
Liechtensteinischer ArbeitnehmerInnenverband (LANV)
Autorin: Dorothee Platz | Stand: 31.12.2011
Der 1920 gegründete LANV (bis 1970 «Liechtensteiner Arbeiterverband») ist die einzige Gewerkschaft in Liechtenstein und vertritt die Interessen aller Branchen und Berufe. Er ist ein parteipolitisch und konfessionell unabhängiger, seit 1982 im Öffentlichkeitsregister eingetragener, privatrechtlicher Verein.
Durch die Krisenstimmung und die Rezession nach dem Ersten Weltkrieg wuchs der Wunsch der liechtensteinischen Arbeiterschaft nach einem organisatorischen Zusammenschluss. Im Januar 1920 fand im Triesner Schulhaus unter dem Vorsitz des Oberlehrers Emil Risch eine Versammlung der «Provisorischen Arbeitervereinigung» statt. Ein gewählter, siebenköpfiger Ausschuss wurde mit der Erarbeitung von Statuten beauftragt. Während über das Ziel der sozialen Arbeitsgesetzgebung Einigkeit bestand, schieden sich die Gemüter an der Frage, ob die Gewerkschaft sozialdemokratisch oder christlich ausgerichtet sein sollte. In diesem Punkt standen sich von der Schweizer Sozialdemokratie und den Schweizer Arbeitervereinigungen beeinflusste Vertreter der Arbeiterschaft wie Andreas Vogt aus Balzers und die Geistlichkeit, etwa Kaplan Alfons Büchel (1881–1970), gegenüber.
Der am 2.2.1920 gegründete Liechtensteiner Arbeiterverband (LAV) verzichtete bewusst auf den Namenszusatz «christlich-sozial» und gab sich konfessionsneutral. Friedrich Kaufmann (Schaan) wurde zum Präsidenten gewählt, Andreas Vogt zum Vizepräsidenten. Zur Mitgliedschaft waren im In- und Ausland arbeitende Liechtensteiner und in Liechtenstein beschäftigte Ausländer berechtigt, auch Frauen. Die in allen Gemeinden gebildeten Ortsgruppen zeigten im Oberland eine regere Tätigkeit als im Unterland. Der LAV stand der Christlich-sozialen Volkspartei (VP) nahe. LAV und VP unterstützten sich gegenseitig in ihren Anliegen: Der LAV engagierte sich auch für die Verfassungsreform und die VP für die Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiter. Beide arbeiteten zudem auf eine Zollunion mit der Schweiz hin. Neben besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen strebte der LAV nach dem Auf- und Ausbau von Sozialeinrichtungen wie Kranken-, Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung sowie Rechtsschutz für seine Mitglieder. Der am 1.4.1927 mit den Unternehmern des Baugewerbes geschlossene Gesamtarbeitsvertrag (Kollektivvertrag) stellte die gesellschaftliche und politische Anerkennung des LAV sicher.
Die Bemühungen der Geistlichkeit, besonders des Triesenberger Pfarrers Franz von Reding, um die Schaffung einer weiteren, christlich-sozialen Arbeitervereinigung scheiterten unter anderem am Widerstand des LAV. Am 14.3.1920 kam es jedoch zur Gründung des von Hofkaplan Alfons Feger präsidierten Liechtensteinischen katholischen Arbeiterinnenvereins.
Die Auswirkungen der Weltwirtschaftkrise in den 1930er Jahren trafen die Arbeiterschaft besonders hart. Die Beschäftigung von Liechtensteinern als Saisonniers in der Schweiz ging drastisch zurück, wie auch die Anzahl der Arbeitsplätze in Liechtenstein selbst. Die immer grösser werdende Unzufriedenheit äusserte sich in den Wintermonaten in Form von Demonstrationen. Der Erfolg blieb nicht aus, denn zur Arbeitsbeschaffung leitete die öffentliche Hand zahlreiche Bauprojekte ein (Binnenkanal, Strassen, Gebäude, Rüfeverbauungen usw.). Die Zuteilung von Arbeitsplätzen wurde jedoch wegen parteipolitischer Rücksichtnahme teils als ungerecht angefochten.
Parteipolitisch bedingt war auch die Spaltung des LAV in einen Oberen Verband im Oberland und einen Unteren Verband im Unterland in den Jahren 1931– 1935. In dieser Zeit fungierte Hugo Kindle (Triesen) als Präsident des Oberen Verbands, welcher kämpferisch ausgerichtet und von Schweizer Arbeiterbewegungen geprägt war. Er arbeitete eng mit der Volkspartei und dem Liechtensteinischen Freiwirtschaftsbund zusammen und gab 1932–33 die «Liechtensteinische Arbeiter-Zeitung» heraus. Der Untere Verband trat gemässigter auf. Seine Mitglieder standen der Fortschrittlichen Bürgerpartei nahe. Präsident Georg Frick, Baupolier aus Schaan, hatte 1932–36 über die Landesliste der Bürgerpartei sogar einen Sitz im Landtag inne. Zwar polemisierten beide Verbände gegeneinander, aber dennoch arbeiteten sie bei gemeinsamer Interessenlage zusammen, z.B. bei der Festlegung von Arbeitszeiten und dem Engagement um eine gerechte Arbeitsplatzverteilung. Am 12.12.1935 vereinigten sich die beiden Verbände wieder zum LAV. Im Interesse der Arbeiterschaft fand eine überparteiliche Zusammenarbeit mit der Regierung statt.
Nach 1945 war eine Neustrukturierung des LAV erforderlich. Ein deutlich erweitertes Berufsspektrum zeichnete sich seit 1939 ab, als vermehrt Gemeinde- und Berufsgruppensektionen gebildet wurden. Erste Ansätze zur Strukturreform hatte es bereits in den 1930er Jahren gegeben, als der Obere Verband die Etablierung eines Arbeitersekretariats forderte, was von der Regierung zunächst abgelehnt, dann unter Auflagen aber genehmigt wurde. 1933 wurde Josef Laternser (Vaduz) zum ersten Arbeitersekretär ernannt. Erst ab 1946 gab es ständige vollamtliche Sekretäre.
Die Werbung neuer Mitglieder bereitete dem LAV zunehmend Schwierigkeiten. Zwischenzeitlich stellte sich dadurch die Frage eines Anschlusses an eine grössere Gewerkschaft, z.B. in der Schweiz. Die seit den 1950er Jahren verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zeigte nur mässigen Erfolg. Seit 1959 veröffentlicht der LAV sein «Mitteilungsblatt». 1970 erfolgte die Umbenennung des LAV in «Liechtensteinischer Arbeitnehmerverband» (LANV), 2002 in «Liechtensteinischer ArbeitnehmerInnenverband». Unter den Mitgliedern hatten sich lange Zeit nur wenige Frauen befunden, doch 1997 war eine Frauensektion gegründet worden. Für die Grenzgänger entstand 2006 eine eigene Sektion, die sich deren spezifischen Anliegen annimmt.
Der LANV bezweckt die Wahrung und Förderung der sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen der Mitglieder im Besonderen und der Gesamtarbeitnehmer im Allgemeinen. Er ist der christlichen Soziallehre, der Sozialpartnerschaft und der demokratischen Grundordnung verpflichtet und fördert die Harmonisierung der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Soziale Gerechtigkeit und die Anerkennung von Privateigentum an Produktionsmitteln zählen zu seinen Leitgedanken. Ein Grundsatzprogramm gibt es nicht. Zur Durchsetzung der gewerkschaftlichen Ziele dienen vor allem Gesamtarbeitsverträge, die seit 1927 im Baugewerbe und seit 1947 auch in anderen Gewerbezweigen geschlossen werden. Der LANV stellt keine Mitbestimmungsforderungen, wirkt aber bei der Sozialgesetzgebung und im Berufsbildungswesen mit. Seinen Mitgliedern bietet er Beratung bei arbeitsrechtlichen Fragen und seit 2004 Rechtsschutz im Arbeitsrecht. Er unterstützt Betriebe bei der Gründung von Arbeitnehmervertretungen (ANV) und organisiert Anlässe zum Erfahrungsaustausch und zur Diskussion aktueller Entwicklungen in der Arbeitswelt und der Politik.
Streik ist als Arbeitskampfmittel zulässig, wurde aber abgesehen von zwei kurzen Arbeitsniederlegungen der Eisenbahner und Postangestellten 1920 und einer Streikandrohung im Baugewerbe 1941 kaum eingesetzt. Das 1937 geschlossene schweizerische Friedensabkommen der Maschinen- und Metallindustrie, das eine Vereinbarung zur Friedenspflicht (Streik- und Aussperrungsverbot) enthält, wurde am 11.5.1949 vom LAV übernommen. Der LANV engagierte sich für einen verbesserten Kündigungsschutz, die Möglichkeit der Frühpensionierung, bezahlten Bildungsurlaub und ab 1971 für die Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts. Ein roter Faden seiner Politik war bis in die 1970er Jahre der Kampf gegen die «Überfremdung», besonders auch am Arbeitsplatz (Schutz der liechtensteinischen Arbeitnehmer vor ausländischer Konkurrenz). Die wichtigsten Errungenschaften, an denen der LANV und seine Vorgängerinstitutionen beteiligt waren, sind die Einführung von Gesamtarbeitsverträgen (1927), eines Arbeiterschutzgesetzes (1946), der Ferienmarken in der Baubranche (1947), der AHV (1952), der Arbeitslosenversicherung (1954), der Schlechtwettermarken (1957), einer gesetzlichen Familienausgleichskasse (1958) und der obligatorischen Krankenkasse (1962/1972). 2003 verhinderte der LANV mittels Referendum die Aufhebung des Landesbeitrags an die Nichtbetriebsunfallversicherung. Der LANV war bis 2007 dem Weltverband der Arbeitnehmer (WVA) angeschlossen. Seit 2007 ist er Mitglied des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB). Ausserdem gehört er seit 2004 dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und seit 2005 dem Interregionalen Gewerkschaftsrat Bodensee (IGR) an. Der LANV ist zudem Mitglied des Consultative Committee der EFTA.
Literatur
- Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, Band 1, Vaduz/Zürich, 1997, 22000, S. 185–190, 339–342.
- 75 Jahre Arbeitnehmerverband, hg. vom Liechtensteiner Arbeitnehmerverband, Vaduz 1995.
- Arno Waschkuhn: Politisches System Liechtensteins: Kontinuität und Wandel, Vaduz 1994, S. 293–295, (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 18).
Zitierweise
<<Autor>>, «Liechtensteinischer ArbeitnehmerInnenverband (LANV)», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.