
Nationalsozialismus (NS)
Autor: Peter Geiger | Stand: 31.12.2011
Der Nationalsozialismus umfasst die von Adolf Hitler geprägte Ideologie und Herrschaft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP, ab 1920; 1919 als Deutsche Arbeiterpartei DAP gegründet). Offizielles Symbol der NSDAP war das Hakenkreuz, als Sonnenrad in vielen Kulturen bekannt und ab Ende des 19. Jahrhunderts bei völkischen und antisemitischen Gruppen verwendet. Die Hakenkreuzfahne entwarf Hitler 1920.
Nationalsozialismus als Ideologie basierte unter anderem auf der Schrift «Nationaler Sozialismus» von Rudolf Jung (1919) sowie massgeblich auf den von Hitler 1920 verkündeten 25 Punkten des NSDAP-Parteiprogramms, auf Hitlers Buch «Mein Kampf» (1925/26) und den Schriften von Alfred Rosenberg. Kernelemente waren Sozialdarwinismus, deutsches Volkstum, Rassismus, Antisemitismus, Antibolschewismus sowie Ablehnung von Demokratie und Liberalismus. Das Naturrecht pervertierend und die Ideologie dem taktischen Bedarf anpassend, wurde aus dem angeblichen «Naturrecht des Stärkeren» vieles abgeleitet: das Führerprinzip, die Überlegenheit der «arisch-nordischen Rasse» mit deutscher «Volksgemeinschaft» und deutscher Kultur als Kern, die Minderwertigkeit von Juden, Farbigen, Zigeunern, Slawen, die Aberkennung des Lebensrechts von Behinderten, die Ausgrenzung, Beraubung und Vernichtung von politischen Gegnern, Juden, Homosexuellen, «Asozialen», die Eroberung von «Lebensraum» durch Angriffs- und Vernichtungskriege. Der Nationalsozialismus gab sich teils vage religiös und «gottgläubig», teils nationalkirchlich im Sinn der «Deutschen Christen», teils agnostisch und atheistisch. Nationalsozialismus als konkrete Herrschaftsausübung beruhte auf rücksichtsloser Gewalt in allen Formen, von der Ausschaltung von Demokratie und Rechtsstaat über den Konformitätsdruck in Betrieb, Schule sowie Hitlerjugend und über soziale Ausgrenzung und Beraubung zum Strassenterror der SA, zur Polizeiwillkür der Gestapo, zu den Konzentrationslagern der SS, zum Brennen und Morden im Krieg bis zum Holocaust. Dem dienten, in manchem ans faschistische und sowjetische Vorbild angelehnt, Organisierung und Mobilisierung möglichst aller Bereiche von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft unter der Führung der Partei sowie Terror nach innen und aussen.
In Liechtenstein fand der Nationalsozialismus ebenfalls Anhänger, vorab unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre und der Propaganda aus Deutschland und Österreich. Nationalsozialisten im Land griffen aus der NS-Ideologie heraus, was ihnen diente: Hoffnung auf Arbeit und sozialen Ausgleich, Abrechnung mit politischen Gegnern, Ende des demokratischen Parteienstreits, Antisemitismus. Offen nationalsozialistisch waren 1933 die an der Rotter-Entführung Beteiligten, ebenso ein Teil der Mitglieder des Liechtensteiner Heimatdienstes (1933–35) sowie die Mitglieder der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein VDBL (1938–45). NS-Sympathien hegten Teile der Mitglieder und Führer der 1936 gegründeten Vaterländischen Union (VU). Die VDBL wollte Liechtenstein an Deutschland anschliessen, zunächst wirtschaftlich, schliesslich total. Sie versuchte es im März 1939 erfolglos durch einen Anschlussputsch und ab 1940 durch Propaganda und Agitation. Sie verlangte, unter anderem in ihrem Kampfblatt «Der Umbruch» (1940–43), die Umgestaltung nach hitlerdeutschem Muster für alle Bereiche des Lands. Sie goss Häme auf Juden, die Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP) und Geistliche, verneinte den «liechtensteinischen Menschen» und das Existenzrecht des liechtensteinischen Kleinstaats, pries Hitler, rechtfertigte die Herrschaftspraxis im Reich und den Hitlerkrieg. Die VDBL vermochte zeitweilig 150–250 Mitglieder zu sammeln, zugleich zog sie die Ablehnung und den Zorn der Mehrheit der Bevölkerung auf sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg beriefen sich die liechtensteinischen Nationalsozialisten darauf, von der Propaganda verführt worden zu sein, an die NS-Idee und den Führer geglaubt und die Verbrechen nicht gesehen zu haben; sie wurden wieder sozial und politisch integriert, einige nach Haftstrafen. Sie betätigten sich nicht mehr im Sinn des Nationalsozialismus.
Die im Land lebenden Deutschen, zu denen ab 1938 auch die Österreicher zählten, wurden 1933–45 teils in der auslandsdeutschen «NSDAP Ortsgruppe Liechtenstein», vorab aber in der deutschen Kolonie organisatorisch erfasst, vom deutschen Generalkonsulat in Zürich kontrolliert sowie vom Reich aus mit NS-Propaganda bedacht. Einige deutsche Parteifunktionäre wurden nach dem Krieg ausgewiesen.
Der Nationalsozialismus spaltete die liechtensteinische Bevölkerung tief. Die Erinnerung an die NS-Zeit blieb, analog zu derjenigen an die Zeit der Hexenverfolgung, traumatisch. Die historische Forschung zur Zeit der Jahre 1933–45 setzte erst ab den 1970er Jahren ein. Einzelne Gedanken und Symbole des Nationalsozialismus fanden in Liechtenstein bis zur Gegenwart gelegentlich ein Echo, vor allem bei sogenannten Neonazis (→ Rechtsextremismus).
Literatur
- Peter Geiger: Kriegszeit. Liechtenstein 1939 bis 1945, 2 Bände, Vaduz/Zürich 2010.
- Enzyklopädie des Nationalsozialismus. hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiss, München 42001.
- Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, Bd. 1: Die Wirtschaftskrise der Dreissigerjahre, Vaduz/Zürich 22000.
- Andreas Bellasi, Ursula Riederer: Alsleben, alias Sommerlad. Liechtenstein, die Schweiz und das Reich, Zürich 1997.
- Adulf Peter Goop: Liechtenstein gestern und heute, Vaduz 1973, S. 286f., 290–301.
Zitierweise
<<Autor>>, «Nationalsozialismus (NS)», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 9.2.2025.