Freikirchen, ab 1933 von den Nationalsozialisten in Deutschland verfolgt. Zwar bestand der «Rhönbruderhof» in Hessen noch bis 1937 fort. Jedoch zogen ab März 1934 rund 85 deutsche und später auch englische Mitglieder mit Genehmigung der liechtensteinischen Regierung nach Liechtenstein. Darunter befanden sich viele Familien, die die eigene Beschulung der Kinder ohne nationalsozialistische Indoktrination fortführen wollten. Ausserdem kamen wehrdienstpflichtige Männer in der Absicht, der Einberufung zur deutschen Wehrmacht zu entgehen. Auch Eberhard Arnold hielt sich zeitweilig im Almbruderhof auf.
Auf Silum nahm die Bruderhofgemeinschaft das bestehende Kurhaus, einige Hütten und umliegendes Land in Pacht. Landwirtschaftlich und handwerklich geschickt, betrieben die Almbruderhöfer trotz der Höhenlage von rund 1500 m ü.M. eine Landwirtschaft mit Treibhaus und unterhielten eine Kunsthandwerkstätte sowie eine Bücherversandstelle des Eberhard-Arnold-Verlags. Um bessere Erträge zu erzielen, mischten sie die lehmige Erde auf Silum mit Sand. An der Liechtensteinischen Landesausstellung 1934 nahmen sie mit kunstgewerblichen Arbeiten teil. Für die ihm angehörenden Kinder führte der Almbruderhof eine eigene, unter der Aufsicht des Landesschulrats stehende Schule. Trotz finanzieller Unterstützung aus dem Ausland blieben die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Ernährungssituation der Gemeinschaft schwierig.
In der liechtensteinischen Bevölkerung, insbesondere in der Standortgemeinde Triesenberg, herrschte neben Wohlwollen auch Skepsis gegenüber den Hutterern, im NS-nahen Liechtensteiner Heimatdienst auch Argwohn. Es wurde befürchtet, dass sich die Angehörigen niederlassen und Grundbesitz erwerben wollten. Die liechtensteinische Regierung erwartete politische Probleme mit Deutschland, sollte von Almbruderhof-Bewohnern die Einberufung verweigert werden, und verlangte deshalb nach 1936, als die Wehrpflicht auch für Deutsche im Ausland griff, die Ausreise wehrdienstpflichtiger Brüder. Im Oktober 1935 lehnten die Triesenberger eine Wegweisungsinitiative mit 122 zu 106 Stimmen knapp ab. Ab 1936 übersiedelten die Almbruderhöfer nach England, wo im selben Jahr der «Cotswold-Bruderhof» gegründet worden war. Die letzten Mitglieder verliessen Liechtenstein im März 1938, in den Tagen des österreichischen «Anschlusses» an NS-Deutschland. 1941, während des Zweiten Weltkriegs, sah sich die Gemeinschaft gezwungen, von England weiter nach Paraguay zu emigrieren.
Die Almbruderhöfer waren die grösste zusammengehörende zivile Gruppe von Flüchtlingen, die in Liechtenstein zwischen 1933 und 1945 Aufnahme fand. Im September 2024 wurde auf Silum ein Gedenkstein angebracht.
Archive
- Liechtensteinisches Landesarchiv, Vaduz.
- Bruderhof Historical Archive (BHA), Walden (NY).
Literatur
- Thomas Nauerth: Zu Gast im «Mittelpunkt Mitteleuropas». Der Almbruderhof in Liechtenstein 1934–1938, in: Jahrbuch Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 117 (2018), S. 31–61.
- Thomas Nauerth: Zeugnis, Liebe und Widerstand. Der Rhönbruderhof 1933–1937, Paderborn 2017.
- Ursina Jud: Liechtenstein und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus. Studie im Auftrag der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg, Vaduz/Zürich 2005, S. 142f.
- Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, Vaduz/Zürich 1997, 22000, Bd. 2, S. 439.
- Georg Kieber: Silum. Für die Alpgenossenschaft Silum zur Einsegnung des St. Wendelin Bildstöckles am 22. September 1991, Vaduz 1992, S. 21–23.
- Johann Beck: Dr Almbruaderhof uf Silum: 1934–1938, in: Heimelige Zeiten, 7. Teil (1989), S. 51–53.
Externe Links
Normdaten
GND: 1086415809
Zitierweise
<<Autor>>, «Almbruderhof», Stand: 10.12.2024, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 14.2.2025.
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