
Aussenwirtschaft
Autor: Hubert Büchel | Stand: 31.12.2011
Als Aussenwirtschaft wird der Waren-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und sonstige Wirtschaftsverkehr mit fremden Wirtschaftsgebieten sowie der Verkehr mit Auslandswerten bezeichnet. Durchgehende Datenreihen über die liechtensteinische Warenaus- und -einfuhr liegen erst ab 1950 vor; Daten für den Kapitalverkehr fehlen, doch gibt die Bankstatistik Hinweise.
Die traditionelle ökonomische Aussenverflechtung Liechtensteins beruhte völlig auf der Landwirtschaft. Vor der Mitte des 19. Jahrhunderts war Liechtenstein von Zollmauern umgeben (→ Zollwesen), welche die Ausfuhr der wichtigsten liechtensteinischen Exportgüter Vieh (Rindvieh, Pferde, Kleinvieh) und Wein erschwerten; Absatzgebiete waren v.a. Vorarlberg, St. Gallen und Graubünden. Daneben wurden Holz, Flachs, Streue, Kartoffeln, etwas Gips und Ziegel ausgeführt. Für die Versorgung der Bevölkerung von grosser Bedeutung war die Einfuhr von Salz, Getreide und gewerblichen Produkten. Eine massgebliche Änderung brachte 1852 der Zoll- und Steuereinigungsvertrag mit Österreich. Der nun offen stehende Markt der k.k. Monarchie verbesserte nicht nur die Situation für die landwirtschaftlichen Exporte (Ende 19. Jahrhundert wurden jährlich 600–900 Stück Vieh, auch Milchprodukte und Obst ausgeführt), sondern schuf Absatzmöglichkeiten für die in Nendeln produzierte Keramik (Kacheln, Röhren) und die seit den 1860er Jahren entstehende Textilindustrie (→ Industrialisierung). Im Ersten Weltkrieg brach Letztere unter der Handelsblockade der Ententemächte zusammen, während die Viehausfuhr nach Österreich und Deutschland vorübergehend deutlich anstieg.
Nach der Kündigung des Zollvertrags mit Österreich 1919 brachte erst der Zollanschlussvertrag mit der Schweiz ab 1924 wieder die Integration in einen grösseren Markt. Die ebenfalls in dieser Zeit erfolgte Übernahme des Schweizer Frankens (→ Geld) wurde zu einem wichtigen Faktor des späteren Aufschwungs der liechtensteinischen Aussenwirtschaft, die sich jedoch in der Zwischenkriegszeit kaum erholte. Zwar blieb die Viehausfuhr – nun v.a. in die Schweiz – wichtig, erlebte in den 1930er Jahren aber z.T. massive Einbrüche (v.a. 1932–36). Auch der seit dem 19. Jahrhundert bedeutende, Kaufkraft ins Land bringende Export von Arbeitskraft (→ Saisonarbeit) stockte, besonders in den Jahren 1933–38. Ebenso brach der in den 1920er Jahren das Vorkriegsniveau nicht mehr erreichende Export der (Textil-)Industrie nach 1929 ein. Er erholte sich erst nach 1941 dank neuen Industrien, u.a in dem auch für den deutschen Kriegsbedarf produzierenden Metall- und Maschinenbereich.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein anhaltender, hauptsächlich von der Aussenwirtschaft getragener Aufschwung ein. Das ausserordentliche Wachstum und das hohe Wohlstandsniveau der liechtensteinischen Volkswirtschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren in erster Linie durch Erfolge auf ausländischen Märkten möglich; der kleine Binnenmarkt bot keine entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten. So übertrafen die Ausfuhrwerte der Exportindustrie das Bruttoinlandsprodukt z.B. im Jahr 2001 um 5,2 % (105,2 % des BIP). Die sich nun diversifizierende liechtensteinische Industrie spezialisierte sich auf vielfach hochtechnologische Nischenprodukte, die sie auf den Weltmärkten vertrieb. Der Wert der Industrieexporte versechsfachte sich in den 1950er und vervierfachte sich nochmals in den 1960er Jahren. Hintergrundbedingungen dieser Entwicklung waren v.a. der begrenzte Arbeitsmarkt mit hohem Lohnniveau, die entsprechend notwendige wie auch attraktive Anwerbung qualifizierter ausländischer Arbeitskräfte, das zu niedrigen Zinsen erhältliche Kapital und die Notwendigkeit, mit grossem Einsatz von Forschung und Entwicklung eine hohe Produktqualität zu erreichen.
Die liechtensteinische Aussenwirtschaft ist neben der Export- auch von einer hohen Importabhängigkeit gekennzeichnet: Mangels Rohstoffen müssen diese und sonstige Vorprodukte eingeführt werden. Dasselbe gilt für die Energie; nur in den 1950er Jahren wurde Strom exportiert. Fast vollständig auf Importe angewiesen ist Liechtenstein bei Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs. Während der Anteil des regional verflochtenen Gewerbes an der Aussenwirtschaft bescheiden blieb, wuchs der Export von Dienstleistungen stark an, v.a. im Bereich der Finanzdienstleistungen, in geringerem Ausmass auch im Tourismus.
Diese Entwicklung vollzog sich im Rahmen einer liberalen Wirtschaftspolitik mit günstigem Steuerklima und fehlender staatlicher Unterstützung (Liechtenstein kennt keine Exportförderung). Die Aussenwirtschaftsinteressen Liechtensteins wurden auf der Basis des Zollvertrags von der Schweiz vertreten, auf multilateraler Ebene besonders durch ein Zusatzprotokoll im Rahmen der 1960 gegründeten EFTA und ein Zusatzabkommen zu den EG-/EGKS-Verträgen der Schweiz 1972. 1991 wurde Liechtenstein eigenständiges EFTA-Mitglied, 1995 trat es bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Zoll- und des Währungsvertrags mit der Schweiz dem EWR-Abkommen bei. 1995 dokumentierte Liechtenstein mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO sein Interesse an wirtschaftlicher Integration auch auf globaler Ebene.
Der Einbezug Liechtensteins in das schweizerische Zollgebiet bringt Probleme bei der Abgrenzung des Aussenhandels. Statistische Daten liefert die schweizerische Oberzolldirektion über die sogenannten Direktimporte und -exporte, also die an allen schweizerischen Grenzzollstellen erfassten Güterlieferungen mit Liechtenstein als Bestimmungs- bzw. Herkunftsland. Eine weitere Quelle ist die Datensammlung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) bei ihren Mitgliedsunternehmen: Diese Umsatzwerte dürften die effektive Aussenhandelsverflechtung und die Endabnehmermärkte treffender abbilden.
Als Wirtschaftsregion hat der EWR mit über 40 % der Ausfuhren grosse Bedeutung (LIHK-Zahlen). Die weltweite Absatzausrichtung zeigt sich bei einer Aufschlüsselung nach den umsatzstärksten Abnehmerländern: An erster Stelle standen 2003 die USA (bis 1998 Deutschland), gefolgt von Deutschland, der Schweiz und weiteren europäischen Ländern. Stark vertreten waren auch asiatischen Abnehmer mit Hongkong und Taiwan unter den zehn Hauptabnehmern.
Quellen
- Statistisches Jahrbuch Fürstentum Liechtenstein, hg. vom Amt für Volkswirtschaft, Vaduz 1977– (seit 2009 Statistisches Jahrbuch Liechtensteins, hg. vom Amt für Statistik).
- Jahresbericht der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer 1961–2003.
Literatur
- Christoph Maria Merki: Wirtschaftswunder Liechtenstein. Die rasche Modernisierung einer kleinen Volkswirtschaft im 20. Jahrhundert, Zürich/Triesen 2007.
- Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, 2 Bände, Vaduz/Zürich 1997, 22000.
- Alois Ospelt: Wirtschaftsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Von den napoleonischen Kriegen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 72 (1972), S. 5–423.
Zitierweise
<<Autor>>, «Aussenwirtschaft», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 23.5.2025.