Bildungsstätten im Ausland

Autorin: Annette Bleyle | Stand: 31.12.2011

Vor der Gründung der Landesschule 1858 in Vaduz konnten Liechtensteiner eine über die Grundschule hinausgehende Ausbildung nur im Ausland absolvieren. Für die Erlangung der Maturität waren liechtenische Knaben bis zur Gründung des Privatgymnasium Collegium Marianum 1937 (→Liechtensteinisches Gymnasium) und liechtensteinische Mädchen bis 1968 auf Bildungsstätten im Ausland angewiesen (→Mädchenbildung). Ihre Bedeutung hat infolge des Ausbaus des höheren Schulwesens in Liechtenstein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwar nachgelassen, das Land blieb aber bis in die Gegenwart besonders hinsichtlich der Berufsbildung, der Ausbildung der Lehrer und der Hochschulen fast vollständig auf Bildungsstätten im Ausland angewiesen. In der Regel werden Plätze für liechtensteinische Schüler und Studierende an den entsprechenden Einrichtungen durch finanzielle Leistungen des Landes gesichert.

Gymnasien

Die älteste für den Raum Liechtenstein relevante höhere Schule war die um 1400 gegründete Lateinschule in Feldkirch, an der ab dem 15. Jahrhundert Studenten aus Vaduz-Schellenberg belegt sind. Feldkirch kommt bis in die Gegenwart für Liechtenstein grosse Bedeutung als Schulort zu. Lange Zeit am wichtigsten war das 1649 gegründete Jesuitengymnasium (ab 1773 Staatsgymnasium, seit 1962 Bundesgymnasium), das seit dem 17. Jahrhundert von Schülern aus dem Gebiet Liechtenstein besucht wird. Bedeutend war auch das 1856 bis 1979 bestehende Privatgymnasium Stella Matutina. 2005 gingen mehr als 10 % der liechtensteinischen Gymnasiasten in Vorarlberg zur Schule, davon über ein Drittel im 1854 eröffneten Kollegium Bernardi der Zisterzienserabtei Mehrerau in Bregenz, dem traditionell Bedeutung für Liechtenstein zukommt. Aufgrund Platzmangels können seit 2006 keine neuen Schüler mit Wohnsitz in Liechtenstein in öffentlichen vorarlbergerischen Gymnasien eintreten.

Liechtensteinische Knaben aus dem Mittelstand besuchten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft von Orden geführte Internate in Österreich, meist aber in der katholischen Innerschweiz, v.a. das Kollegium Maria Hilf (SZ), im Weiteren die Stiftsschule Disentis (GR) sowie die Kollegien Sarnen (OW) und St. Fidelis Stans (NW). Das ebenfalls von Liechtensteinern besuchte Gymnasium Untere Waid in Mörschwil (SG) führte 1935–39 und 1954–73 Klassen auf Gutenberg in Balzers. Von grosser Bedeutung war bis zur Reform der gymnasialen Oberstufe in Liechtenstein 2001 auch die 1963 gegründete Kantonsschule Sargans (SG). Gemäss einem Abkommen mit dem Kanton St. Gallen von 1966 zur Platzsicherung übernimmt Liechtenstein das Schulgeld aller liechtensteinischen Schüler, die in Sargans Abteilungen besuchen, welche es im Fürstentum nicht gibt.

Sofern Mädchen (→Mädchenbildung) aus Liechtenstein Bildungsstätten im Ausland besuchten, waren dies bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts meist von religiösen Kongregationen getragene Mädchen-Internate in der Schweiz. Von diesen boten bis Mitte des 20. Jahrhunderts nur wenige einen Kurs an, der zur Maturität führte (z.B. das Theresianum in Ingenbohl, SZ). Meist handelte es sich bei ihnen um höhere Töchter- bzw. Sekundarschulen wie das Pensionat Maria vom Berg in Menzingen (ZG), das Institut Stella Maris in Rorschach (SG) und das Institut am Rosenberg in St. Gallen. Vor allem in neuerer Zeit sind das Institut St. Josef in Feldkirch und das Sacré Cœur Riedenburg, ursprünglich eine höhere Töchterschule und später ein Mädchen-Gymnasium in Bregenz, von Bedeutung. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlor die geschlechterspezifische Auswahl von Bildungsstätten im Ausland an Relevanz.

Hochschulen

Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war es nur wenigen Liechtensteinern möglich, ein Hochschulstudium zu absolvieren. Gründe dafür können im Fehlen eines Gymnasiums bis 1937 und v.a. in der Armut grosser Teile der Bevölkerung vermutet werden. Stipendien schufen nur bedingt Abhilfe. Zudem gab es für Akademiker mit Ausnahme der Pfarrer kaum Arbeitsmöglichkeiten. Bei der Wahl der Studienorte spielten politische und religiöse Faktoren eine wichtige Rolle. So bestanden im 18. und 19. Jahrhundert Vorlieben der Liechtensteiner für deutsche bzw. österreichische Hochschulen und ab dem 20. Jahrhundert für schweizerische Universitäten; protestantische Hochschulen wurden bis ins 20. Jahrhundert kaum besucht. Die fünf ersten bekannten nichtadeligen Studenten aus dem Gebiet Liechtenstein sowie zwei Mitglieder der Familie Brandis finden sich zwischen 1435 und 1457 an der Universität Heidelberg, der in dieser Zeit nächstgelegenen deutschsprachigen Hochschule. Zwischen 1461 und 1508 waren vier Studenten aus der Grafschaft Vaduz in Leipzig, Erfurt und Wittenberg immatrikuliert. Nach der Auflösung des Deutschen Bunds 1866 studierte die Mehrzahl der liechtensteinischen Studenten in Österreich. Beamte, Ärzte (1874–1924) und Richter mussten bis ins 20. Jahrhundert in Österreich studiert haben, um in Liechtenstein eine Stelle zu erhalten. Die für Liechtenstein bedeutendste österreichische Universität ist Innsbruck, wo ab 1679 liechtensteinische Studenten belegt sind. Wien spielte als Studienort v.a. für Mitglieder des Fürstenhauses eine wichtige Rolle, ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber auch für Studierende aus Liechtenstein. Der freie Zugang zu österreichischen Hochschulen für liechtensteinische Studierende ist vertraglich gesichert (1976, 1982, 1996). Liechtenstein und Österreich zahlen gegenseitig keine Platzkostenbeiträge, Schüler im jeweils anderen Land kein Schulgeld. Liechtenstein unterstützt aber verschiedene österreichische Bildungseinrichtungen finanziell.

Obwohl im 19. Jahrhundert einige Liechtensteiner in schweizerischen Internaten maturierten, spielten die schweizerischen Universitäten bis ins 20. Jahrhundert keine grosse Rolle für Liechtenstein, so waren noch 1917 nur vier Liechtensteiner in der Schweiz immatrikuliert. Das lag an der politischen Ausrichtung Liechtensteins auf Deutschland und später bis zum Abschluss des Zollanschlussvertrags mit der Schweiz 1923 auf Österreich. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist Zürich (Universität und ETHZ) der wichtigste Studienort für Liechtenstein. An der Hochschule St. Gallen (HSG) studierten die ersten Liechtensteiner ab den späten 1940er Jahren. Besondere Beziehungen pflegte Liechtenstein mit der katholischen Universität Freiburg i.Üe. In den letzten Jahrzehnten haben die Universitäten Bern und Basel, die bis in die 1960er Jahren kaum von liechtensteinischen Studenten besucht wurden, an Bedeutung gewonnen. 1981 trat Liechtenstein der schweizerischen «Interkantonalen Vereinbarung über Hochschulbeiträge» (1999 abgelöst von der «Interkantonalen Universitätsvereinbarung») und 1999 der «Interkantonalen Fachhochschulvereinbarung» bei. In diesen Abkommen wird der Hochschulzugang für Kantone ohne eigene Universität bzw. Fachhochschulen sowie für Liechtenstein durch finanzielle Beiträge gesichert und geregelt. Liechtenstein ist seit 1968 Konkordatspartner der Interstaatlichen Hochschule für Technik Buchs (NTB), seit 1986 der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft in Zollikofen (BE) und war 2000–06 Konkordatspartner der Hochschule Wädenswil (ZH).

Nachdem im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohl noch fast die Hälfte der liechtensteinischen Studenten Hochschulen in Deutschland besucht hatten, sank der Anteil während der Zeit des Zollvertrags mit Österreich (1852–1919) auf ungefähr ein Fünftel bis ein Viertel. Im 20. Jahrhundert nahmen deutsche Universitäten in der Gunst liechtensteinischen Studierender mit grossem Abstand hinter der Schweiz und Österreich den dritten Rang ein. Historisch gesehen waren v.a. die katholischen Universitäten im Süden Deutschlands von Bedeutung, in der Gegenwart sind die besuchten Hochschulen breit gestreut. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es einige liechtensteinische Studenten an den bayerischen Universitäten Dillingen und Ingolstadt. In Freiburg i.Br. studierten mehrere Generationen des Herrschergeschlechts Sulz. Nichtadlige aus dem Raum Liechtenstein sind dort erst ab Ende 18. Jahrhundert verzeichnet. 1988 trat ein Vertrag Liechtensteins mit der Universität Tübingen über die wissenschaftliche Zusammenarbeit, die Zulassung von Liechtensteinern zum Studium und die Anerkennung der Studienabschlüsse der Universität Tübingen in Liechtenstein in Kraft.

Vom 18. Jahrhundert an studierten mehrere angehende und neu geweihte liechtensteinische Priester in Rom, hauptsächlich Theologie und Philosophie. Die für Liechtenstein wichtigste Ausbildungsstätte für Seelsorger ist das 1806 gegründete Priesterseminar in Chur.

Die Zahl der liechtensteinischen Studenten sowie der besuchten Hochschulen hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark zugenommen. 1943 gab es 22 liechtensteinische Studenten, 1979 deren 173 und 2005 deren 610 (nur Schweiz, Österreich und Deutschland, ohne Fachhochschulen). Im Wintersemester 2005/06 besuchten 65 % der damals 873 liechtensteinischen Studierenden Universitäten, Hochschulen oder Fachhochschulen in der Schweiz, 21 % solche in Österreich, 12 % studierten in Liechtenstein und 2 % in Deutschland. Zudem gibt es vereinzelt liechtensteinische Studierende an Hochschulen anderer Länder.

Eine 1969 vom Landesschulrat gegründete Hochschulkommission sollte u.a. Kontakte zu liechtensteinischen Studenten im Ausland aufrechterhalten und akademische Berufsberatung bieten. Die Kommission stellte ihre Tätigkeit mit der Zeit ein, ohne förmlich aufgelöst worden zu sein. Die liechtensteinische Studenten im Ausland schliessen sich häufig in Vereinen zusammen (z.B. in Innsbruck, St. Gallen und Freiburg i.Üe.).

An Bildungsstätten im Ausland tätige liechtensteinische Pädagogen sind seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts belegt, v.a. in der Schweiz und in Österreich.

Quellen

  • Rechenschaftsbericht der Regierung an den Hohen Landtag 1922–.

Literatur

  • Das liechtensteinische Bildungswesen, hg. vom Presse- und Informationsamt, 22002, S. 52–55.
  • Annette Maria Bleyle: Studien zur Bildungsgeschichte der Feldkircher und Liechtensteiner am k. k. Gymnasium in Feldkirch, 1850–1900, in: Bausteine zur liechtensteinischen Geschichte. Studien und studentische Forschungsbeiträge, hg. von Arthur Brunhart, Bd. 3: 19. Jahrhundert: Modellfall Liechtenstein, Zürich 1999, S. 163–216.
  • Graham Martin: Das Bildungswesen des Fürstentums Liechtenstein. Nationale und internationale Elemente im Bildungssystem eines europäischen Kleinstaates, Zürich/Sabe 1984.
  • Graham Martin: Liechtensteiner Pädagogen im Ausland, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 67 (1967), S. 111–180.

Zitierweise

<<Autor>>, «Bildungsstätten im Ausland», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.