Flora

Autor: Mario F. Broggi | Stand: 16.4.2023

Als Flora werden alle in einem Gebiet vorkommenden Gefässpflanzenarten bezeichnet; die Gesamtheit aller Pflanzenindividuen bildet dessen Vegetation. Von den rund 1600 bekannten Arten in Liechtenstein sind etwa 25 % in der Roten Liste als ausgestorben, gefährdet oder selten ausgewiesen. Während die Moose zu den Pflanzen zählen, bilden die Pilze und Flechten einen eigenen Bereich von Lebewesen neben den Tieren und Pflanzen.

Forschungsgeschichte

Die erste botanische Angabe aus Liechtenstein geht auf den deutschen Arzt und Botaniker Hieronymus Bock (1498–1554) zurück. Er fand um 1537 im heutigen Liechtensteiner Oberland die Europäische Zyklame (Alpenveilchen). Der Österreicher Günther Beck von Mannagetta und Lerchenau (1856–1931) legte 1896–1900 ein liechtensteinisches Herbar mit ca. 500 Pflanzenarten an. Wesentliche Neufunde sind den in Feldkirch tätigen Professoren und Studenten zu verdanken: Josef Murrs Arbeiten von 1921–1924 dienen noch heute als Grundlage und zum Vergleich. Heinrich Seitter fand an die 200 weitere Arten und beschrieb in seiner «Flora des Fürstentums Liechtenstein» (1977) die Areale von über 1500 Arten. Edith Waldburger aus Buchs (SG) erstellte 1981–1983 ein vollständiges Herbar aller bisherigen rund 1600 Pflanzennachweise und präsentierte diese Arten gemeinsam mit Vojilav Pavlovic und Konrad Lauber in einer 2003 erschienenen « Flora des Fürstentums Liechtenstein in Bildern ».

Hans Peter Senn bearbeitete in seiner im Jahr 2000 publizierten Übersicht über die Moosflora Liechtensteins 440 Arten. Den ersten umfassenden Beitrag zu einer ökologisch einheitlichen Gruppe von Pilzen in Liechtenstein stellte 1980 die Arbeit von Stefan Plank über rund 250 holzbewohnende Pilzarten dar. Ausgehend vom Ruggeller Riet erfassten Jean-Pierre Prongué, Rudolf Wiederin und Brigitte Wolf bis 2004 rund 1700 einheimische Pilzarten. Eine Übersicht über die Flechten Liechtensteins steht noch aus. Im Zuge der Charakterisierung der Luftverschmutzung mit Hilfe der Flechtenindikationsmethode in den Jahren 1989, 1999 und 2009 wurden 62 baumbewohnende Flechtenarten festgestellt.

Wesentliche Impulse erhielt die botanische Forschung durch die 1970 gegründete Botanisch-Zoologische Gesellschaft Liechtenstein-Sargans-Werdenberg (BZG). Neben deren regelmässig erscheinenden Berichten hat sich die seit 1984 von der liechtensteinischen Regierung herausgegebene Reihe «Naturkundliche Forschung im Fürstentum Liechtenstein» als Publikationsgefäss etabliert.

Vegetationsgeschichte

Über die nacheiszeitliche Vegetationsgeschichte sind wir dank Untersuchungen von Mooren recht gut informiert. Im Torfkörper erhält sich der Blütenstaub über Jahrtausende. Die wichtigste liechtensteinische Fundstelle findet sich im «Rietle» nahe der Oberen Burg Schellenberg. Nach dem Rückzug der eiszeitlichen Vergletscherung vor rund 16 500 Jahren (→Eiszeiten) beherrschte eine grasreiche Kaltsteppe mit arktisch-alpiner Zwergstrauchtundra das Gletschervorfeld. Dann setzte eine Rückwanderung der Bäume und Sträucher ein. Als erste Baumart eroberte die Birke diese Steppen, ihr folgten die Föhre und die Hasel, dann die Wärme liebenden Eichen, Ulmen und Linden. Eine neuerliche Abkühlung liess vor mehr als 5 000 Jahren die Tanne, die Buche und die Fichte einwandern. Weite Gebiete unterhalb der natürlichen Baumgrenze (damals bei ca. 2000 m ü.M.) dürften mit Wald bedeckt gewesen sein.

Im späten Neolithikum, etwa um 2000 v.Chr., tauchen Getreidepollen in den Torfschichten im «Rietle» auf, was auf die Präsenz des Menschen hindeutet. Die Buche blieb im natürlichen Konkurrenzkampf stark und ist bis heute die dominante Baumart Liechtensteins. Allerdings wurde sie auf den landwirtschaftlichen Gunstlagen durch Rodungen verdrängt. Durch den Menschen entstanden neue Vegetationsformen wie Wiesen und Weiden, aber auch die Streue-Vegetation der Riede. Die Römer führten neue Nutzpflanzen wie die Rebe und die Kastanie ein. Im 18. Jahrhundert kamen dazu aus Amerika stammende Arten wie Mais und Kartoffel. Umgekehrt verursachten die landwirtschaftliche Intensivierung, die Entwässerung, die Bodenversiegelung usw. in den letzten 200 Jahren einen Artenverlust, der durch die Ausscheidung unter Naturschutz stehender Gebiete etwas gebremst werden konnte.

Von all den früheren Vegetationsepochen haben sich Relikte erhalten, was zusammen mit der Pflanzengeografie den Artenreichtum auf kleinem Raum erklärt.

Pflanzengeografie

Die Vielfalt der in Liechtenstein festgestellten Arten ist bedingt durch die pflanzengeografische Lage, welche durch die Flüsse Rhein, Seez (SG) und Ill (Vorarlberg) als Eingangspforten, erhebliche Berg-Tal-Unterschiede mit ausgeprägter Vertikalstufung (430–2599 m ü.M.) und den Übergang des ozeanischen zum kontinentalen Klima geprägt wird.

Die Ausstrahlung des wärmebetonten Churer Beckens bis in den Balzner Raum erlaubt das Vorkommen der Orchideenart Dingel und des Blasenstrauchs. Über den Walensee wanderten atlantisch geprägte Arten wie die Stechpalme und die Felsenkirsche bis nach Liechtenstein ein und kommen weiter talaufwärts nicht mehr vor. Die Einwanderung der pontischen, aus südosteuropäischen Steppengebieten stammenden Flora ins Rheintal erfolgte über die Urstromtäler wie die Donau mit den Begleitern Sibirische Schwertlilie, Sumpfgladiole und Wohlriechender Lauch.

Der Rätikon bis zur Mittagspitze war nicht nur für den Rheingletscher, sondern auch für zentralalpine Elemente der Flora eine schwer überwindbare Schranke. In Liechtenstein findet sich die Nahtlinie der ost- und westalpinen Florenelemente. Die klimatische Trennlinie wird mit der Arve als kontinentaler Art unterstrichen. Sie berührt gerade noch den liechtensteinischen Alpenraum.

Zwei Pflanzenvorkommen sind in der liechtensteinischen Flora von herausragender Bedeutung: die Sumpforchis als Flachmoorart, deren nächstes Vorkommen in Süddeutschland liegt, und das isolierte Vorkommen des Immergrünen Tragants auf der Mittagsspitze, dessen nächstes Vorkommen in der Südschweiz bekannt ist.

Literatur

Zitierweise

<<Autor>>, «Flora», Stand: 16.4.2023, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 9.2.2025.

Medien

Die Sumpfgladiole kommt in Triesen und im Ruggeller Riet vor. Sie steht auf der Roten Liste und gilt als stark gefährdet (Foto: Mario F. Broggi).
Hieronymus Bock: New Kreütter Buch, erschienen 1539 bei Rihel in Strassburg, Teil II, Kapitel 74: «Von Waltzeitlosen: Jn der Eydnoßschafft nit fern von der statt Chur vnnd nahe bei Feldkirchen wechst [...] eyn schön gewechs [...]». (Staatliche Bibliothek Regensburg, Sign. 999/4Med.76, Bl. 53v, Bayerische Staatsbibltiothek / Münchner Digitalisierungszentrum, urn:nbn:de:bvb:12-bsb11069345-9). Die von Bock als «Waldzeitlose» bezeichnete Pflanze weist deutliche Merkmale des Europäischen Alpenveilchens auf.
Arnica montana (Echte Arnika): im August 1896 angelegtes Blatt in Günther Beck von Mannagettas Herbar «Flora von Liechtenstein». Als Fundorte sind genannt: «Ochsenkopf, Gallinakopf, Matlerjoch, Naafkopf u.a.O» (Amt für Kultur, Naturkundliche Sammlung).
Das Grosse Alpenglöckchen (Soldanella alpina) in Edith Waldburgers «Herbarium Principatus Liechtensteiniensis», Herbarblatt vom 25. Mai 1980 (Amt für Kultur, Naturkundliche Sammlung).
Der Wohlriechende Lauch – eine spätblühende, verletzliche Art im Ried (Foto: Mario F. Broggi).
Der Schwefelporling – ein essbarer Baumpilz an einer Weissweide (Foto: Mario F. Broggi).