Elektrifizierung

Autor: Oliver Stahl | Stand: 31.12.2011

In Liechtenstein begann die Umstellung auf elektrische Energie im späten 19. Jahrhundert in der Textilindustrie. Da Wasserräder und Gas für den Antrieb der Maschinen und die Beleuchtung nicht mehr ausreichten, errichteten die Weberei in Triesen und die Spinnerei in Vaduz (→ Jenny, Spoerry & Cie.) 1883 eigene Elektrizitätswerke. Beide Firmen gaben elektrischen Strom für die Beleuchtung der umliegenden Arbeiterwohnhäuser ab. 1901 erbaute die Gemeinde Vaduz das erste öffentliche Elektrizitätswerk, das sie bis 1927 betrieb. Die Stadtwerke Feldkirch lieferten ab 1906 bzw. 1911 Strom an die Gemeinden Mauren und Eschen und nach dem Ausbau eines landesweiten Verteilnetzes ab 1920/21 an alle liechtensteinischen Gemeinden. Um eine eigene Stromversorgung in Liechtenstein aufzubauen, gründete der Staat 1923 das «Landeswerk Lawena» (→ Lawenawerk, ab 1947 → Liechtensteinische Kraftwerke LKW). Dessen Inbetriebnahme 1927 reduzierte die Abhängigkeit von den Stadtwerken Feldkirch.

Neben der Elektrifizierung der Eisenbahn (1926) diente der elektrische Strom hauptsächlich Beleuchtungszwecken und dem Betrieb einiger weniger Motoren und thermischer Apparate. Ab den 1930er Jahren stieg das Interesse der Haushalte an elektrischer Energie, v. a. für Licht und Kochherde. 1952 kochten bereits 76 % der liechtensteinischen Haushalte mit Strom. Mit der zweiten Industrialisierungswelle nahm besonders in den 1940er Jahren der Strombezug aus Feldkirch wieder zu. Er wurde erst Ende 1949 eingestellt, als das neue Saminawerk über die Deckung des liechtensteinischen Eigenbedarfs hinaus sogar einen anfangs beträchtlichen Stromexport erlaubte. Ein im selben Jahr 1949 geschlossener Stromaustauschvertrag der LKW mit den Nordostschweizerischen Kraftwerken (NOK) diente in erster Linie dem liechtensteinischen Stromabsatz. Erstmals im Winter 1956/57 und dann besonders ab den 1960er Jahren war Liechtenstein jedoch wieder auf Stromimporte angewiesen, die 1969 durch einen neuen Vertrag mit den NOK (heute AXPO) gesichert wurden. Seit 2004 wird auch Strom von den Vorarlberger Kraftwerken VKW bezogen und seit 2007 zusätzlich von den Bernischen Kraftwerken BKW. Die heutige Stromversorgung Liechtensteins basiert auf drei Verbindungsleitungen aus der Schweiz und einer aus Österreich. Drei Umspannwerke und mehrere Transformatorenstationen wandeln den Strom auf die 400/230-Volt-Spannungsebene um. Ab 1970 wurden die Freileitungen kontinuierlich durch leistungsfähigere Erdkabel ersetzt.

Wirtschaftliche Blüte, Bevölkerungswachstum und Modernisierung führten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem starken Anstieg des Stromverbrauchs. Eine sichere Stromversorgung war ein Grundpfeiler der nun rasch wachsenden liechtensteinischen Industrie wie auch des Dienstleistungssektors, in Letzterem u. a. durch die Einführung der elektronischen Datenübermittlung und -verarbeitung (Telex ab den 1950er, Fax ab den 1980er, Computer ab den 1990er Jahren). Auch in den Haushalten wuchs der Stromverbrauch durch immer neue elektrische Apparate wie Waschmaschinen, Tiefkühler, Geschirrspüler, Tumbler, Unterhaltungselektronik (→ Fernsehen, → Radio), Computer usw. Insgesamt stieg der Pro-Kopf-Verbrauch an elektrischer Energie von 0,26 MWh 1941 auf 10,51 MWh 2006.

Trotz Bemühungen um den Ausbau der Stromproduktion durch die LKW und verschiedenen Gemeinden (z. B. Trinkwasserkleinkraftwerke, Blockheizkraftwerke mit Fernwärmeversorgung) reduzierte sich die liechtensteinische Eigenversorgung mit elektrischer Energie auf noch 18 % des Gesamtstromverbrauchs 2007. Ab 1992 realisierten die LKW, die Liechtensteinische Solargenossenschaft und Private mehrere Fotovoltaikanlagen.

Literatur

  • 75 Jahre Liechtensteinische Kraftwerke 1923–1998, hg. von Liechtensteinische Kraftwerke, Schaan 1998.
  • Benno Beck: Die Elektrizitätswirtschaft im Fürstentum Liechtenstein, Freiburg 1965 (Diss.).
  • 40 Jahre Liechtensteinische Kraftwerke 1922–1962, hg. von Liechtensteinische Kraftwerke, Schaan 1962.
  • Geschäftsberichte LKW 1947–.

Zitierweise

<<Autor>>, «Elektrifizierung», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.

Medien

Stromproduktion und - verbrauch in MWh, 1941–2015