Brandis, von

Autor: Dieter Stievermann | Stand: 31.12.2011

Hochfreies Adelsgeschlecht. Die Freiherren von Brandis besassen 1416–1510 die Grafschaft Vaduz und den südlichen Teil der Herrschaft Schellenberg, ca. 1430–1510 auch deren nördlichen Teil.

Mit Konrad I. (erwähnt 1239–57) treten die Freien (oder später Freiherren) von Brandis erstmals in Erscheinung. Es gibt aber gute Gründe, einen Zusammenhang mit den im 12. Jahrhundert genannten Herren von Lützelflüh zu vermuten. Das ursprüngliche Herrschaftsgebiet der Brandis war das obere und mittlere Emmental mit der Burg Brandis bei Lützelflüh (BE) als Zentrum. Die Ehe Mangolds I., eines Enkels Konrads I., mit Margaretha von Nellenburg eröffnete Möglichkeiten zu einer Herrschaftsbildung im Bodenseeraum, die unter Mangolds Söhnen noch zunahm. Nur der älteste Sohn Thüring II. († um 1368) war noch eindeutig auf die alte Stammlandschaft ausgerichtet: Über seine Gattin Katharina von Weissenburg erhielt er Besitzungen im Berner Oberland. Thürings II. Bruder Wolfhart I. orientierte sich stärker nach Osten: Seine Ehe mit Agnes von Montfort-Feldkirch (Witwe des Grafen Hartmann III. von Werdenberg-Sargans-Vaduz) eröffnete neue Chancen, die zu einem Aufstieg führten, zumal auch der Mannesstamm Thürings II. mit dessen Söhnen enden und so der Besitz im Westen ebenfalls an die Nachkommen Wolfharts I. fallen sollte.

Die zahlreichen Vertreter der vierten Generation waren beherzt und erfolgreich im Zugreifen. Die Möglichkeiten wurden weiterhin vergrössert durch die jüngeren geistlichen Brüder Eberhard (1357–79 Abt des bedeutenden Benediktinerklosters auf der Reichenau) und Heinrich II. (1348–57 Abt in Einsiedeln, 1357–83 Bischof von Konstanz). Zwei weitere Brüder waren im Deutschen Orden ebenfalls geistlich versorgt. Eine auffallende Solidarität aller Brüder, die auch in späteren Generationen zu beobachten ist, trug ihre Früchte – nicht ohne schwerste Kämpfe und grausamste Exzesse, wie sie auch für diese unruhige Zeit nicht selbstverständlich sind. Die immer stärker aufkommende Geldwirtschaft führte zu einer Mobilisierung und Liquidierung von Rechten aller Art, die kaum einen Unterschied zwischen weltlichen und geistlichen Besitztiteln machte. Der alte Adel kämpfte mit allen Mitteln um sein wirtschaftliches Überleben, und die Brandis gehörten zu denen, die sich dabei behaupteten. Von besonderem Interesse, weil mit längster Nachwirkung, ist die Festsetzung in Vaduz und den damit verbundenen Herrschaft. Finanzielle Dauerkrisen und eine fehlende Solidarität in den Dynastien Werdenberg und Montfort ermöglichten den eingeheirateten Brandis ihren grossen Erfolg. Durch die erste Ehe ihrer Mutter Agnes waren Ulrich Thüring und Wolfhart IV. Stiefbrüder von Graf Heinrich V. (I.) von Werdenberg-Sargans-Vaduz (†1397) und dessen Bruder Hartmann IV. (II.), Bischof von Chur (†1416). Die Mutter lebte offenbar bis Anfang des 15. Jahrhunderts und unterstützte sicherlich die Absichten ihrer jüngeren Söhne aus der Brandis-Ehe. Bereits 1391 verpfändete Graf Heinrich die Herrschaft Blumenegg an seinen Stiefbruder Ulrich Thüring, der sie dann an Wolfhart IV. gab. Wohl 1396 von Graf Heinrich und Bischof Hartmann, 1399 dann von Bischof Hartmann konnten Ulrich Thüring und Wolfhart IV. Pfandverschreibungen auf Vaduz erhalten. Als Bischof Hartmann 1416 starb, war Blumenegg infolge eines Vermächtnisses von 1412 bereits unmittelbarer Besitz der Brandis, durch einen 1416 getätigten Kauf ebenso die südlichen Hälfte von Schellenberg (Eschnerberg); Vaduz galt formell zwar weiterhin nur als Pfand, doch zeigten sich die verarmten Verwandten von Werdenberg-Sargans zur Einlösung nicht in der Lage. Auch konnten sich Ansprüche der Vögte von Matsch auf Vaduz nicht durchsetzen. Es war insgesamt ein kompliziertes, aber mit Erfolg unauflösbar geknüpftes Geflecht von finanz-, erb- und schenkungsrechtlichen Transaktionen, durch das die Brandis diesen Besitz errungen hatten.

Die neuen Herrschaften waren aber gefährdet. Der gefährliche Zwiespalt von überkommener herrschaftlicher Ordnung und sich ausdehnenden genossenschaftlich-bündlichen Gegenbewegungen wie auch städtischen Ambitionen brachten im ganzen Raum den schwachen Dynastenadel häufig genug in existenzielle Bedrängnis, die darüber hinaus bei den meisten Familien noch durch Kinderreichtum und Finanznot im Zusammenhang der zunehmenden Geldwirtschaft verstärkt wurde. So traten 1405 die Leute am Eschnerberg in den Bund ob dem See ein, der 1408 nach Niederlagen aber zerbrach. Der Adel suchte sein Heil in der Rittergesellschaft mit St. Jörgenschild oder in Anlehnung an Österreich, das jedoch selbst bedrohlich expandierte. So war häufig – nicht zuletzt bei den Brandis – eine Schaukel- bzw. Rückversicherungspolitik zu beobachten, zu der auch vielfache Beziehungen zu Bünden und Eidgenossen gehörten. Dass die Brandis zu Beginn des 15. Jahrhunderts ihre Stellung um Vaduz vielleicht noch nicht als gesichert ansahen, zeigt sich möglicherweise darin, dass Wolfhart IV. 1411 seine grosse Familienjahrtagstiftung in Rüegsau errichtete. Erleichtert wurde das Festsetzen der Brandis am jungen Rhein durch den erbenlosen Tod von Ulrich Thüring. So ging alles – einschliesslich der alten Herrschaft Brandis – auf Wolfhart V., den einzigen Erbsohn Wolfharts IV., über.

Als Wolfhart V. 1430 von König Sigmund mit dem Blutbann im Walgau (Blumenegg), zu Vaduz und am Eschnerberg (Schellenberg) belehnt wurde, konnte der Übergang als im Wesentlichen abgeschlossen und gesichert erscheinen. Finanzielle Spielräume, u.a. durch den Einsatz der alten Herrschaft Brandis (zunächst Verpfändungen, endgültiger Verkauf 1447 bzw. 1455), und die Ehe mit Verena von Werdenberg-Heiligenberg-Bludenz ermöglichten es Wolfhart V. dann auch, die andere Hälfte der Herrschaft Schellenberg an sich zu bringen. Einen weiteren wichtigen Zuwachs bedeutete die Herrschaft Maienfeld (hier entstand das Schloss Brandis), die über Erbrechte seiner Gattin aus dem Toggenburger Erbe gewonnen werden konnte (1437/46). Mit dem Erwerb Maienfelds waren allerdings die Grenzen der Expansionsmöglichkeiten in einem politisch sensiblen Raum erreicht. Die Richtungen, auf die Rücksicht zu nehmen war, zeigen sich exemplarisch in den Bindungen Wolfharts V.: traditionelles Berner Burgrecht (das bedeutete nach dem Verkauf der Stammherrschaft vor allen Dingen Rückhalt), österreichicher Vogt zu Feldkirch (damit eine Vergrösserung des Wirkungskreises und beträchtliche Einnahmen, aber auch Zusammenarbeit mit einer Hegemonialmacht, durch die sich Feindschaften ergeben konnten und die streckenweise auch unmittelbar Vaduz bedrohte), Landmann von Glarus und Schwyz für Maienfeld (mit sowohl Schutz- als auch Konfliktchancen) und schliesslich die Beziehungen zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (mit mehr Verpflichtungen als unmittelbarem Rückhalt). Wichtiger waren vielleicht die Adelsorganisationen (St. Jörgenschild, seit 1488 Schwäbischer Bund), ganz gewiss aber das grosse Familiengeflecht, über das nicht nur Erbschaften hereinkamen, sondern das es v.a. ermöglichte, kirchliche Strukturen für Einfluss, Versorgung und Geld zu nutzen – dabei spielte seit der Mitte des 15. Jahrhunderts universitäre Ausbildung eine Rolle. Bereits im Alten Zürichkrieg erfuhr Vaduz einen Vorgeschmack seiner problematischen Lage. Im Streit zwischen Österreich und Eidgenossen konnte die Neutralität nicht aufrechterhalten werden. 1444 sagte Wolfhart V. Glarus die Fehde an. Der eidgenössische Rachezug verwüstete Anfang 1445 die Grafschaft Vaduz und Sargans, im Februar 1446 Vaduz und Maienfeld. Am 6.3.1446 kam es zum grossen Sieg der Eidgenossen bei Ragaz, wo Wolfhart V. viele seiner Leute und das Banner verlor. Die Feindseligkeiten wurden erst im Juni eingestellt. Das Burgrechtsverhältnis mit Bern blieb bis 1452 unterbrochen.

An der Tatsache, dass von Wolfharts V. sechs legitimen Söhnen nur einer standesgemäss verheiratet wurde, wird auch deutlich, dass seine Besitzungen auf dem Hintergrund der wachsenden Anforderungen und Probleme der Zeit nicht übermässig waren und bewusst auch ihr Zusammenhalt angestrebt wurde. Neben dem (unehelichen) Albert brachte er zwei Söhne in wichtige kirchliche Stellungen: Rudolf (1459–67 Domdekan zu Chur) und Ortlieb – hier konnte an werdenbergerischen Traditionen angeknüpft werden, auch die Beziehungen über Maienfeld spielten hinein. Noch in seinem Todesjahr 1456 trat Wolfhart V. mit seinen Söhnen in ein Dienstverhältnis zu Österreich, das dann von Sigmund I. und von Ulrich weiter ausgebaut wurde, während Wolfhart VI. sich offenbar stärker auf die eigenen Herrschaft konzentrierte, die aber auch in dieser Generation als gemeinsamer Besitz aller erbfähigen Brüder angesehen wurden. In den 1460er Jahren mussten noch einmal Erbansprüche des Hauses Werdenberg-Sargans abgewehrt werden. Bedrohlicher war die Einschnürung durch Erzherzog Sigmund von Österreich, der eine offensive Expansionspolitik betrieb. So kam es 1475–77 zu Einungen der Brandis mit der Stadt und dem Bistum Chur sowie den Drei Bünden, die neben dem fortgeschriebenen Berner Burgrecht Rückhalt bieten konnten.

Ulrich setzte die Dynastie der Brandis mit zahlreichen Kindern aus seiner zweiten Ehe mit Praxedis von Helfenstein noch einmal fort. Von sechs erbfähigen Söhnen wurden zwei geistlich versorgt: Wolfgang als Deutschordensritter, Johannes als Kanoniker zu Chur und Strassburg; die beiden ältesten Ludwig und Sigmund II. heirateten. In dieser letzten Generation lassen sich Regelungen im Verhältnis zu den Untertanen verfolgen. 1492 erteilte Kaiser Friedrich den Brandis vermehrte und verbesserte Privilegien (u.a. um Bergwerke, Zoll- und Mautrechte) (→Brandisische Freiheiten). 1476 stifteten Wolfhart VI., Sigmund II. und Ulrich die dritte Kaplanei an der Florinskapelle zu Vaduz. Fatal entluden sich die Verstrickung in feindliche Lager wie auch der latente Grundgegensatz zwischen hochadliger Herrschaftsstruktur und genossenschaftliches Prinzip im Schwabenkrieg 1499. In diesen wurden die Vaduzer Herren als Stände des Reichs und Mitglieder des Schwäbischen Bunds hineingezogen. Bei Triesen (12. Februar) und Frastanz (21. April) kam es zu blutigen Schlachten, auf den Schlössern Vaduz und Maienfeld wurden die Freiherren zu Gefangenen gemacht. Die Untertanen mussten den Siegern huldigen, und beinahe wären die Besitzungen der Brandis eidgenössisch geblieben, wenn nicht der Friedensschluss Ende 1499 deren Wiedereinsetzung gebracht hätte. Allerdings hatten die Lande noch lange unter den grossen Verlusten zu leiden. Diese schwere Erschütterung band die Brandis noch stärker an das Haus Österreich und das Reich, die seit 1490 unter Maximilian I. nahtlos verbunden waren: 1505 trat Ludwig dem vorderösterreichisches Verteidigungssystem bei, Sigmund II. verhandelte damals mit dem König über den Verkauf von Maienfeld. Einher ging damit das unabwendbare Ende der Manneslinie. Ludwig und Sigmund II. starben 1507 und hinterliessen keine erbfähigen Nachkommen. Mit Johannes, der in Chur und Strassburg hohe geistliche Würden errungen hatte, erlosch das Haus 1512. Die Erbschaft (mit Ausnahme des 1509 an die Drei Bünde verkauften Maienfeld) fiel an einen Nachkommen der einzigen Schwester Verena, an Graf Rudolf V. von Sulz. Das Verdienst der Brandis besteht darin, in einem politisch heftig umkämpften Raum mit Schellenberg und Vaduz den territorialen Rahmen des späteren Fürstentums Liechtenstein gesichert zu haben.

Literatur

  • Handbuch der historischen Stätten Schweiz und Liechtenstein, hg. Volker Reinhardt, Stuttgart 1996, S. 365.
  • Peter Kaiser Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein. Nebst Schilderungen aus Churrätien‘s Vorzeit, Chur 1847, neu hg. von Arthur Brunhart, Bd. 1: Text, Vaduz 1989, S. 234–348.
  • Dieter Stievermann: Geschichte der Herrschaften Vaduz und Schellenberg zwischen Mittelalter und Neuzeit, in: Liechtenstein – Fürstliches Haus und staatliche Ordnung. Geschichtliche Grundlagen und moderne Perspektiven, hg. von Volker Press und Dietmar Willoweit, Vaduz/München/Wien 1987, 1988 S. 87–128.
  • This Adank: Die unheilvolle Herrschaft der Brandis von 1483 bis 1509, in: Terra Plana, Mels 1980 (Heft 1), S. 19–26.
  • Placid Bütler: Die Freiherren von Brandis, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 11 (1911), S. 143-169.

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

Zitierweise

<<Autor>>, «Brandis, von», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.

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