
Kredit
Autor: Alois Ospelt, Karlheinz Heeb | Stand: 31.12.2011
Kredit ist die Überlassung einer Sache oder von Geld auf Zeit, meist gegen ein Entgelt (Zins). Im Unterschied zur Miete, Pacht oder Leihe (→ Lehen) erhält der Kreditnehmer vollständiges Verfügungsrecht über das kreditierte Gut. Nach Art seiner Verwendung, Sicherung und Dauer haben sich verschiedene Kreditformen entwickelt.
Bis 1924
Bei der bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fast allein auf die Landwirtschaft ausgerichteten und sich weitgehend selbst versorgenden bäuerlichen Bevölkerung in Liechtenstein war Geld nur spärlich im Umlauf. Nur für besondere Aufwendungen und in Notlagen beschaffte sie sich Geld auf dem Kreditweg. Dabei war der Kredit mit Deckung im Grundeigentum (Bodenkredit) praktisch die einzige Kreditform. Er kam in verschiedenen Arten und Bezeichnungen vor: Seit dem Mittelalter weit verbreitet war die Gült (Rente), eine Geldanlage gegen Zins, für die ein Grundstück als Pfand haftete. Sie war ursprünglich weder kündbar noch ablösbar, aber in verbriefter Form handelbar wie ein Wertpapier. Eine andere alte Form war das Eigentumspfand, wobei dem Gläubiger bis zur Auslösung entweder das Pfandgut zur Nutzung übergeben oder dessen Ertrag überlassen wurde. Im Schuldbrief als dritter Kreditform wurde im Unterschied zur Gült zusätzlich die persönliche Haftbarkeit des Schuldners mit seinem gesamten Vermögen festgeschrieben (Generalunterpfand). Der in dieser Form der Grundpfandverschreibung verbriefte Hypothekarkredit wurde im 18. Jahrhundert zur bedeutendsten Kreditart (und ist es mit der späteren Verankerung im staatlichen Recht bis heute geblieben). Das Pfand bildete die Hypothek und konnte vom Gläubiger verwertet werden, wenn der Schuldner den Zins nicht entrichtete (Zinsfälligkeit) oder den Kredit nicht zurückzahlte. Der Zins betrug zumeist 5 %. Für die Auflösung des Hypothekarkredits galt eine gegenseitige halbjährige Kündigungsfrist.
Ursachen für eine generationenlang anhaltende, starke Verschuldung der Bevölkerung bildeten neben privaten Lebensumständen äussere Ereignisse wie im 17. Jahrhundert der Dreissigjährige Krieg und die Schuldenwirtschaft der hohenemsischen Landesherrschaft oder Ende 18. Jahrhundert die Koalitionskriege. «Schuldentrieb» und Konkursordnung waren einseitig auf Gläubigerschutz ausgerichtet. In Notzeiten blühte der Wucher. Im frühen 19. Jahrhundert wurden viele Kredite gekündigt, neues Geld war nicht oder nur zu hohen Zinssätzen aufzutreiben. Viele Schuldner gerieten in den finanziellen Ruin. Schutz und Förderung des Hypothekarkredits wurden zur wichtigsten Voraussetzung für eine wirtschaftliche Besserung. In der Folge wurde der Hypothekarwert der Kulturflächen durch Güterzusammenlegung, Entwässerung und den Schutz vor Rüfen und Rhein sowie durch die intensivere Nutzung dank Grundentlastung und Bauernbefreiung erhöht. Herausragende Bedeutung für die Sicherung von Grundbesitz und Hypotheken kam dem 1809 geschaffenen Grundbuch und der 1865–70 durchgeführten Landeskatastervermessung (→ Vermessung) zu.
Die amtlich geschätzte private Hypothekarverschuldung betrug 1809 mehr als 1 Mio. Gulden, 1832 800 000 Gulden und 1900 2 Mio. Gulden. Der Wert des gesamten Privatbodens wurde 1842 auf ca. 2,2 Mio. Gulden geschätzt.
Bis zur Gründung der Liechtensteinischen Landesbank (LLB) 1861 beherrschten private Geldgeber das Kreditgeschäft. Neben vermögenden Privaten aus Graubünden, Vorarlberg (v.a. aus Feldkirch) und vereinzelt aus Liechtenstein hatten in kleinerem Umfang kirchliche Stiftungen und ausländische Klöster Hypothekardarlehen angelegt, ab dem 15./16. Jahrhundert in bescheidenem Mass auch die lokalen Pfarrei-/Kaplaneipfründen und Armenanstalten (→ «Spend»). Landesherren, Staat und Gemeinden spielten für das private Kreditwesen kaum eine Rolle. 1809 z.B. stammten 56 % der ins Grundbuch eingetragenen Hypothekardarlehen aus der Schweiz, 28 % aus Österreich und 15 % aus Liechtenstein; auf private Kreditgeber entfielen 66 %, auf die Kirche 24 % und auf Staat und Gemeinden 10 %. Im Lauf des 19. Jahrhunderts nahm die Bedeutung der von Staat, Gemeinden und Pfarreien errichteten Fonds und Stiftungen zu (u.a. Schulfonds, Armenfonds, Waisenamt). Deren Hypothekardarlehen übertrafen bis 1875 jene der LLB. 1899 wurden die Hypothekardarlehen der von der Landeskasse verwalteten Fonds und Stiftungen an die LLB abgetreten und ihr Verwaltungsvermögen wesentlich vermehrt. Der Übergang von Privat- zu Bankdarlehen war damit weitgehend vollzogen. Hypothekarkredite werden seither überwiegend aus Spargeldern und Kassenobligationen gespeist. Für die Entwicklung der liechtensteinischen Industrie hatte die LLB im 19. Jahrhundert eine untergeordnete Bedeutung, da die grossen Textilfabriken ihr Kapital im Ausland beschafften. Die Kronen-Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg (100 Kronen entsprachen Ende 1918 rund 30 Fr., 1922 weniger als 1 Rappen) vernichtete bis 1921 sowohl Spareinlagen als auch Hypothekarschulden bei der LLB: das liechtensteinische Kreditwesen brach zusammen. Die Summe der Hypothekardarlehen fiel von 4,3 Mio. Kronen 1915 auf 157 000 Kronen 1921, was noch einem Wert von rund 300 Fr. entsprach. 1919 und 1920 konnte die LLB keine Hypothekardarlehen ausgeben.
Alois Ospelt
Nach 1924
Einen Ausweg aus der Krise ermöglichte ab 1919 die Hinwendung zum Schweizer Franken, der 1924 offiziell als →Währung eingeführt wurde. Trotz mehrerer Darlehen Fürst Johanns II. 1920 dauerte es noch Jahre, bis die LLB wieder in genügendem Umfang über Kapital verfügte, um dem Bedürfnis nach Hypothekardarlehen einigermassen zu entsprechen; 1937 nahm auch die 1920 gegründete BiL (→ LGT Bank in Liechtenstein) das Spar- und Hypothekargeschäft auf. Aufgrund der Geldknappheit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren aber viele Darlehensnehmer gezwungen, sich Geld bei Banken im Kanton St. Gallen zu beschaffen. Während des Zweiten Weltkriegs tätigten die LLB und die BiL Kreditgeschäfte fast ausschliesslich in Liechtenstein und auf gedeckter Basis, darunter auch die Kreditfinanzierung von liechtensteinischen Industrieexporten ins Dritte Reich. Die BiL nahm zudem einzelne Kreditgeschäfte mit ausländischen Firmen und Personen vor. Nach dem Kriegsende (1945) beliefen sich die Hypothekardarlehen der LLB auf 14,8 Mio. Fr. und jene der BiL auf 1,1 Mio. Fr.
Im Zug der stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Krediten massiv an: Die Banken, ab 1975 auch die 1956 gegründete VP Bank, ermöglichten durch ihre Betriebs- und Baukredite sowohl den raschen Aufschwung des stark investierenden 2. Sektors (Industrie und Gewerbe) als auch den privaten Bauboom. So verzehnfachte sich 1970–92 der Bestand an Hypothekaranlagen. Aufgrund des starken Zustroms ausländischer Gelder war die Schweiz in den 1960er und 70er Jahren gezwungen, Massnahmen zum Schutz des Frankens zu ergreifen. Einschneidend war besonders der dringliche schweizerische Bundesbeschluss, der von Dezember 1972 bis April 1975 den Kreditzuwachs zur Konjunkturdämpfung vorübergehend begrenzte (Verzinsungs- und Anlageverbot). Von diesen Massnahmen waren die liechtensteinischen Banken teilweise stark betroffen (z.B. durch Kontingente auf neuen Hypotheken), da Liechtenstein trotz der Einführung des Schweizer Frankens 1924 bis zum Währungsvertrag von 1980 den Status als «schweizerisches Währungsausland» hatte. Durch Notenwechsel sowie vergleichbare liechtensteinische Gesetze und Verordnungen konnten innerhalb weniger Monate Lösungen gefunden werden.
Der massive Anstieg der Hypothekaranlagen in den letzten Jahrzehnten ist auch auf die zusätzliche Belehnung von Objekten in der Schweiz zurückzuführen. Neben der variablen Hypothek (Normal- oder Standardhypothek) mit Amortisationspflicht (Annuitätentilgung), v.a. für zweite Hypotheken, ist seit den 1990er Jahren die Festhypothek (unveränderter Zinssatz für die ganze Laufzeit) verbreitet. Rund 85 % (Ende 2006) der Hypothekaranlagen entfallen auf den privaten und allgemeinen Wohnungsbau. Liechtenstein hat weltweit eine der höchsten hypothekarischen Verschuldungen (schätzungsweise 140 000 Fr. pro Einwohner), was mit den im internationalen Vergleich niedrigen Zinsen – sie lagen bis Ende der 1990er Jahre jeweils rund ¼–½ % tiefer als in der selbst als Zinsinsel geltenden Schweiz – und den hohen Liegenschaftspreisen zusammenhängen mag. Von den gesamten Kundenausleihungen der liechtensteinischen Banken machten 2006 die Hypothekaranlagen knapp die Hälfte aus. Neben dem Bau- und Hypothekarkredit sind der Kontokorrentkredit mit und ohne Sicherheiten (Blankokredit), das Darlehen (fester Vorschuss, Festkredit) und der Kredit an die öffentliche Hand (Domäne der LLB) die wichtigsten Kreditarten. Beachtlich ist bei den stark im Börsengeschäft tätigen liechtensteinischen Banken der Lombardkredit (Kredit gegen Verpfändung von Wertpapieren). Der private Klein- oder Konsumkredit hat erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen; sein Anteil an der privaten Verschuldung ist aber gering. Ende der 1950er Jahre fasste das Leasing auch in Liechtenstein für verschiedene Geschäfte Fuss (u.a. Autoleasing).
Karlheinz Heeb
Quellen
- Bankenstatistik, 1980–2007 hg. vom Amt für Volkswirtschaft, seit 2008 hg. vom Amt für Statistik.
Literatur
- Hanspeter Lussy, Rodrigo López: Finanzbeziehungen Liechtensteins zur Zeit des Nationalsozialismus, 2 Bände, Vaduz/Zürich 2005, S. 411–426 (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg, Studie 3).
- Karlheinz Heeb: 80 Jahre Schweizer Franken in Liechtenstein. Eine erfolgreiche Währungsgemeinschaft, Vaduz 2004.
- Alexander Meili: Geschichte des Bankwesen in Liechtenstein (1945-1980), Frauenfeld 2001.
- Peter Kaiser: Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein. Nebst Schilderungen aus Chur-Rätien’s Vorzeit, Chur 1847, neu hg. von Arthur Brunhart, Bd. 1: Text, Bd. 2: Apparat, Vaduz 1989.
- Karlheinz Heeb, Hansrudi Sele: Die Liechtensteinische Landesbank 1861–1986, Vaduz 1986.
- Alois Ospelt: Wirtschaftsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Von den napoleonischen Kriegen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch des Historischen Vereins Liechtenstein, Bd. 72 (1972), S. 5–423, hier S. 307–321, Anhang, S. 219–221.
- Otto Seger: Hundert Jahre Liechtensteinische Landesbank 1861-1961, Vaduz 1961.
- Emil Heinz Batliner: Das Geld- und Kreditwesen des Fürstentum Liechtenstein in Vergangenheit und Gegenwart, Winterthur 1959.
Zitierweise
<<Autor>>, «Kredit», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.