
Landschaft (Verfassung)
Autor: Fabian Frommelt | Stand: 31.12.2011
Als Verfassungsbegriff bezeichnet Landschaft im römisch-deutschen Reich die «genossenschaftlich organisierte, korporativ auftretende Untertanenschaft einer Herrschaft, sofern diese Herrschaft Trägerin der Landeshoheit war» (Peter Blickle). Landschaften verfügten meist über gewisse Autonomierechte und bildeten die politische Repräsentation der Untertanen gegenüber der Herrschaft. Die besonders in den sozial homogenen Kleinterritorien des deutschen Südwestens meist zwischen etwa 1450 und 1525 entstandenen Landschaften umfassten nur Bauern (und allenfalls Stadtbürger) als einzigen Stand. Daneben wurde der Begriff teilweise auch in sozial komplexeren Territorien für die Gesamtheit der auf dem Landtag vertretenen Landstände (Prälaten, Adel, Stadtbürger, Bauern) verwendet, etwa in Tirol.
Je eine dem erstgenannten Typus nahestehende Landschaft bildeten, zumindest in Ansätzen, ab dem späteren 15. Jahrhundert die Untertanen der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg; deren organisatorischer Rahmen war die Landammannverfassung. Erste Kristallisationskerne sind in der Gerichtsgemeinde und in der Steuergenossenschaft zu suchen (→ Steuern und Abgaben). Schon die frühe Erwähnung der Landschaft Vaduz 1473 zeigt deren Verbindung mit der Steuergenossenschaft: Die Dorfgeschworenen von Schaan, Vaduz, Triesen und Balzers vertraten die Interessen «ganntzer lantschafft vnd der stürgenossen» der Grafschaft Vaduz in einem Steuerkonflikt. Steuern und Finanzen blieben wesentliche Tätigkeitsbereiche der Landschaften. Ihnen oblag die Umlage, der Einzug und die Bezahlung der herrschaftlichen Landsteuer, des «Schnitzes» (1577/84–1696) und ab 1696 der Reichssteuer (→ Steuern und Abgaben); beim «Schnitz» zeigt sich in Ansätzen ein Steuerbewilligungsrecht. Im 17. Jahrhundert leisteten die Landschaften hohe Bürgschaften für die von den Landesherren zur Begleichung der Reichssteuern aufgenommenen Darlehen. Sie schlossen 1577, 1584, 1614, 1688 und 1696 mit den Grafen Verträge über die Reichssteuern und die Schuldenregelung. Der Landammann verwaltete die Landschafts-Kasse und führte die Landschafts-Rechnung und das Landschafts-Archiv. Deutlich wird der Repräsentationsaspekt im Bereich von Militär und Landesverteidigung: Der Öffnungsvertrag von 1505 sah in Kriegszeiten Beratungen mit Vertretern «bayde[r] lanndtschafften» vor und 1526 sind die Truppenaushebung und faktisch auch die Truppenbewilligung durch die Landschaften belegt. Im 16. Jahrhundert wurden die Landschaften mit ihren Milizen in das Vorarlberger Landesverteidigungssystem eingebunden (→ Vorarlberger Landesrettung).
Begegnungsort von Landschaft und Herrschaft war die Landsgemeinde, sei es bei eigens für einen bestimmten Zweck einberufenen Versammlungen, bei der Ammannwahl, bei welcher auch die Rechnungslegung erfolgte, oder bei der Huldigung. Herrschaftskonflikte wurden im 17. und 18. Jahrhundert mehrfach vor den Reichsgerichten, dem Kaiser oder kaiserlichen Kommissaren ausgetragen; 1684 und 1693 mündeten solche Verfahren in die Absetzung des hohenemsischen Grafen und die Einrichtung einer kaiserlichen Administration. Ein Landtag als gemeinsames Beratungs- und Beschlussorgan der Landschaften Vaduz, Schellenberg und (bis 1613) Blumenegg entwickelte sich nicht. Nur vereinzelt berief die Herrschaft gemeinsame Versammlungen der Vertreter aller drei Landschaften ein, etwa 1584 für die Bewilligung der Reichstürkensteuer («Schnitz») in Vaduz. Daneben kam es zu gemeinsamen Treffen und Beratungen der Landschaften aus eigenem Antrieb. Trotz der Beschneidung der Mitwirkungsrechte im Gerichtswesen im 17./18. Jahrhundert und der Bedrohung ihrer Existenz durch den fürstlich-liechtensteinischen Absolutismus in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (→ Verfassung) blieben die Landschaften intakt, bis sie auf den 1.1.1809 zusammen mit der Landammannverfassung abgeschafft wurden. Auf den geografischen Raum bezogen lebten die Bezeichnungen Obere und Untere Landschaft in den Namen Oberland und Unterland fort.
Quellen
- Liechtensteinisches Urkundenbuch II, Teil II: Die Herrschaftszeit der Freiherren von Brandis, 1416–1510, bearb. von Claudius Gurt (LUB II digital).
Literatur
- Fabian Frommelt: «... darauf hab ich ylenz ain Gemaindt jn der herrschafft Schellennberg zusamenn beruefft ...». Zu den Gerichtsgemeinden Vaduz und Schellenberg 1350–1550, unpublizierte Lizentiatsarbeit Universität Zürich, Triesen 2000, bes. S. 137–140.
- Volker Press: Peter Kaiser und die Entdeckung des liechtensteinischen Volkes, in: Peter Kaiser als Politiker, Historiker und Erzieher (1793–1864). Im Gedenken an seinen 200. Geburtstag, hg. von Peter Geiger, Vaduz 1993 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 17), S. 53–73, bes. S. 59–62.
- Peter Kaiser: Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein. Nebst Schilderungen aus Chur-Rätien’s Vorzeit, Chur 1847, neu hg. von Arthur Brunhart, Bd. 1: Text, Bd. 2: Apparat, Vaduz 1989.
- Konrad Kindle: Bäuerlicher Widerstand in der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg 1683–1696, Ms. Universität Bern, 1983.
- Peter Blickle: Deutsche Untertanen: Ein Widerspruch, München 1981, bes. S. 79–86.
- Adalbert Erler: Landschaft, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2 (1978), Sp. 1578–1585.
- Peter Blickle: Landschaften im Alten Reich. Die staatliche Funktion des gemeinen Mannes in Oberdeutschland, München 1973.
Von der Redaktion nachträglich ergänzt
- Enno Bünz: Landschaft, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Bd. 3 (2016), Sp. 581–583.
Zitierweise
<<Autor>>, «Landschaft (Verfassung)», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.