
Kriminalität
Autor: Karl Heinz Burmeister | Stand: 31.12.2011
Unter Kriminalität wird die Gesamtheit der durch das Strafrecht verfolgten Handlungen als soziale Tatsachen verstanden. Ein genereller Konsens über Wert und Unwert solcher Handlungen besteht nicht, vielmehr unterliegt deren Beurteilung zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen einer differenzierten und wandelbaren Einschätzung: Bestimmte Handlungen können kriminalisiert oder entkriminalisiert werden.
Die historische Entwicklung der Kriminalität ist in Liechtenstein kaum untersucht und bis ins 18. Jahrhundert nur lückenhaft dokumentiert. Ab dem 16. Jahrhundert sind dazu v.a. Urfehdebriefe (→ Urfehde) erhalten, ab dem 17. Jahrhundert auch Gerichtsprotokolle. Mit dem Ausbau des Gerichtswesens und des Strafrechts in der frühen Neuzeit wurde die Verfolgung und Bestrafung von Kriminalität zu einer obrigkeitlichen Aufgabe. In der agrarischen Gesellschaft des nicht urbanisierten, ärmlichen Liechtenstein standen die Eigentumsdelikte an der Spitze und wurden häufig mit dem Galgen bestraft. Meist mit der Todesstrafe belegt waren auch die seltenen Mord- und Totschlagsdelikte (für die meistens umherziehende Räuber verantwortlich gemacht wurden), Sexualdelikte und Ehebruch, Ungehorsam und Aufruhr. Als schwere Verbrechen galten zudem das Verrücken von Grenzmarken und gemäss der Carolina von 1532 die Ausübung von Magie mit schädigender Absicht. Im 16. und 17. Jahrhundert kam es in den Herrschaften Vaduz und Schellenberg zu intensiven Hexenverfolgungen. Wenn auch nach 1681 keine Hexenprozesse mehr stattfanden, wurde dieses Delikt erst mit der Aufhebung der Carolina im frühen 19. Jahrhundert entkriminalisiert.
Die meisten Vergehen wurden mit Bussen geahndet, so die Wild- und Forstfrevel, die vielen Raufhändel (geringfügige Körperverletzungen strafte man nicht als Straftaten, sondern als Frevel vor dem Niedergericht), die überaus häufigen Injurien (Ehrbeleidigungen) sowie das Gotteslästern und Fluchen, die nur in schweren Fällen der Kriminalität zugerechnet und sonst als Frevel mit Ehrenstrafen oder Geldbussen bestraft wurden. Bestand schon im 17./18. Jahrhundert die Tendenz zur Kriminalisierung der Bettler und Vaganten (→ Bettelwesen), fand ein allgemeines Bettelverbot mit Arrestandrohung Eingang in die Polizeiordnung von 1843.
Quantitative Aussagen zur Entwicklung der Kriminalität sind erst im 20. Jahrhundert aufgrund der polizeilichen Kriminalstatistik möglich. Sie registriert die angezeigten Straftaten nach Alter und Geschlecht von Täter und Opfer, Staatsangehörigkeit, Zeit, Ort und Schadenhöhe; die gerichtliche Strafstatistik weist die Verurteilungen und Freisprüche aus. Die liechtensteinische Kriminalstatistik ist wegen der geringen Zahl von Verbrechen international nur begrenzt vergleichbar.
Der in Liechtenstein seit den 1950er Jahren zu beobachtende statistische Anstieg der Kriminalität dürfte (z.B. im Bereich der Wirtschaftskriminalität) auch mit einer intensivierten Strafverfolgung und der Einführung neuer Straftatbestände zu tun haben. In den 1960er Jahren waren zwei Drittel der Straftaten Verkehrsdelikte (vergleichsweise liegt in Deutschland die Zahl der abgeurteilten Verkehrsdelikte bei 42 %). Seither nahmen die Eigentums- und Vermögensdelikte (Diebstahl, Veruntreuung und Sachbeschädigung) stark zu und stehen in Liechtenstein wie in Österreich und der Schweiz nach den Verkehrsdelikten an zweiter Stelle. Ihr relativer Anteil ging jedoch zurück. Die seltenen Mord- und Totschlagsdelikte kommen in manchen Jahren überhaupt nicht vor. Neue Straftatbestände sind z.B. Geldwäscherei (seit 1996), Rassendiskriminierung (seit 2000) und Vergewaltigung in der Ehe (seit 2001). Zu einer Entkriminalisierung kam es im 20. Jahrhundert u.a. bei gewissen Sexualdelikten (so sind Ehebruch und Homosexualität seit 1989 nicht mehr unter Strafe gestellt), nicht jedoch beim Schwangerschaftsabbruch.
Unter den Straftätern sind die Männer deutlich übervertreten (2005 80 % der verzeigten Täter), 23 % der im Jahr 2005 ermittelten Täter bei Straftaten nach StGB waren jugendlich.
Archive
- Liechtensteinisches Landesarchiv, Vaduz (LI LA).
Quellen
- Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag, Vaduz 1922– (diverse Titelvarianten, seit 1999: Landtag, Regierung und Gerichte. Bericht des Landtages, Rechenschaftsbericht der Regierung an den Hohen Landtag, Berichte der Gerichte, Landesrechnung); online ab Jahrgang 2005.
Literatur
- Burghartz Susanna, Cornelius Helmes-Conzett: Kriminalität, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Version vom 04.11.2008.
- Manfred Tschaikner: «Der Teufel und die Hexen müssen aus dem Land ...». Frühzeitliche Hexenverfolgungen in Liechtenstein, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 96 (1998), S. 1–198.
- Petra Hoyer, Joachim Klos: Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und ihre Anwendung in der Praxis: Geldwäschegesetz, Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, internationale Regelungen, Bielefeld ²1998, S. 153–161.
- Clemens Amelunxen: Die Kleinstaaten Europas. Rechtsleben und Polizei der kleinsten Länder Europas, Hamburg 1964, S. 23–44.
Zitierweise
<<Autor>>, «Kriminalität», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.