Finanzeinbürgerung

Autorin: Veronika Marxer | Stand: 25.8.2020

Der Begriff Finanzeinbürgerung beinhaltet die von 1919 bis 1955 in Liechtenstein gültige Praxis, ausländische Personen gegen die Entrichtung einer hohen Geldsumme ohne Nachweis eines liechtensteinischen Wohnsitzes einzubürgern. Die rechtliche Grundlage wurde mit dem Gesetz vom 27.7.1920 geschaffen, das bei Einbürgerungen die Erhebung einer Landestaxe von mindestens einem Fünftel der Gemeindetaxe vorschrieb.

Die Finanzeinbürgerungen erreichten in den 1930er Jahren ihren Höhepunkt – bezüglich der Anzahl eingebürgerter Personen 1931 (83 Personen), bezüglich der Einnahmen von Land und Gemeinden 1939 (zusammen 1 358 750 Fr.). 1937 machten die Einbürgerungstaxen 12,3 % der Landeseinnahmen aus. Die Einbürgerungstaxen wurden in den 1930er Jahren laufend erhöht. Betrugen sie 1934 noch 15 000–18 000 Fr. pro Person, so stiegen sie bis 1939 auf 37 500 Fr. (25 000 Fr. Gemeindetaxe, 12 500 Fr. Landestaxe). Zudem mussten pro Fall oder Familie eine Kaution von 30 000 Fr. hinterlegt und eine Beschlussgebühr von 3000 Fr. sowie eine jährliche Einbürgerungssteuer von ca. 1000 Fr. entrichtet werden. Insgesamt kostete eine Einbürgerung 1939 ca. 42 000 Fr. (ohne die Kaution).

Wurde die Finanzeinbürgerung bis Anfang der 1930er Jahre von den ausländischen Bürgerrechtswerbern in erster Linie zum Zweck der Kapital- und Steuerflucht genutzt, diente sie zwischen 1933 und 1940 dem Grossteil der v.a. deutschen Bewerber zur Absicherung der persönlichen und wirtschaftlichen Existenz angesichts der vom NS-Regime ausgehenden Bedrohung. Von 1933 bis zum Kriegsende 1945 betraf mehr als die Hälfte der Einbürgerungen Personen jüdischer Abstammung und deren Angehörige (139 Personen); 1938 gehörten über 80 % der Eingebürgerten dieser Kategorie an.

Die eingebürgerten Personen kamen in der Regel nur zur Ablegung des Bürgereids nach Liechtenstein, ansonsten lebten sie im Ausland. Die liechtensteinische Einbürgerungspraxis war im Inland wie auch im Ausland umstritten. Deutschland und Österreich war die Steuerflucht ein Dorn im Auge, während der NS-Zeit auch die Einbürgerung von Juden. Auch die Schweiz, die seit 1919 die liechtensteinischen Interessen im Ausland diplomatisch vertrat und den liechtensteinischen Staatsangehörigen konsularischen Schutz bot, betrachtete die liechtensteinischen Finanzeinbürgerungen mit Unbehagen.

Auf Druck der Behörden des Deutschen Reichs wurde 1933 ein Wohnsitzerfordernis von drei Jahren ins liechtensteinische Bürgerrechtsgesetz aufgenommen. Gestützt auf eine Ausnahmeregelung setzte Liechtenstein die Praxis der Finanzeinbürgerungen jedoch fort. 1941 wurden die Finanzeinbürgerungen auf Druck der Schweiz auf zwei bis drei Fälle pro Jahr beschränkt. Die Schweiz verfügte zudem aufgrund eines Notenwechsels ab 1941 bei Bewerbern, die weniger als zwei Jahre in Liechtenstein ansässig waren, über ein Einspracherecht, das erst 1963 nach der Einführung eines fünfjährigen Wohnsitzes als Einbürgerungsbedingung aufgehoben wurde. Nach dem Nottebohm-Fall 1955 sah Liechtenstein von Finanzeinbürgerungen ohne Wohnsitzerfordernis ab. Einbürgerungen, die mit der Entrichtung von hohen Geldsummen einhergingen, fanden jedoch bis 1973 statt.

In der NS-Zeit rettete die liechtensteinische Staatsbürgerschaft vielen Neubürgerinnen und Neubürgern das Leben. Liechtenstein verfolgte mit seiner Einbürgerungspraxis jedoch nicht humanitäre, sondern finanzielle Ziele: In einer Zeit wirtschaftlicher Not waren die Einkünfte aus den Finanzeinbürgerungen auf Landes- wie auch auf Gemeindeebene hochwillkommen. Sie wurden insbesondere für den Aufbau von Infrastruktur, wie z.B. Schulen, eingesetzt.

Aufgrund der hohen Einbürgerungstaxen kamen für die Finanzeinbürgerung nur sehr vermögende Personen in Betracht. Diesbezüglich gut dokumentierte Beispielfälle sind die Einbürgerungen der Baronin Charlotte Sophie Mathilde von Buxhoeveden, geb. Siemens, und ihres Sohnes Carl Otto (1924), der jüdisch-deutschen Theatermacher Fritz und Alfred Rotter (1931) sowie des deutschen Diplomaten a.D. Freiherr Philipp von Hoffmann (1932).

Literatur

  • Peter Kamber: Fritz und Alfred Rotter. Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil, Leipzig 2020.
  • Peter Marxer: ... so, wie ich bin. Zwischen Unternehmen, Politik und Familie, hg. von Daniella Marxer, Vaduz/Zürich 2018, bes. S. 43–52.
  • Karlheinz Heeb: Wie eine Geborene von Siemens Liechtensteinerin wurde. Charlotte von Buxhoevedens Einbürgerung 1924, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 115 (2016), S. 147–162.
  • Nicole Schwalbach: Finanzeinbürgerungen in Liechtenstein 1920 bis 1955, in: Wanderungen. Migration in Vorarlberg, Liechtenstein und in der Ostschweiz zwischen 1700 und 2000, hg. von Peter Melichar, Andreas Rudigier, Gerhard Wanner, Wien 2016, S. 163–174.
  • Nicole Schwalbach: Bürgerrecht als Wirtschaftsfaktor. Normen und Praxis der Finanzeinbürgerung in Liechtenstein 1919–1955, hg. vom Historischen Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Zürich 2012.
  • Klaus Biedermann: «Aus Überzeugung, dass er der Gemeinde von grossem Nutzen seyn werde». Einbürgerungen in Liechtenstein im Spannungsfeld von Staat und Gemeinden 1809–1918, hg. vom Historischen Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Vaduz/Zürich 2012, bes. S. 261–266.
  • Veronika Marxer: Vom Bürgerrechtskauf zur Integration. Einbürgerungsnormen und Einbürgerungspraxis in Liechtenstein 1945–2008, hg. vom Historischen Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Vaduz/Zürich 2012, bes. S. 29–102.
  • Regula Argast: Einbürgerungen in Liechtenstein vom 19. bis ins 21. Jahrhundert. Schlussbericht, hg. vom Historischen Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Vaduz/Zürich 2012.
  • Peter Geiger: Kriegszeit. Liechtenstein 1939 bis 1945, Vaduz/Zürich 2010, Bd. 2, S. 130–133.
  • Ursina Jud: Liechtenstein und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus. Studie im Auftrag der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg, Vaduz/Zürich 2005 (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg, Studie 1), S. 206–222.
  • Peter Geiger, Arthur Brunhart, David Bankier, Dan Michman, Carlo Moos, Erika Weinzierl: Fragen zu Liechtenstein in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg: Flüchtlinge, Vermögenswerte, Kunst, Rüstungsproduktion. Schlussbericht der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg, Vaduz/Zürich 2005, S. 104–120.
  • Peter Geiger: Eine Liechtensteinerin im KZ: Baronin Valeska von Hoffmann, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 103 (2004), S. 97–135.
  • Tobias Ritter: Die Einbürgerungspolitik des Fürstentums Liechtenstein unter innen- und aussenpolitischen Aspekten von 1930 bis 1945, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Bd. 53 (2003), S. 58–79.
  • Claudia Heeb-Fleck, Veronika Marxer-Gsell: Die liechtensteinische Migrationspolitik im Spannungsfeld nationalstaatlicher Interessen und internationaler Einbindung 1945 bis 1981, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 101 (2002), S. 153–184.
  • Claudia Heeb-Fleck, Veronika Marxer: Die liechtensteinische Migrationspolitik im Spannungsfeld nationalstaatlicher Interessen und internationaler Einbindung 1945–1981, Manuskript, 2 Ringhefte, Schaan 2001.
  • Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, Vaduz/Zürich 1997, 22000, Bd. 1, S. 207f., Bd. 2, S. 95–103.

Zitierweise

<<Autor>>, «Finanzeinbürgerung», Stand: 3.8.2020, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.

Medien

Tab. Finanzeinbürgerungen 2020.08.03.png
Liechtensteinischer Reisepass der Baronin Charlotte von Buxhoeveden, geb. Siemens, mit Foto und Unterschrift der Inhaberin, ausgestellt am 16. Dezember 1924 in Vaduz aufgrund «erfolgter Einbürgerung» (Stadtarchiv Zürich, Signatur VIII.B.c.101, Zivilstandesamt).