Kirchenrecht

Autor: Herbert Wille | Stand: 31.12.2011

Das Recht der katholischen Kirche wurde ab dem 12. Jahrhundert im Corpus Iuris Canonici zusammengefasst und 1917 und 1983 im Codex Iuris Canonici (CIC) neu kodifiziert. Es regelt die Struktur und die Organisation der Kirche und beeinflusste das weltliche Recht stark. Vom Kirchenrecht zu unterscheiden ist das Staatskirchenrecht; dieses umfasst das staatliche Recht, welches das Verhältnis des Staats zu den Religionsgemeinschaften bestimmt (→ Kirche und Staat).

Nach kirchlichem Verständnis gehörten bis zur Säkularisation Anfang 19. Jahrhundert kraft sachlicher Zuständigkeit Ehe-, Patronats- und Erbschaftssachen und kraft persönlicher Zuständigkeit die Armen, Witwen und Waisen sowie Angelegenheiten, welche die Kirche oder Geistliche betrafen, vor ein geistliches Gericht (Offizialat). Seit dem 15./16. Jahrhundert sind Fälle aus der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg vor dem Offizialat in Chur belegt, etwa in Zins- und Zehntkonflikten, Ehe-, Familien- und Erbschaftsangelegenheiten. Die kirchliche Gerichtsbarkeit griff tief in das bürgerliche Leben ein. Das Kirchenrecht galt im Eherecht bis zur Einführung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) 1812. Der Staat überliess es den kirchlichen Gerichten, die Gültigkeit der Ehen zu beurteilen und Trennungsklagen zu entscheiden. Der moderne Staat versuchte, die konkurrierenden kirchlichen Souveränitätsansprüche z.B. in den Bereichen Ehe und Schule zurückzudrängen, was an die Grundlagen des Kirchenrechts rührte.

Die katholische Kirche stiess mit ihrem Anspruch, eine vom Staat unabhängige Gemeinschaft zu sein, die eigenes Recht erlässt, immer mehr an die vom staatlichen Recht gezogenen Grenzen. Der Verfassunggeber von 1921 lehnte es ab, die katholische Kirche, wie von ihr gefordert, «nach Massgabe ihrer Rechtsnormen» dem Staat gegenübertreten zu lassen. Aufgrund der überkommenen Stellung der katholischen Kirche im sozialen Leben nahm aber die bis heute geltende Verfassung von 1921 beim Erziehungs- und Unterrichtswesen wie auch beim Schutz des Kirchenguts Bezug auf kirchliches Recht. Dieses beeinflusste weiterhin die staatliche Rechtsordnung, z.B. beim Schulgesetz 1929 und bei der Ablehnung der Zivilehe bis 1974. Noch heute gibt es in verschiedenen Rechtsgebieten, wie dem Strafrecht und dem Strafprozessrecht, Berührungen mit dem Kirchenrecht. Die Ehegesetzgebung nahm 1974 wie auch heute noch besonders bei den Ehehindernissen und den Eheungültigkeitsgründen Rücksicht auf das kirchliche Recht.

Literatur

  • Herbert Wille: Die Bekenntnisfreiheit im Verfassungsrecht des Fürstentums Liechtenstein: XI. Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte: Landesbericht Liechtenstein, in: Europäische Grundrechte Zeitschrift, Jg. 26 (1999), S. 543–550.
  • Winfried Trusen: Gericht, Gerichtsbarkeit. III. Kanonisches Recht, in: Lexikon des Mittelalters. Bd. 4 (1989), Sp. 1325f.
  • Herbert Wille: Staat und Kirche im Fürstentum Liechtenstein, Freiburg 1972 (=Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 15).
  • Gerhard Buchda: Gerichtsverfassung. II. Weltliche und geistliche Gerichtsbarkeit, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1 (1971), Sp. 1567f.

Zitierweise

<<Autor>>, «Kirchenrecht», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 7.2.2025.