Fauna

Autor: Mario F. Broggi | Stand: 15.4.2023

Die Fauna umfasst alle Tierarten eines bestimmten Gebiets. Die Zahl der mitteleuropäischen Arten wird derzeit auf 45 000–50 000 geschätzt; davon sind ca. 80 % Gliedertiere (Ringelwürmer und Gliederfüsser). Für Liechtenstein sind aufgrund der unbekannten Zahl wirbelloser Tiere keine Schätzungen möglich.

Das kleine Staatsgebiet erlaubt aufgrund der abwechslungsreichen Landschaft eine vielfältige Fauna, aber keine endemischen (ausschliesslich in Liechtenstein heimischen) Arten. Im Verlauf der Jahrtausende hat sich die Fauna den veränderten Klimabedingungen angepasst, ebenso dem vom Menschen verursachten Wandel der Lebensräume, etwa infolge der Ausbreitung der Landwirtschaft, durch Rodung oder Entwässerung.

Forschungsgeschichte

Die zoologische Erforschung Liechtensteins setzte spät ein, mit eigenständigen Beiträgen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1955 legte Prinz Hans von Liechtenstein einen ersten Überblick zur liechtensteinischen Vogelwelt vor und 1962 Ernst von Lehmann eine Arbeit zu den hiesigen Säugetieren. Mit der Gründung der Botanisch-Zoologischen Gesellschaft Liechtenstein-Sargans-Werdenberg (BZG) 1970 begann die systematische Erforschung. Heute sind alle Wirbeltiere (Amphibien, Reptilien, Fische, Vögel, Säugetiere) und ausgewählte Gruppen der Wirbellosen erforscht, u.a. Muscheln und Schnecken, Schmetterlinge und Libellen, Bienen und Hummeln, Netzflügler und Spinnen. Die faunistisch bestuntersuchten Räume sind das Ruggeller Riet und der Alpenrhein mit seinem umgebenden Gebiet.

Entwicklung bis ins 19. Jahrhundert

Während der letzten Eiszeit vor rund 115 000 bis 15 000 Jahren lebten im Gletschervorfeld Grosssäuger wie Ren, Wildpferd, Moschusochse oder Vielfrass, die sich mit der laufenden Erwärmung und Bewaldung in den Norden zurückzogen. Andere Tiere überlebten in hochalpinen Lagen (z.B. Steinbock, Gämse, Murmeltier, Schneehuhn), weitere wie das Mammut und der im nahen Wildkirchli (AI) belegte Höhlenbär starben aus. Knochenfunde bei Grabungen an den Siedlungsplätzen des Eschnerbergs zeigen, dass zumindest bis zur Bronzezeit (2200–800 v.Chr.) Auerochse, Wisent und Elch bejagt wurden. Sie alle dürften jedoch erst in der Römerzeit, spätestens aber im Frühmittelalter verschwunden sein.

Ab dem Hochmittelalter und in der Frühen Neuzeit änderte sich die Zusammensetzung der Fauna kaum, jedoch dürfte die Individuenzahl bei mehreren Arten unter dem Druck des Bevölkerungswachstums und der Jagd allmählich zurückgegangen sein. Insbesondere die Endglieder der Nahrungskette als unwillkommene Konkurrenten des Menschen wurden gezielt bejagt und in Liechtenstein im 19. Jahrhundert ausgerottet: Der letzte Hinweis auf die Anwesenheit des Wolfs stammt von 1812, des Luchses von 1830, des Bartgeiers von 1863, des Braunbärs von 1888. Aber auch der Rothirsch und der Steinbock verschwanden noch im 19. Jahrhundert ebenso aus Liechtenstein wie das Wildschwein, das bis zum 17. Jahrhundert Standwild gewesen war. Der letzte Fischotter wurde 1927 erlegt.

Bedrohte Artenvielfalt im 20. und 21. Jahrhundert

Die naturräumlichen Gegebenheiten widerspiegeln sich in der nach wie vor herrschenden Vielfalt der Fauna. So kommen in einem Luftlinienabstand von nur vier Kilometern das subalpine Schneehuhn und der Grosse Brachvogel als Riedvogelart vor (Letzterer bis Anfang der 1990er Jahre als Brutvogel). Das Moorwiesenvögelchen – ein in drei Flachmooren Liechtensteins lebender Tagfalter, der seine nächsten Vorkommen südlich des Lago Maggiore, in Bayern und in Niederösterreich hat – gilt als einer der bedrohtesten Tagfalter Europas. Es bildet damit die wohl bedeutendste Flaggschiffart des Landes. Das Schalenwild ist mit Gämse, Reh, dem zurückgekehrten Rothirsch und dem 1971 wieder eingewanderten Steinwild (Steinbock) vertreten. Ebenso kommen die störungsempfindlichen Rauhfusshühner (Auer-, Birk-, Schnee- und Haselhuhn) vor, auch der Steinadler, der Uhu, der Rauhfuss- und der Sperlingskauz, der Dreizehenspecht und der Weissrückenspecht im hier westlichsten Verbreitungsvorkommen seiner Ostpopulation.

Insgesamt ist im 20. Jahrhundert von einem fortgesetzten Artenverlust auszugehen, auch wenn einzelne Arten zurückkehrten oder infolge der Globalisierung der Warenströme und Klimaveränderungen neu zuwanderten.

Artenschwund

Der jüngere Landschaftswandel im Talraum lässt sich indikatorisch am Rückzug von Tierarten belegen: War noch bis ins 20. Jahrhundert der Laubfrosch im Alpenrheintal bis Chur verbreitet, so kommt diese auf fisch- und vegetationsfreie Kleingewässer mit begleitenden Hochstaudenfluren und Gehölzen angewiesene Art im Bündnerland und seit 2006 auch in Liechtenstein nicht mehr vor. Rotkopf- und Raubwürger, Steinkauz und Rebhuhn sind bereits in den 1950er Jahren verschwunden, wofür vor allem der Rückgang der hochstämmigen Obstbäume und der wenig gedüngten insektenreichen Wiesen verantwortlich ist. Von den in Liechtenstein bekannten 22 Fledermausarten sind die Kleine Hufeisennase seit den 1950er Jahren und die Grosse Hufeisennase seit den 1990er Jahren nicht mehr nachgewiesen. Sie dürften Pestizidanwendungen zum Opfer gefallen sein.

Die stärksten Artenverluste aller Wirbeltiere betrafen die Fische, bei denen man von ehemals 23–26 Arten in den Gewässern Liechtensteins ausgehen darf. Verantwortlich für einen bis in die 1980er Jahre massiven Artenschwund waren Wasserverunreinigungen und die zahlreichen Gewässereingriffe und -nutzungen. Mittlerweile konnte durch Massnahmen zur Wiederbelebung der Gewässer eine Erhöhung der Artenzahl erreicht werden: Waren im Binnenkanal um 1980 nur noch vier Fischarten vertreten, lebten in dem an einzelnen Abschnitten revitalisierten Kanal 2001 wieder elf Arten. Insgesamt wurden in Liechtenstein 2014 wieder 26 Fisch- und zwei Flusskrebsarten gezählt, von denen jedoch nur fünf als nicht gefährdet gelten. Den stärksten Aderlass erlebt der Alpenrhein, wo nur mehr wenige Prozente der ursprünglichen Biomasse vorhanden sind.

Der grösste Artenschwund dürfte im Bereich der Insekten eingetreten sein. Diese sind für den Naturhaushalt in den Wechselbeziehungen massgebend. Rund ein Fünftel der 233 in Liechtenstein nachgewiesenen Bienenarten standen im Jahr 2002 in der Schweiz auf der Roten Liste, und auch von den 177 Wespenarten gelten viele als gefährdet.

Rückkehrer

Neben dem Rothirsch und dem Steinbock kehrten in den letzten Jahren und Jahrzehnten weitere Arten zurück. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts stösst das (1948 zur jagdbaren Tierart erklärte) Wildschwein wieder sporadisch nach Liechtenstein vor. Der 2004 erstmals wieder beobachtete Luchs ist im liechtensteinischen Alpengebiet mittlerweile heimisch, der Wolf seit 2018 als Durchzügler im Rheintal und im Berggebiet nachgewiesen. Sehr erfolgreich war die gezielte Wiederansiedlung des Weissstorchs: Nach einem ersten Brutpaar in Ruggell im Jahr 2007 wurden 2022 bei 34 Brutpaaren 50 Jungstörche flügge. Der Bartgeier, der im 19. Jahrhundert noch Brutvogel war, hat nach der 1978 begonnenen Wiedereinbürgerung im Alpenbogen (so 2010 im nahe gelegenen Calfeisental/SG) auch liechtensteinisches Territorium besucht. Der Biber kehrte 2007 zurück und 2022 wurden im Süden Liechtensteins erstmals wieder Spuren des Fischotters entdeckt.

Die Rückkehr ehemals heimischer Arten in eine veränderte und stärker genutzte Landschaft birgt Konfliktpotentiale, etwa mit der Landwirtschaft (Wildschwein, Wolf) oder dem Wasserbau (Biber).

Neozoen

An Neozoen (gebietsfremden Arten) wurden ab 1985 die Bisamratte und der Waschbär in Liechtenstein festgestellt. Ein Marderhund wurde 2009 am Fuss der Sankt Luzisteig nahe der Grenze zu Graubünden tot aufgefunden. 2018 gelang im Liechtensteiner Unterland mit einer Fotofalle erstmals ein Nachweis des Goldschakals, der sich vom Balkan aus in Richtung Norden verbreitet.

Literatur

Zitierweise

<<Autor>>, «Fauna», Stand: 15.4.2023, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.

Medien

Das in Liechtenstein vorkommende Moorwiesenvögelchen gilt als einer der bedrohtesten Tagfalter Europas. Aufnahme im Ruggeller Riet, 2021 (Foto: Rainer Kühnis, Vaduz).
Feldhasen im Vaduzer Riet, 2021 (Foto: Rainer Kühnis, Vaduz). Seit den 1950er Jahren haben die Feldhasenbestände in Liechtenstein stark abgenommen. Bei der letzten Zählung 1996 wurden noch geringe Bestände im Ruggeller Riet, im Ried zwischen Eschen und Schaan sowie in Balzers dokumentiert.
Wiedehopf, aufgenommen 2022 in Ruggell (Foto: Rainer Kühnis, Vaduz). Der in den 1960er Jahren in Liechtenstein ausgestorbene Wiedehopf brütet seit 2004 wieder in geringer Zahl in Balzers, Schaan und Ruggell.
Barren-Ringelnatter, aufgenommen 2016 in Ruggell (Foto: Rainer Kühnis, Vaduz). Die Ringelnatter ist die häufigste Schlangenart in Liechtenstein, gilt aber aufgrund ihrer isolierten Lebensräume als stark gefährdet.
Freie Wisentherde in Puszcza Boreka in Polen (Foto: Robert Gatzka). Der Wisent war bis ins frühe Mittelalter in ganz Mitteleuropa heimisch, auch im Alpenrheintal.