
Demokratie
Autor: Arthur Brunhart | Stand: 31.12.2011
Demokratie ist ein seit der Antike bezeugter Begriff. Er setzt sich aus griechisch demos (Volk) und kratia (Herrschaft) zusammen und bedeutet «Volksherrschaft» oder «Herrschaft der Vielen». Er bezeichnet eine durch Zustimmung der stimmfähigen Einwohnerschaft und deren aktive Mitwirkung legitimierte Regierungsform, die Volksherrschaft. Es gibt verschiedene Vorstellungen von Demokratie, was sich in unterschiedliche Bezeichnungen äussert.
Heute meint Demokratie die direkt oder repräsentativ aus dem Volk hervorgehende Herrschaft, d. h. politische Herrschaft soll von der Gesamtheit der Menschen, die dieser Herrschaft unterworfen sind, legitimiert und ausgeübt sein. Der amerikanische Präsident Abraham Lincoln charakterisierte 1863 Demokratie als «Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk». Die Politikwissenschaft definiert Demokratie als Herrschaftsform, in der das Volk souveräner Inhaber der Staatsgewalt ist. Davon grenzt sich z. B. das in Liechtenstein etablierte politische System der Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage ab, indem die Staatsgewalt zwischen den zwei Souveränen Fürst und Volk geteilt und ihre Zusammenwirkung erforderlich ist.
Die griechische Demokratie der Antike als «Selbstregierung der Regierten» beteiligte alle Vollbürger an Beratungen oder Beschlussfassungen der polis (politische Gemeinde), wobei nur erwachsene wehrpflichtige Männer (Hausväter) Vollbürger waren. Frauen, Sklaven, Ausländer oder andere Mitbewohner blieben ausgeschlossen. Vollbürger umfassten vielleicht 10 % der Gesamtbevölkerung einer polis. Demokratie galt als Alternative zu Herrschaftsformen wie Monarchie und Aristokratie.
Im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa hatten sich monarchische und aristokratische Herrschaftsformen durchgesetzt, auch wenn die Idee der Demokratie nicht verschwunden war. Demokratische, gemeinschaftlich orientierte, mehr oder weniger selbstverwaltete und selbstbestimmte Lebens- und Wirtschaftsformen der Dorfgemeinden (Nachbarschaften) und Nutzungsgemeinden hielten oder entwickelten sich seit dem Spätmittelalter in vielen Teilen Europas, so in der alten schweizerischen Eidgenossenschaft, auch in Appenzell und in Graubünden (drei Bünde). Demokratie war ein Gegenbegriff zu Monarchie und Aristokratie, bedeutete aber nicht, dass alle Menschen die gleichen Mitwirkungsrechte gehabt hätten.
Auch in der Grafschaft Vaduz und in der Herrschaft Schellenberg waren vormoderne demokratische Strukturen lebendig. Sie zeigen sich z. B. in der im Jahr 1808 aufgehobenen Landammannverfassung, welche Selbstverwaltungsrechte der Untertanen definierte. Die Brandisischen Freiheiten (1430) übertrugen bestimmte Rechte an Vertreter der bäuerlichen Oberschicht in den zwei Gerichtsgemeinden Vaduz und Schellenberg. Die wahlberechtigten Untertanen der beiden Gerichtsgemeinden (→ Landschaften) wählten alle zwei Jahre aus einem Dreiervorschlag der Landesherrschaft ihren Landammann. An der Landsgemeinde, die in der Grafschaft Vaduz bei der Linde in Vaduz, in der Herrschaft Schellenberg bei der Kapelle Hl. Kreuz auf Rofaberg in Eschen stattfand, versammelten sich die stimmfähigen Männer. Sie führten die Wahlen durch, nahmen die Landschaftsrechnung ab und besprachen Sachfragen. Der Landammann, selbst ein Untertan, erhielt bestimmte administrative und repräsentative Aufgaben übertragen. Bei der Ausführung dieser Aufgaben stützte er sich auf das Gewohnheitsrecht und den Landsbrauch.
Schon im Verlauf des 17. Jahrhunderts begannen die Landschaften ihre Rechte nach und nach an den Landesherrn und seine Verwaltung zu verlieren. 1719 verordnete die Landesherrschaft die Abschaffung der Gerichtsgemeinden, der Landammänner und der Gerichte. Angesichts des Widerstands der Untertanen vermochte der Landesherr das Vorhaben nicht völlig durchzusetzen, die Landschaften behielten bestimmte Selbstverwaltungsaufgaben. 1809 jedoch beseitigte Fürst Johann I. die Landammannverfassung endgültig. Sie blieb in historischer Sicht im 19. Jahrhundert und bis in die Gegenwart hinein ein Referenzpunkt bei der Auseinandersetzung für mehr Volksrechte und Demokratie in Liechtenstein.
Im ausgehenden 18. Jahrhundert begann sich im Zug der Aufklärung, nach den Revolutionen in Amerika und Frankreich sowie der Erklärung der Menschenrechte das demokratische Repräsentativsystem in Europa durchzusetzen, was sich z. B. in der Volkswahl von Abgeordneten in die Parlamente äusserte. Die Ideen allgemeiner bürgerlicher Freiheit und Volksouveränität zielten auf Selbstbestimmung und setzten sich in einen Gegensatz zu monarchischen oder aristokratischen Herrschaftsformen.
Im Deutschen Bund, dem Liechtenstein angehörte, verstärkte sich der politische Druck von unten. Die beiden Demokratisierungsschübe von 1830 und 1848 blieben auch in Liechtenstein nicht folgenlos. Seit den Dienstinstruktionen 1808 versuchte die Bevölkerung im Aufstand 1809 und in den Unruhen 1831/32 erfolglos eine Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu erreichen. Die landständische Verfassung 1818, zu deren Schaffung Liechtenstein als Mitglied des Deutschen Bunds verpflichtet war, brachte keine demokratischen Fortschritte.
Im Gefolge der Februarrevolution 1848 in Frankreich entstanden in fast allen deutschen Staaten politische Bewegungen, die weitreichende Reformen verlangten. In der Märzrevolution kam es auch in Liechtenstein zu Drohungen gegen die landesfremden fürstlichen Beamten. Die Bevölkerung, angeführt von Persönlichkeiten wie Peter Kaiser, verlangte eine freiheitliche Verfassung, die Aufhebung der Feudallasten und anderes mehr. Es ging um die liberalen Forderungen der Zeit, um Volkssouveränität, Konstitutionalismus, Gewaltentrennung, um Handels- und Gewerbefreiheit und die Garantie des Privateigentums. Man wollte, wie sich Peter Kaiser ausdrückte, «als Bürger und nicht als Untertan behandelt» sein. Die von Fürst Alois II. von Liechtenstein 1849 erlassenen «Übergangsbestimmungen für das constitutionelle Fürstenthum Liechtenstein» schufen einen an der Gesetzgebung beteiligten, gewählten Landrat. Grundrechtsgarantien fehlten jedoch weiterhin. Die Zugeständnisse blieben allerdings nur bis zu ihrem Widerruf 1851 in Kraft. Erst in der Verfassung 1862 fand ein Grossteil der Revolutionsforderungen Verwirklichung. Die Revolution 1848 gilt in Liechtenstein als der Beginn einer neuen demokratischen Entwicklung.
Im Zug der Liberalisierung in Österreich 1860 erliess auch Fürst Johann II. von Liechtenstein 1862 eine zwischen ihm und den Landständen ausgehandelte konstitutionelle Verfassung, die den Ausgleich zwischen Monarchie und Volkssouveränität suchte. Dem Volk als der «Gesamtheit der Landesangehörigen» wurden Rechte eingeräumt. Das neue Parlament, der Landtag, konnte an der Gesetzgebung, der Aushebung von Militär und bei der Bewilligung von Steuern mitwirken. Erstmals waren den Landesangehörigen umfangreiche bürgerliche Grundrechte garantiert.
Mit der Entstehung politischer Parteien 1918 wurde der Ruf nach Reform des Staatswesens lauter. Die Christlich-soziale Volkspartei um Wilhelm Beck forderte eine «Demokratisierung» der Monarchie. Die Schlossabmachungen wurden eine Grundlage für die 1921 in Kraft getretene neue Verfassung, welche das Fürstentum Liechtenstein als «konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage» definierte, wobei «die Staatsgewalt im Fürsten und im Volke verankert» ist. Der demokratische Charakter der Verfassung von 1921 wird in den Bestimmungen betreffend die breit ausgebauten Volksrechte, v. a. den nach Schweizer Vorbild eingeführten direktdemokratischen Einrichtungen wie Initiative und Referendum, deutlich. Allerdings kann in Gesetz oder Finanzbeschluss durch die (selten vorgenommene) Dringlichkeitserklärung der Vorlage durch den Landtag dem Referendum entzogen werden.
In Liechtenstein gilt seit 1918 das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Stimm- und Wahlrecht für Staatsangehörige ab dem 18. Altersjahr mit Wohnsitz in Liechtenstein. Mit der Einführung des Verhältniswahlrechts 1939, des Frauenstimm- und -wahlrechts 1984 und des Staatsvertragsreferendums entwickelte sich die Demokratie weiter. Der Ausschluss der Frauen von der politischen Mitbeteiligung war aus demokratischer Sicht ein Makel und liess die staatsbürgerliche Gesellschaft als unvollständig erscheinen. Die Verpflichtung zum Schutz der Grund- und Freiheitsrechte wurde durch den Beitritt Liechtensteins 1978 zum Europarat, die Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen 1990 und die Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention 1982 verstärkt.
Mit der Aufteilung der Staatsgewalt auf Fürst und Volk ist das demokratische Prinzip aus Sicht der Demokratietheorie nicht rein verwirklicht. Der Fürst kann dank seiner ihm verfassungsgemäss zustehenden Rechte wesentlichen Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess nehmen. Die komplexe Struktur des politischen Systems in Liechtenstein bedingt, dass in wichtigen Fragen Konsens erzielt wird. Entsprechenden Druck üben v.a. die direktdemokratischen Volksrechte und die dualistische Staatsverfassung aus. Der freiheitsbezogene Grundgedanke der Demokratie liegt darin, dass die Spielregeln des Zusammenlebens in einer Gesellschaft von denen festgelegt werden, die innerhalb dieser Regeln leben. Demokratie ist insoweit formal und inhaltsoffen und von dem bestimmt, was die Stimmbürger und ihre Repräsentanten in sie hineintragen.
Literatur
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Zitierweise
<<Autor>>, «Demokratie», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 12.2.2025.