Grundrechte

Autor: Bernd Marquardt | Stand: 31.12.2011

Unter Grundrechten sind von der Verfassung gewährleistete, unantastbare Rechte des Individuums zu verstehen, überwiegend Freiheits- und Gleichheitsrechte, die einerseits subjektive Abwehrrechte gegenüber dem Staat darstellen und andererseits eine objektive Werteordnung verkörpern. Es handelt sich um die konstitutionelle Umsetzung der Idee der Menschenrechte. Diese sind naturrechtlich begründet, d.h. sie werden als der Verfügungsmacht des Staats vorausgelegen begriffen.

Menschen- und Grundrechte sind ein Kernbestandteil des gemeineuropäischen Verfassungsdenkens, wie es die Aufklärung am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert hervorbrachte. Prägende Bedeutung hatte die Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution von 1789. Einen ersten Triumph erlebten ausführliche Grundrechtskataloge in der liberalen Verfassungswelle der Jahre 1848–53, die ausgehend von Frankreich auch den Deutschen Bund inklusive des Gliedstaats Liechtenstein erfasste.

Trotz der Grundlegung im Gedankenrahmen der Aufklärung sind ältere Vorläufer nicht zu verkennen: Bereits die für Liechtenstein verbindliche Carolina von 1532 gewährte eine Reihe elementarer Justizgrundrechte zum Schutz vor willkürlicher Gefangennahme und zur Gewährleistung eines ordnungsgemässen Strafprozesses, die vor den obersten Reichsgerichten eingeklagt werden konnten: 1684 enthob der Reichshofrat den regierenden Grafen von Hohenems-Vaduz wegen schwerer Verstösse gegen diese unantastbaren Rechte seiner Herrschaftsgewalt.

Den ausführlichsten auch für Liechtenstein verbindlichen Grundrechtskatalog brachte die verfassunggebende Versammlung des Deutschen Reichs im Jahr 1848 mit 50 Artikeln hervor. Nur erlangte er niemals Geltung und wurde bereits 1851 vom Deutschen Bund suspendiert. An einer gliedstaatlichen Umsetzung versuchte sich der liechtensteinische Verfassungsrat von 1848, doch trat der Grundrechtsteil des Entwurfs niemals in Kraft.

Den ersten für Liechtenstein wirksam gewordenen Grundrechtskatalog enthielt die liechtensteinische Verfassung von 1862. Anerkannt wurden die Freiheit der Person, die Freiheit der äusseren Religionsausübung, die Pressefreiheit, die Niederlassungsfreiheit, die Eigentumsgarantie, die Gleichheit vor dem Gesetz, eine Reihe von Justizgrundrechten und das Wahlrecht für die Landtagsabgeordneten. Der Katalog fügte sich in das Bild der übrigen damaligen deutschen Bundesstaaten. Er war angesichts des monarchischen Prinzips weder naturrechtlich begründet noch sonderlich vollständig, noch liessen sich die Rechte gerichtlich durchsetzen.

Die bis heute verbindliche liechtensteinische Grundrechtsordnung schuf die Verfassung von 1921. Die liechtensteinischen Grundrechte wurden u.a. durch die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Handels- und Gewerbefreiheit sowie umfangreiche politische Wahl- und Stimmrechtsbestimmungen ergänzt und sprachlich modernisiert. Wie schon in der Verfassung von 1862 wurden die Grundrechte nicht als Menschenrechte verstanden. Es ist lediglich von «verfassungsmässig gewährleisteten Rechten» die Rede.

Zur Grundrechtsdurchsetzung wurde 1925 die Verfassungsgerichtsbarkeit des Staatsgerichtshofs mit den Verfahren der Verfassungsbeschwerde und der Normenkontrolle eingerichtet. Liechtenstein gehörte hierbei zusammen mit der Tschechoslowakei und Österreich zu den europäischen Vorreitern.

1982 trat Liechtenstein der Europäischen Menschenrechtskonvention bei, deren gegenüber der Verfassung von 1921 z.T. umfassendere Garantien seither als innerstaatliches Recht gelten. Unter anderem wurden so die bisher den Landesbürgern vorbehaltenen Rechte weitestgehend auf die Wohnbevölkerung ausgeweitet. 1992 wurde die liechtensteinische Verfassung im Ergebnis langjähriger Konflikte durch den speziellen Gleichheitssatz ergänzt, Frauen und Männer seien gleichberechtigt, nachdem man acht Jahre zuvor als letzter Staat Europas das Wahlrecht auf die weibliche Hälfte der Bevölkerung ausgeweitet hatte.

Literatur

  • Jörg-Detlef Kühne: Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben, Berlin 21998.
  • Die Menschenrechte in Deutschland, hg. von Franz-Josef Hutter, Carsten Tessmer, München 1997.
  • Wolfram Höfling: Die liechtensteinische Grundrechtsordnung. Eine kritisch-systematische Bestandsaufnahme der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs unter Berücksichtigung der Grundrechtslehren des deutschsprachigen Raumes, Vaduz 1994.
  • Beiträge zur geschichtlichen Entwicklung der politischen Volksrechte, des Parlaments und der Gerichtsbarkeit in Liechtenstein Anhang: Verfassungstexte 1808–1918, Vaduz 1981 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 8).

Zitierweise

<<Autor>>, «Grundrechte», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <https://historisches-lexikon.li/Grundrechte>, abgerufen am 16.2.2025.