
Masse und Gewichte
Autoren: Karl Heinz Burmeister, Anne-Marie Dubler | Stand: 31.12.2011
Das Messen und Wägen beruhte ursprünglich auf einem Vergleichen mit jederzeit zur Verfügung stehenden Grössen, so mit dem Fuss (Schuh), der Elle (Armlänge), der Faust (Handbreite), ferner mit Arbeits- beziehungsweise Tagesleistung (zum Beispiel Mannsmahd, Tagwan) und nach erzieltem Ertrag (Kuhrecht). Älteste in Liechtenstein nachweisbare Masse und Gewichte weisen auf das von den Römern ab dem 1. Jahrhundert v.Chr. eingeführte Mass- und Gewichtssystem. Massbegriffe, darunter carrata (Fuder), iugerum (Joch, Juchart) und mansus (Hube), erscheinen im churrätischen Reichsgutsurbar von 842/43. In nachrömischer Zeit blieben Namen und Einteilung der römischen Masse und Gewichte erhalten, nicht aber die Grössen: aus dem leichten römischen Pfund (lateinisch libra) entwickelten sich schwere Pfunde bis zu 900 Gramm, und das kleine Getreidehohlmass modius wurde zum grossen Transportmass Mütt (Scheffel). Neben den römischen erschienen unzählige neue Masse und Gewichte, da jeder Stoff, jede bemessbare Tätigkeit das eigene Mass erhielt. So unterschieden sich Flächenmasse nach der Nutzung als Äcker, Wald, Wiesen oder Rebland, Flüssigkeitsmasse nach lauterem oder trübem (unvergorenem) Wein, Getreidemasse nach glattem (entspelztem) oder rauem (unentspelztem) Getreide. Trockengut wie Getreide, Nüsse oder Kalk wurde wie Flüssigkeiten mittels Hohlmassen bestimmt, wobei Flüssigkeits- und Getreidemasse, obgleich beides Hohlmasse, nicht übereinstimmten. Viele Masse und Gewichte korrelierten unter sich nicht oder nur bedingt.
Im Gegensatz zu den mathematisch abgeleiteten Mass- und Gewichtssystemen der Römer mit vorwiegend Dezimal- und Duodezimaleinteilung bezogen sich nachrömische Systeme vor allem auf die Vier (Viertel, Vierling), Sechs (Sester, Ster), Zwölf und Sechzehn; fünf, sieben und zehn waren unüblich. Da die Vielfalt der Masse und Gewichte den Handelsverkehr behinderte, strebten Regierungen nach Vereinheitlichung; so lässt dezimaler Aufbau einzelner Masse und Gewichte auf Reformen des 18. und 19. Jahrhunderts schliessen.
Liechtensteins alte Masse und Gewichte standen in der Tradition der im Rheintal gebräuchlichen Einheiten: Ihre Verwandtschaft mit den linksrheinischen Massen ist unverkennbar, denn beide Seiten waren unter den Grafen von Werdenberg bis 1416 vereinigt. Gemeinsamkeiten erhielten sich vor allem bei Flächenmassen der bäuerlichen Wirtschaft mit Rebbau, Feldgrasbau und Alpwirtschaft, bei Flüssigkeitsmassen (Mass) und Getreidemassen (Viertel, Mässl), nicht aber bei Handwerkermassen (Fuss, Elle), da spezialisiertes Handwerk oder Protoindustrie fehlten. Massgeblich prägte dagegen das genossenschaftlich organisierte einheimische Rodfuhrwesen (→ Transportwesen) das Wirtschaftsleben und die geltenden Masse und Gewichte. Die liechtensteinischen Fuhrleute übernahmen die Masse und Gewichte ihrer Auftraggeber: Transportmasse (Fuder, «Röhrli», «Lädi», Saum) aus dem Raum Bodensee-Ostschweiz und Gewichte für Massengüter (schwere Pfunde, «Krinnen») der Bündner.
Das Recht, Masse und Gewichte zu bestimmen und zu beaufsichtigen, gehörte zusammen mit Markt, Gericht und Steuerhoheit zu den Rechten der Herrschaft; sie bestimmte die auf ihrem Territorium geltenden Masse und Gewichte und liess diese an ihren Marktorten prüfen. Mit der Übernahme der Herrschaften Schellenberg und Vaduz durch die Fürsten von Liechtenstein 1699 beziehungsweise 1712 bahnte sich die Ausrichtung auf Österreich beziehungsweise Wien auch im Masswesen an, da die fürstlichen Beamten die ihnen geläufigen österreichischen Masse und Gewichte bevorzugten. Als 1756 das «Allgemeine Masspatent» mit vereinheitlichten Massen und Gewichten für ganz Österreich und Ungarn verbindlich wurde, fanden diese auch in Liechtenstein Eingang. Während einheimische Masse und Gewichte im bäuerlichen Bereich weiterbestanden, wurden einheimische Längenmasse durch Wiener Masse verdrängt. Umrechnungsschlüssel überbrückten verschiedene Systeme (zum Beispiel 1 Saum = 2¼ Wiener Zentner). Die Gebrauchsmasse wurden in der Vaduzer Kellerei mittels Eichmassen («Pfächtgeschirr») aus Kupfer (1, ½, ¼ Viertel) und Zinn (1, ½ Mass, 1 «Seitl») überprüft. Nach diesen Urmassen fertigte man Gebrauchsmasse aus Holz oder Eisen; anfällig für Verformung und Rost, waren diese oft nur annähernd genau.
Unter dem Einfluss Frankreichs und seiner auf dem Meter basierenden Masssysteme gingen die europäischen Staaten nach 1815 daran, ihre Mass- und Gewichtssysteme im Blick auf die kommende Umstellung zu vereinfachen. 1844 wurde in Liechtenstein das erneuerte österreichische Mass- und Gewichtssystem eingeführt, derweil in der Ostschweiz ab 1838 die teils metrischen Schweizer Masse und Gewichte Geltung erlangten. Mit der definitiven Einführung von Meter, Liter und Kilogramm 1876 in Liechtenstein im Rahmen der österreichischen Mass- und Gewichtsreform und 1877 auch in der Schweiz galten beidseits des Rheins wieder gleiche Masse und Gewichte Mit dem Zollanschluss Liechtensteins an die Schweiz 1924 fanden in Liechtenstein die schweizerischen Vorschriften betreffend Masse und Gewichte Anwendung, worüber die beiden Staaten 1934 eine präzisierende Vereinbarung trafen.
Quellen
- Liechtensteinisches Urkundenbuch, Teil I: Von den Anfängen bis zum Tod Bischof Hartmanns von Werdenberg-Sargans-Vaduz 1416, Bd. 1: Aus dem bischöflichen Archiv zu Chur und aus dem Archiv Pfävers in St. Gallen, bearbeitet von Franz Perret, unveränderter Nachdruck, Nendeln 1973 (LUB I/1), S. 567.
Literatur
- Anne-Marie Dubler: «Masse und Gewichte», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 31.03.2011.
- Klaus Biedermann: Das Rod- und Fuhrwesen im Fürstentum Liechtenstein. Eine verkehrsgeschichtliche Studie mit besonderer Berücksichtigung des späten 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 97 (1999), S. 7-184, hier S. 142.
- Josef Büchel: Geschichte der Gemeinde Triesen, hg. von der Gemeinde Triesen, Bd. 2, Triesen 1989, S. 746–748.
- Anne-Marie Dubler: Masse und Gewichte im Staat Luzern und in der alten Eidgenossenschaft. Festschrift 125 Jahre Luzerner Kantonalbank, Luzern 1975.
- Alois Ospelt: Wirtschaftsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Von den napoleonischen Kriegen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 72 (1972), S. 5–423, hier S. 411f.
- Liechtensteinisches Urkundenbuch, Teil I: Von den Anfängen bis zum Tod Bischof Hartmanns von Werdenberg-Sargans-Vaduz 1416, Bd. 4: Aus den Archiven des Fürstentums Liechtenstein, bearbeitet von Georg Malin, Vaduz 1963/1965 (LUB I/4), S. 331.
- Leo Jutz: Vorarlberger Wörterbuch mit Einschluss des Fürstentums Liechtenstein, 2 Bände, hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1960/65.
- Wilhelm Rottleuthner: Die alten Localmasse und Gewichte nebst den Aichungsvorschriften bis zur Einführung des metrischen Mass- und Gewichtssystems und der Staatsaichämter in Tirol und Vorarlberg, Innsbruck 1883.
Zitierweise
<<Autor>>, «Masse und Gewichte», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.