
Chur (Bistum)
Autor: Franz Xaver Bischof | Stand: 31.12.2011
Katholisches Bistum mit Bischofssitz in Chur. Umfasst die Kantone Graubünden, Glarus, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zürich. Bis 1997 gehörte auch Liechtenstein zum Bistum Chur (→ katholische Kirche).
Anfänge
Die Anfänge des Christentums in Rätien gehen ins 4. Jahrhundert zurück. Die Christianisierung verlief parallel zur Romanisierung. Ihre Träger bleiben weitgehend unbekannt, doch finden sich an verschiedenen Orten spätrömische Kultbauten, so die Kapelle St. Peter in Schaan. Bischofssitz war stets Chur, der Hauptverwaltungssitz der römischen Provinz Raetia prima am strategisch wichtigen Ausgangspunkt über die Bündner Alpenpässe an der Mündung des Schanfiggs in das Rheintal. 451 unterschrieb der Bischof von Como ein Mailänder Synodalschreiben an Papst Leo I. auch für den abwesenden Bischof Asinio von Chur. Das hier erstmals bezeugte Bistum Chur wurde vermutlich schon im 4. Jahrhundert gegründet. Es gehörte wohl von Anfang an zum Erzbistum Mailand. Die Bistumsgrenzen waren zunächst weitgehend identisch mit den römischen Provinzgrenzen.
Mittelalter
Im 5./6. Jahrhundert ist in Rätien mit einer weitgehenden Christianisierung zu rechnen, was Rückschläge und Verzögerungen nicht ausschliesst. Darauf verweist die karolingische Vita des hl. Luzius. Vom 6. bis 8. Jahrhundert waren das Präses- und das Bischofsamt, d.h. die weltliche und die geistliche Macht, in der Hand der Familie der Zacconen (→ Victoriden), teils in Personalunion. Vom 8. Jahrhundert bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts umfasste das Bistum das Gebiet des heutigen Kantons Graubünden (ohne das Puschlav), das Urserental (Kanton Uri), die nördlichsten Teile des Kantons Glarus, die südlichen Teile des Kantons St. Gallen (Linthebene, Sarganserland), das Rheintal bis zum Hirschensprung, die obertoggenburgische Gemeinde Wildhaus, das Fürstentum Liechtenstein, das südliche Vorarlberg bis und mit Götzis, das Paznaun und den Vinschgau bis zur Passer (Südtirol).
Nach 806 führte Karl der Grosse in Rätien die Grafschaftsverfassung ein, trennte die geistliche und die weltliche Gewalt und schied Bistums- und Grafschaftsgut aus. Ab der Eingliederung Rätiens in das ostfränkische Reich 843 gehörte das Bistum Chur zum Erzbistum Mainz. Im 8./9. Jahrhundert erlebten das Bistum und die darin liegenden Klöster Disentis, Müstair und Pfäfers eine kulturelle Hochblüte. Im 10./11. Jahrhundert stieg die Bedeutung des Bistums Chur aufgrund der rätischen Alpenpässe unaufhaltsam an, was den Churer Bischöfen zahlreiche königliche Privilegien und Schenkungen durch die ottonischen Kaiser und ihre salischen Nachfolger eintrug. Diese schufen die Voraussetzung für die Stellung der Churer Bischöfe als Feudalherren und Reichsfürsten im Hoch- und Spätmittelalter. Der Investiturstreit führte auch im Bistum Chur zum Wechsel von päpstlichen und königlichen Parteigängern. Zur Zeit der Staufer im 12. Jahrhundert nahmen alle Bischöfe eine kaiser- und reichstreue Haltung ein. Während des Interregnums verteidigte Bischof Heinrich von Montfort (1251/68–72) das Bistum gegen latente Ansprüche des regionalen Adels. Die im 13. Jahrhundert beginnenden Bestrebungen zur Herrschaftsverdichtung führten bis ins 15. Jahrhundert zu zahlreichen Konflikten und Fehden zwischen den Fürstbischöfen von Chur und verschiedenen bischöflichen Vögten und Lehensträgern, wie den Familien von Matsch, von Werdenberg und von Toggenburg. Auch die von 1388 bis 1416 dauernde Regierungszeit Bischof Hartmanns II. aus dem Haus Werdenberg-Sargans-Vaduz (ab 1397 Herr der Grafschaft Vaduz) war von Fehden mit den Freiherren von Rhäzüns, den Grafen von Werdenberg-Heiligenberg und den Vögten von Matsch geprägt.
Eine neue Epoche begann im 14. Jahrhundert mit der Anlehnung der Churer Bischöfe an Habsburg-Österreich einerseits, den Autonomiebestrebungen der Stadt Chur und der ländlichen Gerichtsgemeinden anderseits. Diese Entwicklung vollzog sich vor dem Hintergrund der entstehenden übergreifenden politischen Organisationsformen wie der Drei Bünde, sodann der Intensivierung des habsburgischen Einflusses im rätischen Raum. Das Verhältnis zwischen Bischof und Untertanen verschlechterte sich zusehends, auch infolge wiederholter Wahl landfremder, häufig abwesender Bischöfe im 14./15. Jahrhundert sowie wachsender Entfremdung zwischen den Bischöfen und der Stadt Chur.
Frühe Neuzeit
Ab den 1520er Jahren breitete sich in den Drei Bünden die Reformation aus. Neben der Stadt Chur (mit Ausnahme des Hofbezirks) wurde nach und nach der grösste Teil der Gemeinden des Gotteshaus- und des Zehngerichtenbunds evangelisch. Katholisch blieben die Mehrheit der Gemeinden im Grauen Bund, ferner die Churer Bistumsgebiete in Tirol und Vorarlberg, das Urserental, die südlichen Teile des heutigen Kantons St. Gallen sowie durch Verdienst der Grafen von Sulz die Herrschaften Vaduz und Schellenberg.
Die Ilanzer Artikel von 1524 und 1526 reduzierten die weltliche Herrschaft des Fürstbischofs auf den Hofbezirk Chur, die Fürstenburg in Tirol, die Herrschaft Grossengstingen in Schwaben und Reste im Bündnerland. Als Ende 17. Jahrhundert die Herrschaft Schellenberg zum Verkauf stand, gehörte zu den Interessenten auch der Bischof von Chur.
Die innerkirchliche Reform im Geist des Konzils von Trient wurde im Bistum Chur ab 1580 durch Karl Borromäus und päpstliche Nuntien angestossen, begann unter Bischof Johann V. Flugi von Aspermont (1601–27), der erstmals in allen katholisch gebliebenen Diözesangebieten Visitationen durchführte, zu greifen und wurde von seinen Nachfolgern fortgesetzt und unter Johann VI. Flugi von Aspermont in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zum Abschluss gebracht. Letzterem gelang es auch, den Bestand von Hochstift und Bistum Chur in der Krisenzeit der Bündner Wirren zu sichern. Die von ihm geförderten Kapuziner konnten 1654 das Kloster Mels eröffnen, das auch für Liechtenstein Bedeutung erlangte.
Im späten 17. und im 18. Jahrhundert kam es in konfessionellen Angelegenheiten zu einer Verständigung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wandten sich die Bischöfe von Chur erfolglos gegen die im österreichischen Bistumsteil im Geist des aufgeklärten Staatskirchentums durchgeführten Massnahmen, zu denen z.B. die Aufhebung von Klöstern gehörte. Zu Auseinandersetzungen zwischen den Bischöfen und den weltlichen Autoritäten kam es auch in Liechtenstein. Ihren heftigsten Ausdruck fanden diese im Novalzehntstreit 1719–21.
Entwicklung seit dem frühen 19. Jahrhundert
1803 war das Bistum Chur von der Säkularisation, d.h. dem Einzug und der Umnutzung geistlicher Güter durch weltliche Instanzen, betroffen. Im schweizerischen Bistumsteil beschränkte sich diese auf die hoheitlichen Rechte des Fürstbischofs, da die vorhandenen Vermögenswerte nicht ausreichten, um Bischof und Domkapitel zu entschädigen; im österreichischen Bistumsteil hingegen enteignete der Wiener Hof den Churer Besitz (Fürstenburg) entschädigungslos. 1808 wurden die Diözesangebiete in Vorarlberg und Tirol vom Bistum Chur getrennt und 1809 provisorisch, 1816 definitiv dem Bistum Brixen zugeteilt, nachdem Österreich 1814 eine Rückgabe an Chur erfolgreich verhindert hatte. Das Bistum Chur war von da an auf den Kanton Graubünden und das Fürstentum Liechtenstein beschränkt, bis es 1819 die Administration der meisten ehemals Konstanzer Bistumsteile der Schweiz erhielt. In der Folge schloss sich Schwyz 1824 dem Bistum Chur an, während Verhandlungen mit den übrigen Urkantonen scheiterten, sodass Uri (ohne Urserental), Ob- und Nidwalden zusammen mit Glarus und Zürich bis heute lediglich provisorisch von Chur verwaltet werden. Ein 1823 errichtetes Doppelbistum Chur-St. Gallen wurde bereits 1833/36 wieder aufgelöst. Nachdem die Eidgenossen 1859 jede ausländische kirchliche Jurisdiktion auf Schweizer Gebiet verboten hatte, trat das Bistum Como 1867 die Pfarreien Brusio und Poschiavo an das Bistum Chur ab, das seither den ganzen Kanton Graubünden umfasst. 1948 beschränkte der Hl. Stuhl das Bischofswahlrecht des Churer Domkapitels auf die Wahl aus einer vom Hl. Stuhl vorgelegten Dreierliste. 1968 konnte im Priesterseminar, das 1800 in Meran eingerichtet und 1807 nach Chur in das ehemalige Prämonstratenserkloster St. Luzi verlegt worden war, die Theologische Hochschule Chur errichtet werden, deren akademische Ausweise seit 1976 vom Kanton Graubünden staatlich anerkannt werden. Vor dem Hintergrund der Konflikte um Bischof Wolfgang Haas, welche im Jahrzehnt zwischen 1988 und 1998 das Bistum Chur erschütterten, trennte Papst Johannes Paul II. 1997 das Fürstentum Liechtenstein von Chur ab und erhob es zum Erzbistum Vaduz. Seit 1999 gliedert sich das Bistum Chur in drei Regionen unter der Leitung je eines Generalvikars: Graubünden, Urschweiz und Zürich/Glarus.
Literatur
- Albert Fischer: Bistum Chur, in: Die Bistümer der deutschsprachigen Länder. Von der Säkularisation bis zur Gegenwart, hg. von Erwin Gatz, Freiburg i.Br./Basel/Wien 2005, S. 156–174.
- Franz Xaver Bischof: Bistum Chur, in: Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches. Von ihren Anfängen bis zur Säkularisation, hg. von Erwin Gatz, Freiburg i.Br. 2003, S. 164–179.
- Michael Durst (Hg.): Studien zur Geschichte des Bistums Chur (451–2001), Freiburg i.Üe. 2002 (= Schriftenreihe der Theologischen Hochschule Chur, Bd. 1).
- Albert Fischer: Reformatio und Restitutio. Das Bistum Chur im Zeitalter der tridentinischen Glaubenserneuerung. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Priesterausbildung und Pastoralreform (1601–1661), Zürich 2000.
- 1500 Jahre Bistum Chur, Zürich 1950.
- Johann Georg Mayer: Geschichte des Bistums Chur, 2 Bände, Stans 1907–1914.
Zitierweise
<<Autor>>, «Chur (Bistum)», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.