
Jugendpolitik
Autor: Konrad Kindle | Stand: 31.12.2011
Der Begriff «Jugend» bezeichnet den Lebensabschnitt zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenleben eines Individuums, aber auch die soziale Gruppe der in diesem Lebensalter stehenden Menschen. Die je nach Definition etwa vom 14.–24. Lebensjahr dauernde Jugendphase ist wesentlich durch die Pubertät, die Ablösung von der Herkunftsfamilie, das Erlangen der beruflichen und materiellen Selbständigkeit sowie den Aufbau geschlechtlicher Beziehungen geprägt. Die Erlangung der geschlechtlichen, rechtlichen, religiösen, wirtschaftlichen und politischen Reife konnte in der frühen Neuzeit zeitlich stark auseinanderfallen. Zur Wahrnehmung der Jugend als eigener Lebensphase kam es erst ab dem 18./19. Jahrhundert. Unter Jugendpolitik wird v.a. die auf die Jugendlichen bezogene staatliche Politik verstanden, aber auch das politische Verhalten der Jugendlichen selbst.
Staatliche Jugendpolitik
Der Staat bzw. die Obrigkeit versuchten schon früh, das als potenziell ordnungsstörend empfundene Verhalten junger Leute zu disziplinieren, wie u.a. der Vaduzer Landsbrauch (älteste Abschrift 1667) und die liechtensteinische Policeyordnung (1732) zeigen. Der Gedanke der staatlichen Förderung und des Schutzes der Jugend wird in Liechtenstein im 19. Jahrhundert fassbar, etwa in der allmählichen Verbesserung des Schulwesens ab 1805 oder im Verbot der Kinderarbeit in Fabriken 1865. 1812 brachte die Rezeption des österreichischen Strafgesetzbuchs von 1803 die Einführung besonderer Strafbestimmungen für Jugendliche.
Von grosser praktischer Bedeutung ist die staatliche Regelung der Volljährigkeit, die ab 1812 mit 24 Jahren erreicht wurde. Für das aktive und passive Stimm- und Wahlrecht war ab 1922 das vollendete 21. Lebensjahr entscheidend, welches gemäss Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) von 1926 als Mündigkeitsalter galt. 1969 erfolgte die Senkung auf 20 und 2000 auf 18 Jahre. Nach und nach wurden weitere jugendspezifische Themen gesetzlich geregelt, etwa 1952 die Beteiligung der Volksschüler an Turnriegen, Sport- und anderen Vereinen. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts fehlte aber eine mit Jugendfragen betraute staatl. Stelle, sodass sich v.a. Schule und Kirche, Jugendorganisationen und -vereine sowie Arbeitgeber um die Jugend und den Jugendschutz kümmerten; in der Jugendfürsorge engagierte sich das Liechtensteinische Rote Kreuz.
Eine systematische staatliche Jugendpolitik begann mit dem Jugendwohlfahrtsgesetz von 1958, das sich zum Zweck setzte, Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr «in ihrer seelischen, geistigen und körperlichen Entwicklung zu fördern und sie gegen Einwirkungen, die ihrer Wohlfahrt entgegenstehen, zu schützen» (Art. 1). Als Träger der öffentlichen Jugendfürsorge wurden ein Jugendamt und ein Jugendrat geschaffen. Aufgabe des Jugendamts war v.a. die Durchführung von Fürsorgemassnahmen und die Übernahme von Amtsvormundschaften; gemeinsam mit dem Jugendrat wachte es über Gefährdungen der Jugend an Sport- und Badeplätzen, durch Druckerzeugnisse, Lichtspieltheater usw. Das Gesetz gewährleistete eine kostenlose Berufsberatung, enthielt Bestimmungen zum strafrechtlichen Jugendschutz und regelte das Verfahren in Jugendstrafsachen (Einsetzung des Landgerichts als Jugendgericht). In der Jugendpflege stand der Regierung 1964–80 der Kultur- und Jugendbeirat zur Seite.
Das Jugendamt wurde 1966 dem neu geschaffenen Fürsorgeamt angegliedert. Es beschäftigte sich v.a. mit jugendfürsorgerischen Massnahmen, wie der Betreuung von behinderten und milieugeschädigten Kindern, pädagogischer und finanzieller Hilfe und Fremdplatzierungen. 1992 wurden das Fürsorgeamt und das Jugendamt zum Amt für Soziale Dienste zusammengelegt, in welchem der «Kinder- und Jugenddienst» einen von vier Bereichen bildet (→ Sozialhilfe). Eine Verordnung zum Arbeitsgesetz (1968) gewährte jugendlichen Arbeitnehmern einen Sonderschutz, hauptsächlich betreffend unzumutbare Arbeiten, Beschäftigung im Alter von unter 15 Jahren und Arbeits- und Ruhezeiten.
1980 trat ein neues Jugendgesetz in Kraft, das als Novum die sogenannte Jugendpflege, den Jugendschutz und die Jugendhilfe zusammenlegte und die fördernden gegenüber den verbietenden Massnahmen stärker betonte. Es sollte Kinder und Jugendliche in ihrer körperlichen, charakterlichen, sozialen, kulturellen und religiösen Entwicklung unterstützen und darin die Erziehungsaufgaben von Familie, Schule und «Beruf» ergänzen. Die Bestimmungen über die Jugendpflege gingen von der Notwendigkeit einer sinnvollen Freizeitgestaltung aus. Der Staat sollte nicht selbst als Rechtsträger von Einrichtungen wie Jugendtreffpunkten auftreten, sondern nach dem Subsidiaritätsprinzip die in der Jugendarbeit bewährten Institutionen, Organisationen und Personen materiell unterstützen, z.B. mit der Ausbildung von Jugendleitern. Die Gemeinden waren aufgefordert, mit der Einrichtung von Jugendkommissionen und dem Zurverfügungstellen geeigneter Räumlichkeiten einen Beitrag zu leisten. In Bezug auf den Jugendschutz wurden der gesellschaftliche Wandel und die veränderten Einflüsse und Gefährdungen, denen die Jugendlichen ausgesetzt waren, berücksichtigt. Die Jugendlichen sollten einen weit abgesteckten Freiraum in eigener Verantwortung ausfüllen können. Die Regelungen betrafen im Einzelnen den abendlichen Ausgang, öffentliche Filmvorführungen, den Aufenthalt in Gastgewerbebetrieben, den Genuss von Alkohol, Tabak und anderen Drogen (Betäubungsmitteln) sowie sittlichkeitsgefährdende und verrohende Medien. Die Jugendhilfe bei unmittelbar drohender oder bereits eingetretener Schädigung von Kindern und Jugendlichen sah die finanzielle Unterstützung nichtstaatlicher Träger und die Hilfe für Kinder und Jugendliche in bestimmten Lebenslagen (Krankheit, Behinderung, Pflege, Adoption, Suchtgefährdung, Arbeitslosigkeit usw.) vor. Die Mitarbeit der Eltern wurde im Normalfall vorausgesetzt (freiwillige Einzelhilfe), bei ernster Gefährdung des Kindeswohls aber die Anordnung von Massnahmen gegen den elterlichen Willen durch das Landgericht ermöglicht (gesetzliche Einzelhilfe). Mit dem Vollzug des Jugendgesetzes wurden das Jugendamt, die von einem Jugendrat beratene Regierung und das Landgericht betraut. Für die Finanzierung der Jugendpflege war das Land allein zuständig. Die Kosten der Jugendhilfe trug es bis 2005 hälftig mit den Gemeinden im Verhältnis ihrer Einwohnerzahl.
Eine 2008 erfolgte Gesamtrevision des Jugendgesetzes trug dem enormen gesellschaftlichen und technischen Wandel der letzten drei Jahrzehnte und besonders dem Gedanken verstärkter Partizipation Rechnung. Das neue «Kinder- und Jugendgesetz» brachte u.a. mehr Rechte und Pflichten für die Eltern sowie mehr Schutz und Sicherheit für die Kinder. Kinder, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten, sind entkriminalisiert und die Ausgangszeiten für Kinder und Jugendliche verlängert worden.
Seit den 1980er Jahren entstanden in allen Gemeinden professionell betreute Jugendtreffs und Jugendkommissionen als beratende Gremien der Gemeinderäte. In den letzten Jahren investierte das Land etwa 1,5 Mio. Fr. jährlich in die Jugendpflege. Im Vergleich dazu stiegen die Kosten für die Jugendhilfe überproportional und betrugen etwa 3,5 Mio. Fr. jährlich. Die Ausgaben für den Jugendschutz fallen dagegen kaum ins Gewicht.
1995 ratifizierte der Landtag die UN-Kinderrechtskonvention (in der Kinder als Menschen unter 18 Jahren definiert werden). Seit 1977 ist Liechtenstein der schweizerischen Organisation «Jugend und Sport» angeschlossen und seit 1999 bietet das Jugendinformationszentrum «aha» in Schaan Jugendlichen umfassende Tipps und Infos auf verschiedenen Gebieten. Der liechtensteinische EWR-Beitritt 1995 ermöglicht es jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren am Programm JUGEND bzw. «Jugend in Aktion» der EU teilzunehmen.
Politisches Verhalten der Jugendlichen
Zwar bestanden auch in Liechtenstein schon in der frühen Neuzeit Zusammenschlüsse junger Männer in Knabenschaften, über deren politisches Verhalten jedoch wenig bekannt ist. Die Jungmannschaften und Jungfrauenkongregationen des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert dienten v.a. der katholischen Sozialisierung und boten den Jugendlichen kaum Gelegenheit zu selbständigem politischem Denken und Handeln (→ Jugendorganisationen und -vereine).
Dass von der als «Sturm-und-Drang-Zeit» aufgefassten Jugend ein besonderes Engagement erwartet wird, welches sich als Jugendbewegung oder gar als Jugendprotest äussert, ist ein neueres Phänomen. Dem gegenüber steht die Beobachtung einer «entpolitisierten» Jugend mit entsprechenden Befürchtungen hinsichtlich ihres staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins. Der jugendliche Aufbruch der 1960er Jahre fand in Liechtenstein ein abgeschwächtes politisches Echo. Zu nennen sind z.B. die Tätigkeit eines Jugendparlaments 1965–69 und die Protestaktionen von Gymnasiasten bei der Ablehnung des Frauenstimmrechts 1971. Ebenfalls teilweise um Generationsphänomene handeln dürfte es sich bei den Protestbewegungen der 1980er Jahre (z.B. Aktion Dornröschen, Zeitung «Maulwurf»), die mit zur Gründung der Freien Liste führten, oder beim politischen Engagement der ab 2005 aktiven Jugendinitiative Colorida gegen den Rechtsextremismus. Andererseits ist seit den 1990er Jahren ein vermehrtes Auftreten junger, rechtsradikaler Männer (Neonazis, Skinheads) zu verzeichnen.
Auf institutioneller Ebene wirken seit den 1960er Jahren die Jugendorganisationen der grossen Volksparteien: die «Jugendunion» der VU und die «Junge FBP». Sie wollen jugendliche Wähler ansprechen und jugendtypische Aspekte in die Politik ihrer Parteien einbringen.
Quellen
- Bericht und Antrag der Regierung des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Gesamtrevision des Jugendgesetzes vom 19.12.1979, 28/2007, 27.3.2007.
- Bericht der Regierung zur Kinder- und Jugendpolitik in Liechtenstein, Vaduz 1996.
- Bericht und Antrag der Regierung des Fürstentums Liechtenstein zur Schaffung eines Jugendgesetzes, 1979.
- Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag, Vaduz 1922– (diverse Titelvarianten, seit 1999: Landtag, Regierung und Gerichte. Bericht des Landtages, Rechenschaftsbericht der Regierung an den Hohen Landtag, Berichte der Gerichte, Landesrechnung); online ab Jahrgang 2005.
Literatur
- Lucien Criblez: «Jugendpolitik», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.06.2015.
- Liechtensteinische Jugendstudie 2006, Hg. Amt für Soziale Dienste, 2007.
- Adulf Peter Goop, Günther Meier, Daniel Quaderer: Brauchtum Liechtenstein. Alte Bräuche und neue Sitten, hg. von Daniel Quaderer, Schaan 2005.
- Liechtensteinische Jugendstudie 1999, Hg. Amt für Soziale Dienste, 1999.
Zitierweise
<<Autor>>, «Jugendpolitik», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.