Jahrzeit

Autor: Karl Heinz Burmeister | Stand: 31.12.2011

Die Jahrzeit (lateinisch anniversarium) geht auf die von den griechischen Kirchenvätern im 4./5. Jahrhundert entwickelte Idee des «Seelteils» zurück. Der Christ müsse zu seinem Seelenheil einen erheblichen Teil seines Vermögens (mind. ein Drittel) der Kirche vermachen. Die mittelalterliche Kirche empfahl, die Seele für das Jenseits mit einer mildtätigen Stiftung «auszurüsten», dem sogenannten Seelgerät, das neben Beichte und letzter Ölung Voraussetzung für die Absolution auf dem Sterbebett war. Die daraus entstandenen Jahrzeit-Stiftungen verbanden das Seelgerät mit der Auflage einer jährlichen Abhaltung eines Gedächtnisgottesdienstes am Todestag für den Stifter und dessen Familie. Die notwendigen Daten wurden in Jahrzeit-Büchern (Nekrologien, Totenbüchern) vermerkt, u.a. Name, Todestag, Stiftungsvermögen, Spenden an Klöster und Arme, Zahl der Messen und der beteiligten Priester. Gelegentlich enthalten Jahrzeit-Bücher auch chronikalische Angaben.

Jahrzeit-Bücher aus Klöstern sind seit dem Frühmittelalter überliefert (z.B. der «Liber viventium» aus dem Kloster Pfäfers aus dem 9. Jahrhundert), in Pfarreien wurden sie seit dem 14. Jahrhundert üblich. Ab dem Spätmittelalter entfernten sich die Jahrzeiten von der Idee des Seelteils und dienten v.a. der Verbesserung der Lebenshaltung des Klerus. Jahrzeit-Bücher bilden eine wichtige Quelle für die genealogische Forschung.

Jahrzeit-Stiftungen aus dem Raum Liechtenstein sind vermehrt seit dem 14. Jahrhundert überliefert. Das älteste erhaltene Jahrzeit-Buch einer liechtensteinischen Pfarrei ist das Mitte des 15. Jahrhunderts entstandene, in deutscher Sprache gehaltene Eschner Jahrzeit-Buch, das teilweise auf eine ältere Vorlage aus der Zeit um 1350 zurückgreift. In der frühen Neuzeit entstanden Jahrzeit-Bücher in allen liechtensteinischen Pfarreien. Für Liechtenstein ebenfalls von Bedeutung sind die in deutscher und lateinischer Sprache abgefassten Jahrzeit-Bücher von Feldkirch (St. Nikolaus, St. Johann), Ragaz, Maienfeld, Chur, Pfäfers, Sargans, Buchs, Glarus, Ludesch und Lindau. Jahrzeit-Stiftungen sind bis heute ein in der liechtensteinischen Bevölkerung verankertes Element des christlichen Totengedenkens (→ Tod).

Quellen

Literatur

  • Hans-Joachim Ignatzi: Jahrgedächtnis, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3., völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. 5 (1996), Sp. 711f.
  • Ferdinand Elsener: Jahrzeitstiftungen im Liechtensteinischen Urkundenbuch im Spiegel der Rechts- und der Kulturgeschichte, in: Das Fürstentum Liechtenstein - ein landeskundliches Portrait, hg. von Wolfgang Müller, Bühl/Bade 1981, S. 233–251.
  • Hieronymus Frank: Anniversarium, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 1 (1957), Sp. 577–579.
  • Franz Perret: Anniversaria. Vortrag gehalten zu Vaduz an der Jahres-Versammlung des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein 1951, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 55 (1955), S. 55–74.
  • Dictionnaire de Droit Canonique. Contenant tous les termes du droit canonique avec un sommaire de l'histoire et des institutions et de l'état actuel de la discipline, Bd. 1 (1935), S. 554–564.

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

Zitierweise

<<Autor>>, «Jahrzeit», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.