
Jugendorganisationen und -vereine
Autor: Donat Büchel | Stand: 31.12.2011
Im Freizeitbereich angesiedelte Zusammenschlüsse von Kindern und Jugendlichen. Unterschieden werden eigenständige Vereine und Untersektionen von Erwachsenenverbänden. Obwohl Zusammenschlüsse junger Leute, besonders lediger Männer, schon früher belegt sind, wuchs ihre Bedeutung v.a. seit dem 19. Jahrhundert. Die in dieser Zeit einsetzende Freisetzung von Jugendlichen aus dem Arbeitsprozess sowie die Verschulung der Lebensphase Jugend führte zu immer grösser werdenden Freiräumen für Jugendliche, die durch Jugendorganisationen und -vereine gestaltet und auch kontrolliert werden. Die Jugendorganisationen und -vereine werden in Liechtenstein im Rahmen der Jugendpflege seit 1958 (Jugendwohlfahrtsgesetz) von der öffentlichen Hand unterstützt.
Eigenständige Jugendorganisationen
Frühneuzeitliche Vorläufer der Jugendorganisationen und -vereine in Liechtenstein waren die Knabenschaften. Ende des 19. Jahrhunderts und v.a. in den 1920er und 30er Jahren gründeten Seelsorger in den meisten Gemeinden Marianische Kongregationen für die weibliche und Jungmannschaften für die männliche Jugend. Die katholische Kirche prägte die Jugendarbeit bis nach dem Zweiten Weltkrieg stark. Ihre Jugendorganisationen und -vereine gerieten in den 1960er und 70er Jahren aber in eine Krise; mit Ausnahme der Jungmannschaft Balzers lösten sie sich auf oder wandelten sich in beiden Geschlechtern offen stehende Jugendgruppen um. Ein weiterer religiöser Verein war der Blauring. Versuche, Jungwachten nach schweizerischem Vorbild zu etablieren, scheiterten nach wenigen Jahren. Auf Landesebene wurde die kirchliche Jugendarbeit 1979–98 (bis nach der Errichtung des Erzbistums Vaduz 1997) von der Jugendarbeitsstelle des Dekanats (JAS) eigenständig und professionell wahrgenommen. Sie bemühte sich seit 1993 auch um die Ministrantenpastoral, die 1999–2002 vom Verein Ministrantenpastoral und 2003–05 vom Haus Gutenberg weitergeführt wurde.
1975–83 war ein Teil der autonomen Jugendgruppen der Gemeinden in der Christlich Liechtensteinische Jugendbewegung organisiert. Diese gab 1977–84 mit der «Zitig» ein eigenes Organ heraus, das kritisch und aufgeschlossen zu jugendrelevanten Themen Stellung bezog.
Die meisten der älteren und der in den 1980er sowie 1990er Jahren entstandenen Jugendgruppen lösten sich mit dem Entstehen der im Rahmen der offenen Jugendarbeit professionell betriebenen Jugendtreffs der Gemeinden in den 1990er Jahren auf. 2008 gab es noch drei aktive autonome Gruppierungen.
Um 1900 wurde die 1923 aufgelöste Gymnasialverbindung «Rhenia» als Ferialverbindung für Liechtensteiner an ausländischen Gymnasien und Universitäten gegründet. Seit 1931 sind Pfadfinder-, seit 1932 Pfadfinderinnenabteilungen aktiv. Die Pfadfinder und Pfadfinderinnen Liechtensteins (PPL) sind heute die grösste Jugendorganisation in Liechtenstein. 1965–69 bestand das von einem parteiunabhängigen Verein getragene liechtensteinische Jugendparlament.
Untersektionen von Erwachsenenverbänden
Die ersten politischen Jugendorganisationen und -vereine entstanden in Liechtenstein in den 1930er Jahren. Von 1930 bis etwa 1938 bestand der «Heimatbund Jung Liechtenstein», welcher der Fortschrittlichen Bürgerpartei nahestand. Der Liechtensteiner Heimatdienst schuf 1933 den «Sturmtrupp» als Organisation für junge Parteiaktivisten. Er hatte Ähnlichkeiten mit der SA und trat sehr aggressiv auf. Nach der Fusion des Heimatdienstes mit der Volkspartei zur Vaterländischen Union (VU) 1936 wurde er als VU-Jungmännerorganisation beibehalten, trat aber kaum mehr in Erscheinung. 1938–45 war die nach dem Vorbild der Hitlerjugend geschaffene «Volksdeutsche Jugend» der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein aktiv, ab 1939 existierte zudem eine liechtensteinische Abteilung des «Bunds Deutscher Mädel». Die auslanddeutsche Ortsgruppe der NSDAP (AO) unterhielt ebenfalls eine Jugendabteilung («Reichsdeutsche Jugend»).
Nach dieser Phase der politischen Instrumentalisierung der Jugend durch radikale Gruppierungen schufen die demokratischen politischen Parteien erst relativ spät eigene Jugendorganisationen und -vereine: 1962 gründete die FBP ein «Jugendreferat» (seit 1981 «Junge FBP»), 1966 die VU die «Jugendunion» und 2005 die Freie Liste die «FL U22» (→ Jugendpolitik).
Im Bereich des Sports war die Entwicklung von Jugendsektionen je nach Dorf und Sportart unterschiedlich. Zu ersten Gründungen von Juniorenmannschaften im Fussball kam es in den 1930er Jahren (FC Triesen 1932), Jugendskikader entstanden ab den 1960er Jahren.
Die Ausscheidung von Jugendharmonien aus den Harmoniemusiken (→ Musik) begann in den 1970er Jahren. Die Musikschule führt ein Kinderorchester und führte einen landesübergreifenden Kinderchor. Die Kinder- und Jugendchöre einzelner Gemeinden bilden in der Regel unabhängige Vereine. Jugendsektionen wurden nach und nach von Vereinen aller Couleur geschaffen (z.B. Kindertrachtengruppen, Jugendfeuerwehr).
Im Verlauf der Zeit wuchs das Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche, was zu einer Konkurrenz unter Vereinen führte. 1999 besuchten rund drei Viertel aller Jugendlichen in Liechtenstein regelmässig einen Verein und/oder eine Jugendgruppe, davon 44 % einen Sportverein, 20 % einen Musikverein (Harmoniemusik, Chor etc.), jeweils rund 10 % die Pfadfinder, eine Jugendgruppe oder eine kirchliche Organisation (z.B. Ministranten). Weitere 5 % waren in den Bereichen Natur-, Tier- und Umweltschutz oder in politischen Organisationen aktiv, 12 % in anderen Organisationen oder Vereinen.
Literatur
- Klaus Biedermann: Das Dekanat Liechtenstein 1970 bis 1997. Eine Chronik des kirchlichen Lebens, Vaduz 2000, S. 175–211, 345–346.
- Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, 2 Bände, Vaduz/Zürich 1997, 22000.
- Liechtensteinische Jugendstudie 1999. Ergebnisse, Analysen und Kommentare, hg. vom Amt für Soziale Dienste, Schaan 1999.
- Bericht der Regierung zur Kinder- und Jugendpolitik in Liechtenstein, Vaduz 1996.
- Walter Kranz: Fürstentum Liechtenstein. Eine Dokumentation, hg. von der Presse- und Informationsstelle der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz 1978, S. 139–143.
- Karl Jehle: Die ausserschulische Jugendarbeit im Fürstentum Liechtenstein, Dissertation Salzburg, Manuskript 1970.
Zitierweise
<<Autor>>, «Jugendorganisationen und -vereine», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.