
Oberamt
Autor: Paul Vogt | Stand: 31.12.2011
Das Oberamt war vom 16. Jahrhundert bis 1848 die lokale Institution, über die die Landesherren ihre landesherrlichen und grundherrlichen Rechte ausübten; 1848–62 führte es die Bezeichnung «Regierungsamt». Es setzte sich aus dem Landvogt, der dem Oberamt vorstand und es nach aussen vertrat, dem für die Verwaltung der landesherrlichen Einnahmen zuständigen Rentmeister und dem Landschreiber beziehungsweise Amtsschreiber zusammen. Amtssitz war Vaduz – bis 1809 im Schloss, 1809–56 im Verweserhaus, danach in der ehemaligen herrschaftlichen Taverne (heute Landesmuseum).
Das Oberamt vertrat den Landesherrn. Seit dem Spätmittelalter wurden Ämter nicht mehr als Lehen vergeben, sondern dienstrechtlich geregelt. Dies entspricht der zunehmenden Verrechtlichung und Rationalisierung der Verwaltung. Das Oberamt stand in einer Hierarchie. Es war dem Landesherrn beziehungsweise dessen Zentralverwaltung untergeordnet: Im 17. Jahrhundert dem Hof in Hohenems, ab dem 18. Jahrhundert dem fürstlich-liechtensteinischen Hof in Wien (→ Hofkanzlei). Im Land selbst war es die einzige Verwaltungs- und (nach der Aushöhlung der Landammannverfassung im 17. Jahrhundert) auch die einzige Gerichtsinstanz. Ihm untergeordnet waren die minderen Diener (Zoll- und Weggeldeinnehmer, Jäger, Küfer, Forstknechte etc.). Seine Entscheidungskompetenzen waren eher gering. Es war rechenschaftspflichtig und weisungsgebunden und musste über alle wesentlichen Vorkommnisse Bericht erstatten. Die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit erwies sich von der Zentralverwaltung aus gesehen als Problem. Die wichtigste Kontrollmöglichkeit boten die jährlich vorzulegenden Rentamtsrechnungen, die aber nur über die Finanzverwaltung Auskunft gaben. Seit dem 18. Jahrhundert wurden in unregelmässigen Abständen Untersuchungskommissionen nach Vaduz gesandt.
Die Aufgaben des als Kollegialbehörde organisierten Oberamts waren seit 1719 in Dienstinstruktionen festgelegt. Die Amtsgewalt war nicht den einzelnen Beamten übertragen, sondern dem Gremium. Dieses traf bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Entscheidungen an wöchentlich vorgesehenen Amtstagen. Das Kollegialprinzip sollte sachliche Entscheidungen gewährleisten, sorgte für Transparenz im Amt und damit für eine Intraorgankontrolle. Es bestand eine Aufgabenteilung zwischen politischer Verwaltung/Gerichtswesen (Zuständigkeit beim Landvogt) und Finanzverwaltung (Zuständigkeit beim Rentmeister). Die Aufgaben umfassten einerseits die Ausübung der landesherrlichen Hoheitsrechte (Recht und Sicherheit, Aufsicht über die Gemeinden, Einzug der landesherrlichen Einkünfte aus Gefällen wie Zoll, Umgeld, Weggeld usw. und nutzbaren Regalien) und andererseits die Nutzung des grundherrlichen Besitzes (Einkünfte der Domäne aus Naturalabgaben, Geldzinsen und Fronen). Die Ausgliederung der Staatsrechnung aus der Rentrechnung erfolgte in mehreren Schritten zwischen 1818 und 1862, die Verselbständigung der landesherrlichen Privatverwaltung (Domäne) gegenüber der öffentlichen Verwaltung erst nach 1862.
Den für die Modernisierung der Staatsverwaltung nötigen Ausbau des Oberamts in Bezug auf Aufgaben und Personal erlaubten die knappen Finanzen nur in geringem Umfang. 1809 wurde ein Grundbuchamt eingerichtet (→ Grundbuch) und 1836 ein Waldamt. Die Errichtung eines dringend benötigten Bauamts (besonders für Strassenbauten, Rhein- und Rüfeverbauungen) wurde in Wien abgelehnt, neue Aufgaben im Bildungs-, Sozial- und Sicherheitswesen wurden den Gemeinden übertragen. Erst die Einnahmen aus der 1852 mit Österreich geschlossenen Zollunion ermöglichten einen personellen Ausbau der staatlichen Verwaltung (Polizeimänner, Kanzlisten und Waldbeamte).
Die Rekrutierung der Beamten erfolgte bis Ende 18. Jahrhundert überwiegend in Vorarlberg und im südwestdeutschen Raum, ab 1808 wurden vor allem Beamte von anderen fürstlichen Besitzungen für einen Laufbahnabschnitt nach Vaduz versetzt. Einheimische kamen höchstens als Amtsschreiber zum Einsatz (eine Ausnahme war Rentmeister Johann Peter Rheinberger); immerhin standen ihnen die minderen Dienste offen. Die Beamten waren auf den Landesherrn vereidigt und konnten von ihm befördert oder entlassen werden. Ihre Bezahlung erfolgte bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus den fürstlichen Renten; neben einem fixen Gehalt erhielten sie Naturalentschädigungen und bis ins 18. Jahrhundert Taxanteile. Diese Organisationsform förderte die bedingungslose Loyalität gegenüber dem Landesherrn, enthielt aber auch Konfliktstoff im Umgang mit den Untertanen.
Gewaltmittel zur Durchsetzung des landesherrlichen Machtanspruchs besass das Oberamt nicht. Die ab 1828 angestellten Polizeimänner (→ Polizei) besassen nur geringe Autorität; 1848 wurden sie vorübergehend entlassen. Im absolutistischen Umfeld zogen die Beamten die Abneigung der Untertanen gegen die Obrigkeit auf sich. Nach der Vertreibung eines Beamten im Jahr der deutschen Revolution 1848 wurde ihre Zahl wieder auf drei verringert. Als Zugeständnis an die Revolution wurden 1848 die Bezeichnungen Oberamt durch Regierungsamt (ab 1862 Regierung) und Landvogt durch Landesverweser ersetzt.
Literatur
- Paul Vogt: Verwaltungsstruktur und Verwaltungsreformen im Fürstentum Liechtenstein in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 92 (1994), S. 37–148.
- Peter Geiger: Geschichte des Fürstentums Liechtenstein 1848 bis 1866, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 70 (1970), S. 5–418.
- Rupert Quaderer: Politische Geschichte des Fürstentums Liechtenstein von 1815 bis 1848, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 69 (1969), S. 5–242.
- Georg Malin: Die politische Geschichte des Fürstentums Liechtenstein in den Jahren 1800–1815, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 53 (1953), S. 5–178.
Zitierweise
<<Autor>>, «Oberamt», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.