Geologie

Autor: Gerhard Wanner | Stand: 31.12.2011

Geologie ist die Wissenschaft von Entstehung, Aufbau und Entwicklung der Erde; die Geomorphologie untersucht Entstehung und Formen der Erdoberfläche.

Geologische Forschung

Mit der geologischen Erforschung des Rätikons beschäftigten sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts führende österreichische, schweizerische und bayerische Geologen wie Franz Hauer, Ferdinand von Richthofen, Arnold Escher von der Linth und C.W. Gümbel. Richthofen forschte im Auftrag der Geologischen Reichsanstalt in Wien und erkannte das Ende der Ostalpen in Liechtenstein Schweizer Geologen wie Christian Tarnuzzer (1894), Th. Lorenz (1900/01) und v.a. Daniel Trümpy (1916) schufen die Grundlagen für eine moderne Geologie im südlichen Liechtenstein hinsichtlich Tektonik (Aufbau der Erdkruste) und Stratigrafie (räumliche und zeitliche Aufeinanderfolge von Gesteinsschichten). Bis 1929 beschäftigten sich Chr. Schuhmacher (1929) und der österreichische Alpengeologe Otto Ampferer mit Liechtenstein Im Frühjahr 1945 motivierte Joos Cadisch die Berner Doktoranden Franz Allemann, Rudolf Blaser und Henry Schaetti zu abschliessenden Forschungen. Unterstützung bot Landtagspräsident Pfarrer Anton Frommelt, der sich ebenfalls mit Geologie beschäftigte. Die Ergebnisse wurden 1951–56 zusammen mit einer geologischen Karte (1952, Massstab 1 : 25 000) veröffentlicht.

Geologie

Liechtenstein besteht geomorphologisch aus zwei Teilen: der Ebene entlang des Rheins im Westen und dem Hochgebirge im Osten, dem westlichen Ausläufer des Rätikons. Eine geologische Besonderheit besteht darin, dass das Westende des Rätikons das geologische Ende der Ostalpen als Bestandteil einer von Afrika abgerissenen Mikroplatte bildet. Die von dieser Platte überschobenen und unter sie abtauchenden Decken, das Helvetikum und der Flysch, gehören dagegen zur europäischen Platte der Westalpen. Kennzeichnend ist ferner, dass die Gesteine der liechtensteinischen Gebirgs- und Hügellandschaft fast zur Gänze aus Meeressedimenten bestehen. Sie sind im Mesozoikum (250– 65 Mio. Jahre vor heute) und Tertiär (65–1,8 Mio. Jahre vor heute) in riesigen Meeresbecken der Tethys (Ur-Mittelmeer vom heutigen Mitteleuropa bis Neuguinea) entstanden (Lithogenese): die Dolomitgesteine der Drei Schwestern ca. 500 km, die helvetischen Schrattenkalke des Eschnerbergs ca. 25 km südlich von ihrer heutigen Lage. Durch tektonische Bewegungsvorgänge von Süden und Osten gelangten die geologischen Formationen Afrikas und Europas in unseren Raum und schoben sich als Decken übereinander. Diese Tektogenese war mit Faltungen, Verschuppungen, Dehnungsprozessen, Bruchbildungen und Metamorphosen verbunden, wie sie in Liechtenstein exemplarisch nachgewiesen werden können.

Nach einer ersten Ausbildung der Alpen vor etwa 40–30 Mio. Jahren erfolgte bis ins Pliozän (vor ca. 5–2 Mio. Jahren) eine Abtragung und erst danach durch isostatische Hebungen und gleichzeitige Abtragungsvorgänge der Verwitterung (Erosion) wieder eine Heraushebung zum heutigen Hochgebirge (Morphogenese).
Drei in regional verschiedene Meeresräumen, zu verschiedene Zeiten und in verschiedene Ablagerungsmilieus (Fazies) entstandene Decken bilden stockwerkartig den geologischen Aufbau Liechtensteins:

1. Das tiefste Element sind die westalpinen, helvetischen Kalkalpen, eine Fortsetzung der Axen-Säntisdecke. Sie gehören zur europäischen Plattform. Wir treffen deren nach Osten untertauchende Enden am Ellhorn, am Schlosshügel von Gutenberg und am Eschnerberg an. Die Gesteine stammen aus Jura und Unterkreide (Ellhorn) und Mittel- bis Oberkreide (Eschnerberg) (ca. 112–65 Mio. Jahre vor heute). Ihre Sedimentation erfolgte in einem allmählich tiefer werdenden Flachmeer (Fossilienfunde u.a. im Steinbruch Limsenegg). Hier entstanden Kalke, Sandsteine und Mergel. Die Gesteine sind südlicher Herkunft und wurden durch ihren Transport an den Alpenrand beidseits des Rheintals mit helvetischen Gesteinen nördlicherer Herkunft verschuppt. Reliefbestimmend ist der gross gefaltete Schrattenkalk mit Verkarstungsformen am Eschnerberg.

2. Über dem Helvetikum liegt östlich des Rheins ein gewaltiges Schichtpaket sehr unterschiedlicher Flyschgesteine, welche auch in Vorarlberg und Graubünden vorkommen und dem Penninikum zugerechnet werden. Die nördliche Flyschzone (Vorarlbergerflysch) bildet den mächtigen Älpele-Stock (Vorarlberg). In einem schmalen Streifen folgen südlich davon der Vaduzer- und Triesen-Flysch. Die vielfältigen Meeresablagerungen stammen aus der oberen Kreide und dem Alttertiär (ca. 65–24 Mio. Jahre vor heute) und setzen sich aus Wechsellagerungen von Sandstein, Kalksandstein, Tonstein und Mergel zusammen. Ihre leichte Verwitterbarkeit hat dazu geführt, dass kaum Felsbildungen vorhanden sind. Die Oberflächen sind daher bewaldet und tragen Almen. Die südliche Flyschzone (Prättigauflysch) wurde von einer gewaltigen, enorm verfalteten Sedimentsmasse, der über 2500 m emporragenden Gipfelregion der Falknisdecke mit Naafkopf überschoben, wie sie sonst nirgends in den Alpen zu finden ist. Die tiefsten Schichten, bestehend aus Dolomit, Gips und Rauhwacken, stammen aus der Trias (251–199 Mio. Jahre vor heute). Darüber folgen über 600 m mächtige Breccienserien von Jura-Alter (199– 145 Mio. Jahre vor heute). Kennzeichnend sind die kreidezeitlichen Gesteinsschichten vom Neokom bis zu den Couches rouges. Die Gesteine entstanden in grösserer Meerestiefe zwischen der europäischen und der afrikanischen Plattform. Durch die tektonischen Vorgänge der Ostalpen, von welchen sie nach Norden mitgeschleppt wurden, haben sie ihre Wurzelzonen fast völlig verlassen.

Über dieser enorm verfalteten Decke folgt die unverfaltete dünne, v.a. aus hellem Oberjura-Kalk bestehende Sulzfluh-Decke. Sie wird von der geringmächtigen, sehr heterogen zusammengesetzten Arosa-Schuppenzone überschoben. Diese liegt in einem schmalen, von Südosten nach Nordwesten streichenden Streifen unter den von Osten darauf geschobenen nördlichen Kalkalpen. Sie weist verschiedene verfrachtete und stark zerrüttete Gesteine mit unterschiedlichem Alter auf, darunter Buntsandstein, Breccien, rote und grünliche Radiolarite und sogar untermeerische basische Vulkanit-Ergüsse wie z.B. den Schmelzikopf im Valorsch.

3. Über der Arosa-Zone wird das oberste geologische Stockwerk von den Ostalpen, im Speziellen von der Lechtaldecke gebildet. Diese ist in Liechtenstein wiederum in mehrere Schollen gegliedert. Die aus der Trias stammenden Gesteine bilden die vegetations- und quellenarmen, schroffen Gebirgsstöcke beidseits des Saminatals mit den Drei Schwestern, dem Galinakopf und dem Ochsenkopf. Die roten basalen Buntsandsteine der unteren Trias wurden vor rund 200 Mio. Jahren in wüstenähnlichen Ebenen gebildet. Die darüberliegenden Kalke, Dolomite, schwarzen Schiefer, Mergel und Gipse stammen aus Randbereichen warmer Flachmeere des afrikanischen Festlandschelfes. Die auffallendsten Felspartien bilden der dunkle Arlbergkalk und der hellgraue Hauptdolomit mit einer Mächtigkeit bis zu 1000 m. In Lagunen entstandene, gipsführende Raiblerschichten finden wir in den Gipstrichtern von Masescha, vom Malbun bis zum Sassförkle und am Sareiserjoch.

Für die Entstehung des Rheintals kommen Erosionsvorgänge des Rheins und seiner Gletscher kaum infrage. Nahezu 30 Mio. Jahre lang entwässerte der Rhein im Raum Sargans nach Nordwesten zur Donau. Erst seit rund 5 Mio. Jahren fliesst der Rhein von Sargans zum Bodensee: Im liechtensteinischen Raum zwischen West- und Ostalpen entstand ein vielfältiges Bruchsystem. Bis heute wirksame tektonische Kräfte sind für die in einer Tiefe von 3–4 km liegenden Kleinbebenherde verantwortlich (→ Erdbeben).

Die leicht verwitterbaren Gesteine des Flysch und der grobklotzige, zerklüftete Hauptdolomit haben im Gebirge und v.a. an der Westflanke der Drei Schwestern mächtige Schutthalden und -kegel entstehen lassen. Sie bildeten bis zur Rheinverbauung im 20. Jahrhundert den wichtigsten Siedlungs- und landwirtschaftlichen Nutzungsraum für die Bevölkerung. Bei heftigen Niederschlägen können sich diese postglazialen Lockermassen als Erd- und Gesteinsrutschungen (→ Rüfen) ins Tal bewegen. An den steilen Talhängen der Flysche entwickelten sich kurze Wasserläufe, die zur Entstehung von eingerissenen Tälern, Tobeln, Rinnen und Gräben geführt haben.

Die mächtigen Eisströme des Rheintalgletschers lagerten am Ende der letzten Eiszeit von Süden herantransportiertes Moränenmaterial ab. Vom höchsten Eisstand bei ca. 1500 m Höhe zeugen Findlinge aus überwiegend kristallinen Gesteinen Graubündens. An der Südostflanke des Eschnerbergs befindet sich eine Hügellandschaft mit bis zu 1600 m langen, südwestlich-nordöstlich-ausgerichteten Rücken. Hierbei handelt es sich um Drumlins, unter dem Gletschereis abgelagerte, gerundete Geschiebehügel. Eine lokale Vergletscherung bis in die Höhe von 1700 m wies das Saminatal auf, in welches ein Seitenarm des Illgletschers eindrang. Am Westhang des Fläscherbergs, am Schlosswald bei Vaduz und am Eschnerberg wurde in postglazialer Steppenzeit mit starken Winden von Süden Feinmaterial als Löss abgelagert.

Um 16 500 vor heute hatte sich der Rheingletscher endgültig aus dem liechtensteinischen Gebiet zurückgezogen. An sein Ende reichte von Norden der Bodensee, der sich im folgenden Jahrtausend bis nach Chur ausdehnte. Das Illdelta, bis gegen Rüthi (SG) reichend, teilte den Rheintalsee in zwei Teile. Dieser wurde vom stark Sedimente führenden Rhein in Kleinseen und Flachmoore gegliedert. Ausserdem pendelte der Rhein in seinem eigenen Geschiebematerial breit im Tal. Die Talsohle war daher bis in die Neuzeit grösstenteils versumpft, schwer passierbar und unbewohnbar. Bei Balzers ist das Rheintal mit 440 m mächtigen Seeboden- und Flussablagerungen gefüllt.

Literatur

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

  • Daniel Miescher: Geologie Liechtensteins. Ein grosses Meer in einem kleinen Land, Schaan 2014.
  • Oskar Keller: Alpen – Rhein – Bodensee. Eine Landschaftsgeschichte, Herisau 2013.

Zitierweise

<<Autor>>, «Geologie», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 8.2.2025.

Medien

Geologische Karte des Fürstentums Liechtenstein: tektonische Übersicht, 1985 (© Regierung des Fürstentums Liechtenstein).