Liechtenstein, Franz I. (Franciscus de Paula) von

Autorin: Marija Wakounig | Stand: 31.12.2011

Landesfürst. *28.8.1853 Schloss Liechtenstein bei Mödling (NÖ), †25.7.1938 Feldsberg (Valtice, CZ), // Familiengruft in Wranau (Vranov, CZ). Sohn des Alois II. Josef und der Franziska, geb. Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau, neun Schwestern, ein Bruder, Johann II.  22.7.1929 Elsa Erős von Bethlenfalva, geb. von Gutmann.

Schottengymnasium in Wien, 1871–78 Studium der Rechtswissenschaften in Wien und Prag. Eintritt in den diplomatischen Dienst Österreich-Ungarns. Im Herbst 1878 wurde Franz I. der österreichischen Gesandtschaft in Brüssel als provisorischer Attaché zugeteilt. Nach einem Zwischenaufenthalt in Wien, wo er die Diplomatenprüfung ablegen wollte, kehrte er auf Wunsch seines Bruders Fürst Johanns II. 1879 nicht mehr nach Brüssel zurück, sondern trat in die Verwaltung des fürstlichen Besitzes ein und vertrat den Fürsten bei repräsentativen Anlässen. Letzteres lenkte 1887 das Interesse des österreichisch-ungarischen Aussenministeriums und des Wiener Hofs auf ihn und er wurde mit diplomatischen Missionen in Rom und St. Petersburg betraut. 1888 meldete sich Franz I., als ein Krieg mit Russland drohte, freiwillig zur Armee, in welcher er bis zu seinem Austritt 1899 erst den Rang eines Leutnants (1888) und danach eines Oberleutnants (1893) bekleidete.

Von Dezember 1894 bis Dezember 1898 war Franz I. österreichisch-ungarischer Botschafter in St. Petersburg. Diese Periode kann als die fruchtbarste in den Beziehungen Österreich-Ungarns mit Russland in der Zeit zwischen dem Beginn des Krimkriegs 1853 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 bewertet werden. Den Höhepunkt seiner Diplomatenkarriere stellte 1897 die Kaiser-Entrevue in St. Petersburg dar, als es Franz I. gelang, nach der Abreise der österreichisch-ungarischen Delegation mündlich eine zehnjährige Entente auszuhandeln. Franz I., der ein Bündnis der Donaumonarchie mit dem Zarenreich anstrebte und noch 1914 den Zaren vom Krieg abzuhalten versuchte, traf mit seinen Ideen in Wien auf Widerstand, was letztlich zu seinem unfreiwilligen Rücktritt führte. In St. Petersburg pflegte er eine Liebesbeziehung mit der russischen Fürstin Natal’ja Naryškina; aus ihr ging als illegitimer Sohn Prinz Vladimir Naryškin (1897–1971) hervor.

Nach seiner Rückkehr aus St. Petersburg 1899 beriet Franz I. seinen Bruder Johann II. unter anderem bei der weiteren Ausstattung der fürstlichen Gemäldegalerie und förderte Kunst und Wissenschaft. Er war massgeblich an der Schaffung eines Lehrstuhls und Seminars für osteuropäische Geschichte an der Universität Wien beteiligt (1907) und stand mehreren österreichischen historischen Fachvereinigungen vor. So spielte er als Präsident der Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kultur- und historischen Denkmale eine bedeutende Rolle in der Denkmalpflege der Donaumonarchie. Franz I. förderte unter anderem die Entstehung und Publikation der «Archivalien zur neueren Geschichte Österreichs» und der «Neuen österreichischen Biographie». 1914 wurde er zum Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaft in Wien ernannt. Franz I. vertrat den Fürsten in der Kommission zum Wiederaufbau von Schloss Vaduz (1904–14) und lernte so das Land Liechtenstein und dessen Bewohner kennen.

Im Ersten Weltkrieg leitete Franz I. einen Malteser-Lazarettzug an den Fronten. Auf seine Initiative wurde ein Hilfsfonds für Soldaten eingerichtet, über den er seine spätere Gemahlin Elsa Erős von Bethlenfalva kennen lernte. 1916 verhinderte Franz I. die Realisierung des Plans von Matthias Erzberger, der vorsah, Liechtenstein dem Heiligen Stuhl als Kirchenstaat zu überlassen. Am 19.5.1917 wurde er erbliches Mitglied des österreichischen Herrenhauses. Seine engen Beziehungen zum Kaiserhaus, besonders zum 1914 ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand, nährten das Gerücht, dass Franz I. für die österreichische Ministerpräsidentschaft vorgesehen gewesen sein soll. Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie 1918 unterstützte er die Familie des letzten Kaisers Karl im Exil, ebenso russische Adelige, die noch vor der Oktoberrevolution 1917 Russland verlassen hatten.

Aufgrund der hohen Erbschaftssteuern für Ausländer in der Tschechoslowakischen Republik beschloss die Familie Liechtenstein nach dem Ersten Weltkrieg, drei Thronfolger zu überspringen. Nach dem kinderlosen Johann II. sollte sein Grossneffe Franz Josef Fürst werden, weil Franz I. keine legitimen Nachkommen hatte. Prinz Franz Josef folgte aber 1929 zunächst nur im Majoratsbesitz der österreichisch-tschechischen Güter, denn Franz I. hatte nicht auf die Anwartschaft auf das Fürstentum Liechtenstein verzichtet. Nach dem Tod Johanns II. am 11.2.1929 wurde er als Franz I. mit 76 Jahren Landesfürst. Erst jetzt konnte er Elsa Erős von Bethlenfalva heiraten. Denn Fürst Johann II. hatte die Ehe mit Elsa, die jüdischer Herkunft und ungleichen Stands war, nicht erlaubt. Am 13.3.1929 fand im Landtag und am 11.8.1929 auf der Schlosswiese in Vaduz die Erbhuldigung statt, Letztere in Anwesenheit von Franz I. und seiner Gemahlin mit mehreren 1000 liechtensteinischen Männern und Frauen. Das Fürstenpaar besuchte in der Folge alle elf Gemeinden und gründete ebenfalls 1929 die «Fürst-Franz-und-Fürstin-Elsa-Stiftung», aus deren Erträgnissen die Berufsausbildung beziehungsweise das Studium der liechtensteinischen Jugend gefördert werden sollten.

Franz I. hatte schon lange vor seinem Regierungsantritt massgeblichen Einfluss auf die Gestaltung der inneren und äusseren Entwicklung Liechtensteins genommen, besonders bei der Neuorientierung des Landes nach 1918, welche zu einer neuen Verfassung und zur engen wirtschaftlicher Verbindung mit der Schweiz führte. Ab 1921 war er zudem Stellvertreter des Fürsten in der Aussenpolitik. Franz I. liess der Regierung unter Josef Hoop (Regierungschef 1928–45), mit welchem er sich regelmässig beriet und mit dem er sich persönlich sehr gut verstand, in seinen Regierungsjahren 1929–38 recht freie Hand. Er billigte mit seiner Sanktion jedes vom Landtag beschlossene Gesetz und begrüsste besonders die auf Arbeitsbeschaffung ausgerichteten Massnahmen der Regierung in der Krisenzeit. Das Fürstenpaar besuchte 1929–34 das Fürstentum und die dortigen Schulen jeden Sommer für ein bis zwei Wochen. Ab 1935 verhinderten Krankheit und Altersschwäche des Fürsten weitere Besuche. In der Innenpolitik wünschte Franz I. ein Ende des heftigen Parteienstreits zwischen der ab 1928 regierenden Fortschrittlichen Bürgerpartei und der oppositionellen Volkspartei, die 1936 mit dem Liechtensteiner Heimatdienst (LHD) zur Vaterländischen Union (VU) verschmolz. Weil Franz I. mit den Mehrheitsführern in Regierung und Landtag gute persönliche Beziehungen pflegte, fühlte sich die Opposition vom Fürsten vernachlässigt. Überdies übten der LHD und die liechtensteinischen Nationalsozialisten an Fürstin Elsa aufgrund ihrer jüdischen Abstammung antisemitische Kritik. Führer des LHD und ab 1936 der VU versuchten, den Thronfolger Franz Josef für sich zu gewinnen, und drängten 1934 und 1938 auf die Übertragung der Regierung von Franz I. auf Franz Josef. Gegen die Ausbreitung der nationalsozialistischen Ideologie unter den Heranwachsenden im Fürstentum förderte Franz I. die Pfadfinderbewegung. 1937 stiftete er die mehrfach abgestuften liechtensteinischen Verdienstorden und Ehrenzeichen. Im Zug des österreichischen Anschlusses ans Deutsche Reich und der damit verbundenen akuten Anschlussgefahr auch für Liechtenstein im März 1938 (→ Märzkrise) erschien es allen politischen Kräften im Fürstentum ratsam, den alten Fürsten Franz und Fürstin Elsa aus dem Visier Hitlerdeutschlands und der liechtensteinischen Nationalsozialisten zu nehmen. Franz I. betraute am 30.3.1938 Thronfolger Franz Josef mit der Stellvertretung in der Ausübung aller fürstlichen Rechte, blieb aber formell Fürst bis zu seinem Tod. Verschiedene Ehrungen durch Österreich-Ungarn, Russland, den Papst und den Malteserorden.

Franz I. war der letzte Fürst, der sein Land von Wien, Thalhof (NÖ), Feldsberg (Valtice, CZ) oder Eisgrub (Lednice, CZ) aus regierte und nur zu Besuchen in Liechtenstein weilte. Er war hoch gebildet, geistreich, lebensbejahend und ein guter Gesellschafter. Franz I., der sich als altersmilder Landesvater verstand, und seine Frau, Fürstin Elsa, erfreuten sich in Liechtenstein aufgrund ihrer zahlreichen Besuche, ihrer Wohltätigkeit, Bescheidenheit und Leutseligkeit grosser Beliebtheit.

Literatur

  • Marija Wakounig: Ein Grandseigneur der Diplomatie. Die Mission von Franz de Paula Prinz von und zu Liechtenstein in St. Petersburg 1894–1898, Wien 2007.
  • Marija Wakounig: Der Fürst als Botschafter, in: Eliten und Aussenseiter in Österreich und Ungarn, hg. von Waltraud Heindl et al., Wien 2001, S. 117–137.
  • Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, 2 Bände, Vaduz/Zürich 1997, 22000.
  • Harald Wanger: Die regierenden Fürsten von Liechtenstein, Triesen 1995, S. 159–167.
  • Hannes Stekl: Liechtenstein, Franz (I.) Fürst von und zu, in: Österreichisches Bibliographisches Lexikon, Bd. 5 (1971), S. 204f.

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Normdaten

GND: 1089481268

Zitierweise

<<Autor>>, «Liechtenstein, Franz I. (Franciscus de Paula) von», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.

Medien

Franz I. von Liechtenstein. Ölgemälde von Victor Scharf (1872–1943) aus dem Jahr 1916. © LIECHTENSTEIN, The Princely Collections, Vaduz–Vienna.
Franz I. und Elsa von Liechtenstein unter dem Portal des Absteigequartiers in Vaduz, ca. 1938 (Liechtensteinisches Landesarchiv, Vaduz, SgAV 01 N 027/237)