
Archäologie
Autorin: Ulrike Mayr | Stand: 31.12.2011
Die zu den Geisteswissenschaften gehörende Archäologie befasst sich im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft (→ Historiografie) v.a. mit materiellen Sachgütern wie Gebäuden, Gräbern und alltäglichen Gebrauchsutensilien, anhand derer sie z.B. Arbeitsabläufe, Bestattungsrituale oder Migrationsprozesse rekonstruiert. Ihr Untersuchungszeitraum umfasst die Spanne vom ersten Auftreten des Menschen bis in die jüngste Geschichte. Das Alpenrheintal ist Teil eines seit der Jungsteinzeit bedeutenden Handelswegs zwischen dem süddeutschen Raum und Oberitalien. Diese Lage schlägt sich in Liechtenstein in reichen archäologischen Befunden von der Ur- und Frühgeschichte über das Mittelalter bis in die Neuzeit nieder.
Die Anfänge der archäologischen Erforschung Liechtensteins liegen im 19. Jahrhundert 1849 wurden in Schaan die Grundmauern eines römischen Kastells entdeckt und dokumentiert. In den 1860er Jahren glaubte der Vorarlberger Industrielle John Sholto Douglas, am Gupfenbühl in Mauren «Spuren von der Niederlassung des Bronzevolkes» entdeckt zu haben; in Triesen dokumentierte er Teile eines römischen Gebäudes. 1893–96 fand im Bereich der römischen Villa in Nendeln unter der Leitung des Bregenzer Archäologen Samuel Jenny die erste wissenschaftliche Grabung in Liechtenstein statt. Initiiert wurde sie durch Landesverweser Friedrich Stellwag von Carion, der selbst auf dem Areal des römischen Kastells in Schaan grub. Von Carion sammelte als Erster die gefundenen Objekte und legte für ein geplantes Museum ein Inventar an (→ Liechtensteinisches Landesmuseum). Die meisten Funde aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hingegen gelangten ins Ausland, vielfach an das Landesmuseum in Bregenz. 1888 wurde der Verkauf von «antiquarischen Funden» ins Ausland der Bewilligungspflicht unterstellt, Funde mussten fortan innerhalb von drei Tagen der Regierung gemeldet werden.
Mit dem Historischen Verein für das Fürstentum Liechtenstein (HVFL) entstand 1901 eine Institution, die besonders ab 1909 Zufallsfunde sammelte, eine wissenschaftliche Funddokumentation erstellte und wissenschaftliche Grabungen durchführte, erstmals in grösserem Umfang 1927–28 bei der römischen Badeanlage in Schaanwald. Bis zum Erlass des Denkmalschutzgesetzes 1944 betreute der HVFL die archäologischen Belange in Eigenregie, später im gesetzlichen Auftrag der Regierung. 1928–65 erlebte die Archäologie in Liechtenstein durch die Arbeiten von Adolf Hild, David Beck und Felix Marxer ihre erste Blüte. In dieser Zeit wurden, z.T. unter Beizug ausländischer Fachleute wie Benedikt Frei, Emil Vogt und Hans-Rudolf Sennhauser, die international bekannten prähistorischen Fundstellen auf dem Burghügel Gutenberg in Balzers sowie auf dem Eschnerberg (Lutzengüetle, Borscht, Malanser, Schneller), die Obere Burg Schellenberg, das Kastell und die spätantike Höhensiedlung auf dem Krüppel in Schaan untersucht und z.T. publiziert.
Ende der 1960er Jahre setzte eine Konzentration auf Notgrabungen ein. Grössere Grabungen fanden 1969–77 durch Georg Malin auf dem Kirchhügel Bendern (Frühmittelalter) und 1973/75 beim römischen Gutshof in Nendeln sowie durch Jakob Bill 1978–80 auf der Unteren Burg Schellenberg statt. 1982 stellte der HVFL erstmals einen vollamtlichen Archäologen als wissenschaftlichen Betreuer der archäologischen Forschung an, woraus die allmählich ausgebaute «Fachstelle Archäologie» entstand. Grabungsschwerpunkte der 1980er und 90er Jahre waren der Runde Büchel in Balzers (Eisenzeit bis Frühmittelalter), der Burghügel von Gutenberg (Eisenzeit bis Spätmittelalter), die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Mauren (Römerzeit bis Mittelalter), die Pfarrkirche St. Florin in Vaduz (Mittelalter) und das Amtshaus in Balzers (Römerzeit). Zudem fand eine v.a. durch Kirchensanierungen bedingte Hinwendung vom urgeschichtlich-römischen Bereich zu Mittelalter und Neuzeit statt.
Als verfeinerte wissenschaftliche Methoden und eine verstärkte Bautätigkeit zu einer Vervielfältigung der archäologischen Aufgaben führten, sah sich der HVFL nicht mehr in der Lage, die Verantwortung für die archäologische Forschung in fachlicher und personeller Hinsicht zu tragen, zumal der Schutz des archäologischen Erbes eine hoheitliche Aufgabe darstellt. Seit 1999 ist daher die «Fachstelle Archäologie» zusammen mit der Denkmalpflege als eigene Abteilung dem Hochbauamt angeschlossen. 2005 wurde das Team durch eine Restauratorenstelle ergänzt; weitere für die Archäologie wichtige Disziplinen wie Dendrochronologie, Archäobotanik und -zoologie, Anthropologie und Numismatik (→ Münzfunde) werden nach Bedarf durch Projektaufträge mit einbezogen. Eine Hauptaufgabe der Fachstelle ist die Überwachung der Bautätigkeit: Obwohl nach dem Denkmalschutzgesetz Meldepflicht für archäologische Beobachtungen besteht, müssen regelmässige Kontrollen durchgeführt werden. Die Fachstelle ist gezwungen, sich auf Notgrabungen zu beschränken; diese werden erst vorgenommen, wenn Kulturgut durch Bodeneingriffe gefährdet ist. Das Augenmerk gilt allen Epochen von der Urgeschichte bis zur Frühindustrialisierung. Zudem werden die EDV-Inventarisierung der Fundobjekte, die Aktualisierung und Betreuung der Fundstellen sowie Auswertungen und Publikationen vorangetrieben.
Quellen
- Jahresberichte Archäologie, in: Rechenschafts-Bericht der Regierung des Fürstentums Liechtenstein an den Hohen Landtag, Vaduz 1994– (diverse Titelvarianten).
- Jahresberichte des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, in: Jahrbuch des Historischen Vereins, Bd. 1 (1901)–Bd. 98 (1999).
Literatur
- Klaus Biedermann: 1901 bis 2001. Die ersten hundert Jahre des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 100 (2001), S. 27–158, bes. S. 99–118.
- Ergrabene Geschichte. Die archäologischen Ausgrabungen im Fürstentum Liechtenstein 1977–1984, Ausstellung im Liechtensteinischen Landesmuseum Vaduz 31. März–31. Oktober 1985, hg. vom Historischen Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Redaktion: Jakob Bill, Vaduz 1985.
- Felix Marxer: Archäologie in Liechtenstein, in: Archäologie im Fürstentum Liechtenstein, Basel 1978 (= Helvetia Archaeologica 9, H. 34/36), S. 77–88.
Zitierweise
<<Autor>>, «Archäologie», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.
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Zitierweise
<<Autor>>, «Archäologie», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.