Motorisierung

Autor: Christoph Maria Merki | Stand: 31.12.2011

Die Motorisierung des Strassenverkehrs ergänzte und ersetzte die mit Muskelkraft angetriebenen Vehikel (Fuhrwerke, Kutschen, Fahrräder) durch Automobile, wörtlich: sich selbst bewegende Fahrzeuge. Erfunden wurde das Auto 1886 durch die deutschen Konstrukteure Gottlieb Daimler und Carl Benz.

Die Motorisierung ermöglichte eine massive Beschleunigung und räumliche Ausweitung der individuellen Mobilität, förderte die Herausbildung einer arbeitsteiligen, überregionalen Wirtschaft, veränderte Landschaft und Luft, Industriestrukturen und Aussenhandel, Alltag und Freizeit. Der mit hohem sozialem Prestige verbundene Besitz eines Personenkraftwagens (Pkw) blieb bis in die 1950er Jahre ein Privileg wohlhabender Gruppen. Auf dem Land kam seine Verbreitung nur langsam in Gang. Das billigere Motorrad war dort fast ebenso wichtig.

Entsprechend begann der Siegeszug des Autos in Liechtenstein zögerlich. Die ersten bekannten Autobesitzer waren 1902 der Verwalter des Konsumvereins Mühleholz Marcus Ammann und um 1905 der Schaaner Arzt Alfons Brunhart. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden in Liechtenstein zwei Autos und zwei Motorräder registriert. 1925 gab es 47 Kraftfahrzeuge: 35 vier- und 12 zweirädrige. Nach der Brennstoffnot des Zweiten Weltkriegs schnellte der Pkw-Bestand in den 1950er und 60er Jahren in die Höhe, begünstigt durch Wirtschaftsboom und Strassenbau. Heute gibt es weltweit kaum ein anderes Land mit so hohem Motorisierungsgrad wie Liechtenstein. Dies ist eine Folge des Wohlstands sowie der räumlichen Trennung von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Vergnügen. Der öffentliche Verkehr beschränkt sich weitgehend auf den 1922 aufgenommenen Postautobetrieb. Eine schienengebundene Verkehrsalternative besteht im stark zersiedelten Liechtenstein nur in bescheidenem Ausmass (→ Eisenbahn).

Das Auto traf anfänglich auf starken gesellschaftlichen Widerstand, weil es durch Unfälle, Staub, Lärm, Gestank hohe soziale Kosten mit sich brachte. Sein Herrschaftsanspruch drängte die übrigen Strassenbenützer an den Rand. Dies führte zu ersten, autofeindlichen Regulierungen: die «Verordnung über den Betrieb von Automobilen und Motorrädern» von 1906 beschränkte die erlaubte Höchstgeschwindigkeit innerorts auf 15 km/h (bei schlechter Sicht 6 km/h), ausserorts auf 45 km/h. 1908 verlangte der liechtensteinische Landtag ein allgemeines Autofahrverbot wie in Graubünden. Stattdessen führte man ein Mautsystem ein: Wer die Hauptstrasse befahren wollte, musste eine Taxe entrichten. 1913 lösten 519 Autofahrer (Besucher und Durchreisende) eine Wochentaxe. Dazu kamen zwölf Kraftfahrzeugbesitzer, die eine Jahreskarte kauften, in erster Linie österreichische und schweizerische Geschäftsleute. Zwei Karten wurden in Liechtenstein selbst bezogen: eine für einen Pkw (Friederike von Brand, Vaduz), die andere für einen Lastkraftwagen (Textilfabrik Jenny, Spoerry & Cie.). Nach der Aufhebung des Taxensystems trat Liechtenstein 1924 der internationalen Automobil-Konvention bei und erhielt das Erkennungszeichen «FL» zugewiesen. In der Zwischenkriegszeit übernahm Liechtenstein beim Strassenverkehrsrecht und bei der Mineralölsteuer die schweizerischen Regelungen. Allmählich wurde die Infrastruktur den Bedürfnissen der Automobilisten angepasst: die Strassen wurden nach und nach für den Autoverkehr freigegeben, ausgebaut und geteert; in den 1920er Jahren entstanden erste Tankstellen und Autoreparaturwerkstätten, in den 1930er Jahren Taxibetriebe und Autofahrschulen. Die zunehmende Popularität des Autos spiegelt sich in der Gründung des Automobilclubs Liechtenstein ACL 1924 (→ Automobilverbände). Der 1930 entstandene Motorradclub Liechtenstein organisierte 1947 und 1948 Motorrad-Bergrennen auf der Strecke Vaduz–Triesenberg–Masescha. 1968–73 fanden die Autorennen Vaduz–Triesenberg und Ruggell–Schellenberg (letztmals 1977) statt. Besonders ab den 1970er Jahren kam es vermehrt zu Kritik an der Motorisierung und am Wachstum des Verkehrs.

Quellen

  • Liechtensteinisches Landesarchiv, Vaduz (LI LA).

Literatur

Von der Redaktion nachträglich ergänzt.

Zitierweise

<<Autor>>, «Motorisierung», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.

Medien

Gebhard Ritter (1910–1998) in seiner Werkstatt in Mauren, erste Hälfte 1930er Jahre (Tschugmell-Fotoarchiv, Gemeindearchiv Mauren, Foto: Fridolin Tschugmell). Gebhard Ritter absolvierte bei der Firma Kaiser Fahrzeugbau in Schaanwald die Berufslehre zum Automechaniker und eröffnete 1934 die erste Reparaturwerkstätte in Mauren.
Motorrad-Bergrennen von Vaduz nach Masescha, 5.10.1947 (Liechtensteinisches Landesarchv, Foto: Eduard von Falz-Fein, Vaduz.
Personenwagen in Liechtenstein, ab 1936