Grenzen

Autoren: Peter Strasser, Bernd Marquardt | Stand: 31.12.2011

Grenzen sind gedachte oder rechtlich festgelegte Linien, welche zwei Gebiete voneinander scheiden. Liechtenstein besitzt als hoheitliche Grenzen die gegenüber den Nachbarstaaten bestehenden Landesgrenzen sowie die Gemeindegrenzen, welche die Gemeindegebiete voneinander scheiden. Gemäss Art. 4 der liechtensteinischen Landesverfassung können Änderungen dieser Grenzen nur durch Gesetz erfolgen (bei Landesgrenzen als internationaler Staatsvertrag), bei den Gemeindegrenzen ist zudem ein Mehrheitsbeschluss der in den betreffenden Gemeinden ansässigen wahlberechtigten Landesangehörigen nötig. Der genaue Verlauf von Grenzen ist in Plänen und Grenzbeschreibungen ausgeführt und in der Natur durch Grenzzeichen (Grenzvermarkung) sichtbar gemacht.
Peter Strasser

Inländische Grenzen

Der hochmittelalterliche Landesausbau liess mit dem Zusammenrücken der bäuerlichen Siedlungs- und Nutzungsräume und der lückenlosen Erfassung des geografischen Raums durch Herrschaftsrechte das Phänomen kleinräumiger Grenzen hervortreten. Innerhalb des heutigen liechtensteinischen Staatsgebiets bildeten sich Scheidelinien zwischen lokalen Herrschaften, Gerichtsgemeinden und Dorfgemeinden heraus.

Die seit dem 14. Jahrhundert nachvollziehbare Grenze zwischen den Herrschaften Schellenberg und Vaduz, die mit derjenigen zwischen den gleichnamigen Gerichtsgemeinden identisch war, stellte nicht minder eine echte Grenze lokaler Hoheitsbereiche dar wie z.B. diejenige zu den Herrschaften Maienfeld oder Feldkirch. Darauf hatte die von 1434 bis 1699 und seit 1712 erneut bestehende dynastische Verklammerung keinen grundsätzlichen Einfluss. Auch die Erhebung von Vaduz und Schellenberg zum Reichsfürstentum Liechtenstein 1719 liess die Herrschaften als Subeinheiten unberührt. Eine Herrschaftsgrenze umschloss auch die Herrschaft Gutenberg.

Die Gerichtsherrschaften/-gemeinden waren in Dorfgemeinden untergliedert, die als Allmendnutzungsgenossenschaften gegeneinander abgegrenzt waren. Diese Grenzen, die oft durch Marksteine gekennzeichnet wurden, waren Nutzungsgrenzen und keine hoheitlichen Grenzen. Zudem besassen bisweilen zwei oder mehrere Dörfer oder Dorfgemeinden von den jeweiligen Bewohnern gemeinsam genutzte Güter. Ab dem ausgehenden Mittelalter sind Grenz- und Nutzungsstreitigkeiten belegt.

Einen grundsätzlichen Wandel durchliefen die inländischen Grenzen um 1800. Die Einzelherrschaften und Gerichtsgemeinden wurden 1808 aufgelöst und lebten lediglich als Landschaftsbezeichnungen fort; seit 1878 bilden sie die Wahlbezirke Oberland und Unterland. Ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert kam es zur Aufteilung der von zwei oder mehreren Dörfern oder Dorfgemeinden genutzten gemeinsamen Güter unter dieselben, die somit hinfort klar voneinander abgegrenzt waren. Die Schaffung der politischen Gemeinden 1808 liess die Nutzungsgrenzen zu hoheitlichen Gemeindegrenzen werden.
Bernd Marquardt

Landesgrenzen

Die Gesamtlänge der Landesgrenzen Liechtensteins beträgt 76 km, davon entfallen auf den Abschnitt mit der Republik Österreich (Bundesland Vorarlberg) 34,9 km, auf jenen mit der Schweiz (Kanton Graubünden und Kanton St. Gallen) 41,1 km. Die Landesgrenzen durchschneiden im Norden den Eschnerberg und Riedland, im Osten und Süden Gebirge, im Südwesten den Fläscherberg. Im Westen stellt der Rhein die Grenze dar (vom Ellhorn bis zur Mündung des Binnenkanals seine Mittellinie zwischen den beidseitigen Hochwasserdämmen, von der Kanalmündung bis zum Dreiländerpunkt bei Bangs die Mitte seines Mittelgerinnes). Im Bergland folgen die Landesgrenzen nicht immer der Gratlinie (Wasserscheide): Sie queren das Saminatal, und im Bereich der Alp Sareis senken sie sich ins Gamperdonatal hinab.

Der konkrete Verlauf der Landesgrenzen wurde durch Staatsverträge vereinbart: mit der Schweiz 1948 (Grenzabschnitt im Bereich Rhein–Würznerhorn) und 1955 (Festlegung der Landesgrenzen am Rhein), mit Österreich 1960. Weitere Staatsverträge und Verordnungen betreffen die Grenzkontrolle und -abfertigung sowie die Erhaltung der Grenzzeichen.

Die Entstehung von Herrschaftsgrenzen als Vorläufer der Landesgrenzen fiel in das Spätmittelalter und setzte die Entstehung räumlich geschlossener Territorien voraus. Eine bis in die Gegenwart im Wesentlichen gültige Fixierung der Landesgrenzen im Norden und Osten erfolgte 1515 in einem Grenzvertrag zwischen Kaiser Maximilian und Graf Rudolf von Sulz. Weitere Grenzbeschreibungen enthalten z.B. das Urbar der Herrschaften Bludenz und Sonnenberg von 1618, das Sulzisch-Hohenemsische Urbar (1617/19), das Urbar der Herrschaft Schellenberg von 1698 und die Landesbeschreibung des Landvogts Josef Schuppler von 1815. Der sich während Jahrhunderten verändernde Grenzverlauf am Rhein wurde durch die Rheinkorrektion (Staatsvertrag vom 31.8.1847) erstmals verbindlich festgelegt, womit Streitigkeiten sowohl über den unklaren Verlauf der Grenze als auch über Rheinschutzmassnahmen beigelegt werden konnten. Militärische Interessen der Schweiz (Festung Sargans) führten – nach erfolglosen Verhandlungen 1939–48 – 1948 zu einer Revision der Landesgrenzen bei Balzers (Gebietstausch mit Übergang des Ellhorns an die Schweiz). Das Gebiet der Alp Sareis, über dessen staatliche Zugehörigkeit Unklarheit herrschte, wurde nach langen Verhandlungen 1960 staatlich geteilt und je zur Hälfte Liechtenstein und Österreich zugesprochen; zivilrechtlich blieb der Alpbesitz ungeteilt.

Seit dem 16./17. Jahrhundert ist die Grenze am Rhein und gegen Graubünden grösstenteils Konfessionsgrenze, 1648–1806 war sie zusätzlich Reichsgrenze. 1699–1712 war der die Grafschaft Vaduz und die Herrschaft Schellenberg trennende Scheidgraben eine Landesgrenze. 1852–1919 bestand gegen die Schweiz eine Zollgrenze, 1919–23 auch gegen Österreich. Seit 1923 ist dies nur noch gegen Österreich der Fall.

Im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg kam es zum Bau von Grenzsperren: 1940 legte das 1938–45 an Liechtenstein grenzende NS-Deutschland einen Grenzzaun zwischen dem Älpele bei Feldkirch und dem Rhein an, im Frühjahr 1945 wurde auf der liechtensteinischen Seite zwischen dem Rhein und dem Maurer Berg ein Zaun errichtet. Grenzbefestigungen erfolgten 1939 auch auf der schweizerischen Seite bei der Sankt Luzisteig.
Peter Strasser

Archive

  • Liechtensteinisches Landesarchiv, Vaduz (LI LA).

Quellen

Literatur

  • Ulrich Nachbaur: Vorarlberger Territorialfragen 1945 bis 1948. Ein Beitrag zur Geschichte der Landesgrenzen seit 1805, Konstanz 2007, S. 247–251.
  • Mathias Bugg: Der Rhein als Verbindung und Trennung. Entwicklung einer Grenzlinie im Gebiet zwischen Balzers-Wartau und Bendern-Haag im 15. und 16. Jahrhundert, in: Bausteine zur liechtensteinischen Geschichte. Studien und studentische Forschungsbeiträge, hg. von Arthur Brunhart, Bd. 1: Vaduz und Schellenberg im Mittelalter, Zürich, S. 39–72.
  • Alois Ospelt: 200 Jahre Gemeindegrenzen Schaan/ Vaduz/Planken. Die Rechte am Boden, Fragen des Eigentums, des Besitzes und der Nutzung im Kirchspiel Schaan, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 98 (1999), S. 1–39.
  • Mitteilungsblatt Gemeinde Eschen, Berichtsjahr 1995, S. 3–68 (Sonderbericht «Unsere Landesgrenze»).
  • Hans Stricker: Ein Grenzstreit am Rhein. Schiedsgericht in der Streitsache Rheinau zwischen Wartau und Balzers 10. Mai 1528, in: Werdenberger Jahrbuch 1990, Jg. 3 (1989), S. 23–29.
  • Alois Ospelt: Das Ruggeller Riet. Geschichte der Nutzung und des Besitzes, in: Berichte der Botanisch-Zoologischen Gesellschaft Liechtenstein-Sargans-Werdenberg, Bd. 18 (1989), S. 39–53.
  • Josef Büchel: Geschichte der Gemeinde Triesen, hg. von der Gemeinde Triesen, Bd. 1, Triesen 1989, S. 145–165.
  • Eugen Bühler: Die Revision der Landesgrenze mit Betrachtungen des Umfelds, in: Festgabe für Alexander Frick zum 75. Geburtstag, hg. von Robert Allgäuer, Schaan 1985, S. 67–98.
  • Dominik Frick: Die Balzner Gemeindegrenzen, in: Der Balzner Wald, Redaktion: Felix Näscher, Balzers 1982, S. 156–183.
  • Alois Ospelt: Wirtschaftsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Von den napoleonischen Kriegen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 72 (1972), S. 109–111.
  • Alexander Frick: Von den Marken unseres Landes und von alten und neuen Grenzzeichen, in: Bergheimat. Jahresschrift des Liechtensteiner Alpenvereins, Schaan 1968, S. 29–45.
  • Josef Büchel: Die Entstehung Liechtensteins (wie unsere Grenzen wurden), hg. anlässlich der 600-jährigen Gedenkfeier 3. Mai 1942, o. O. 1942.

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

Medien

Grenzzäune an der liechtensteinisch-österreichischen Grenze beim Bahnübergang Schaanwald, 1945 (LI LA).

Zitierweise

<<Autor>>, «Grenzen», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <https://historisches-lexikon.li/Grenzen>, abgerufen am 22.5.2025.