Feudalgesellschaft

Autor: Alois Niederstätter | Stand: 31.12.2011

Der Begriff «Feudalismus» ist abgeleitet vom Wort feudum (Lehen) und bezeichnet in der traditionellen Geschichtsschreibung das Lehenswesen bzw. die Epoche des Mittelalters, in der marxistischen Geschichtstheorie hingegen die Zeit vom Ende der Antike bis zur Französischen Revolution. Die Feudalgesellschaft umfasst dementsprechend die vom Lehenswesen und der Grundherrschaft geprägten Gesellschaftsformen zwischen der «Sklavenhaltergesellschaft» der Antike und dem Kapitalismus.

Das Lehenswesen beruhte auf der Vasallität, dem Dienstverhältnis zwischen Lehensherrn und -mann, das im Verlauf des Mittelalters den gesamten Adel erfasste. Der Vasall schuldete v.a. Hof- und Waffendienst, wofür er mit Grund und Boden, Herrschaftsrechten usw. als Lehen ausgestattet wurde. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation stand an der Spitze der siebenstufigen Lehenspyramide der König, die unterste Ebene bildeten die nur passiv lehenfähigen Einschildritter.

Während sich das Lehenswesen auf den geistlichen und weltlichen Adel sowie das Stadtbürgertum mit Grundbesitz beschränkte, war das Gros der ländlichen Bevölkerung grundherrschaftlichen Abhängigkeiten unterworfen. Vom Hochmittelalter an überwog dabei die bäuerliche Leihe, in deren Rahmen der Grundherr dem Leihenehmer Grundstücke unter bestimmten Bedingungen (Leiheformen) gegen Entgelt zur Bewirtschaftung übertrug. Grosse Bedeutung für die Feudalgesellschaft besassen ausserdem jene als «Leibeigenschaft» bezeichneten Bindungen, die zeitlich und räumlich von höchst unterschiedlich Intensität waren. Davon betroffen waren v.a. die Bauern sowie bis ins 14. Jahrhundert die Ministerialität. Aber auch die Freien unterlagen bestimmten Formen von Herrschaft. Zu den Charakteristika der Feudalgesellschaft zählen ausgeprägte genossenschaftliche Strukturen, die seit den Kommunalisierungsprozessen v.a. des Spätmittelalters auf der Ebene von Gemeinden und Landschaften auch politische Funktionalität gewannen. Weder die Einteilung in Freie und Unfreie noch die «Drei-Stände-Ordnung» der Feudalgesellschaft (bellatores – Wehrstand/Adel, oratores – Lehrstand/Geistlichkeit und laboratores – Nährstand/Bauern und Stadtbürger) erfasste die gesellschaftlichen Realität vollständig. Bereits vom Frühmittelalter an weisen die Quellen auf soziale Differenzierung jenseits dieser Kategorien sowie auf Prozesse des Wandels und der Mobilität hin.

Verhältnismässig überschaubar, im Detail aber noch nicht erforscht sind die Verhältnisse in Liechtenstein. Den höchsten Rang in der regionalen Gesellschaftshierarchie nahmen die dem hohen Adel zugehörigen Landesherren ein, denen der Grossteil der Feudalrechte zustand. Der von ihnen abhängige kleine Dienstadel verschwand bereits im ausgehenden Mittelalter fast vollständig, sodass auf der Basis genossenschaftlich organisierter Gerichtsgemeinden einer bäuerlichen Oberschicht auch Verwaltungsaufgaben im herrschaftlichen Auftrag zufielen. Sozial gleichfalls besser gestellt war der Pfarrklerus. Aufgrund bescheidener agrarischer Ressourcen besassen die zahlenmässig dominierenden Mittel- und Unterschichten hingegen nur geringe Chancen, ihre Lage zu verbessern.

Literatur

  • Bausteine 2, 1999.
  • Bausteine 1, 1999.
  • H.K. Schulze: Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter 1, 31995, S. 54–94.
  • Kaiser/Brunhart: Geschichte, 1989.
  • Heide Wunder et al.: Feudalismus, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4 (1989), Sp. 411–415.

Zitierweise

<<Autor>>, «Feudalgesellschaft», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.