Parteien

Autor: Wilfried Marxer | Stand: 27.1.2025

Im europäischen Vergleich setzte die Parteigründung in Liechtenstein spät ein, bedingt durch das indirekte Wahlrecht und die geringen Kompetenzen des Landtags nach der Verfassung von 1862 sowie durch Vorbehalte der Eliten gegenüber Parteien. Erst im Jahr der Einführung des direkten Wahlrechts 1918 wurden im Zug einer Demokratiebewegung mit der Christlich-sozialen Volkspartei (VP) und der Fortschrittlichen Bürgerpartei (FBP) die beiden ersten Parteien gegründet. Die VP war im Oberland und im Arbeitermilieu stärker verankert, während die Bürgerpartei ihre Hochburg im Unterland hatte und ein konservativeres Profil aufwies. Die VP erwies sich als Motor einer politischen Erneuerung, die in die neue Verfassung von 1921, die gesetzliche Grundlegung des Finanzplatzes Liechtensteins und die wirtschaftliche Anbindung an die Schweiz mündete. Bereits in dieser Gründungsphase vollzog sich ein Schulterschluss zwischen den Parteien und der Presse, der sich in Form von Parteizeitungen manifestierte und bis in die jüngste Vergangenheit anhielt.

In den 1930er Jahren entstanden mehrere politische Bewegungen, die teilweise Parteiencharakter annahmen, z.B. der Liechtensteinische Freiwirtschaftsbund. Der 1933 gegründete, ständestaatliche Liechtensteiner Heimatdienst war die bis dahin bedeutendste Alternative zu den beiden etablierten Parteien. Er fusionierte 1936 mit der VP zur Vaterländischen Union (VU), ohne vorher an Landtagswahlen teilgenommen zu haben. Die nationalsozialistische Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein bestand 1938–1945, nahm aber wegen der «stillen Wahl» 1939 und dem Aussetzen des Wahlgangs 1943 ebenfalls nie an Landtagswahlen teil.

Erst 1953 trat mit der Liste der Unselbständig Erwerbenden und Kleinbauern eine dritte Partei zu den Landtagswahlen an. Sie scheiterte jedoch klar an der 18%-Sperrklausel. Auch die Christlich-soziale Partei, die den «Parteienfilz» kritisierte, kandidierte 1962–1974 viermal ohne Erfolg für den Landtag. Die 1985 im Zug der neuen sozialen und ökologischen Bewegung gegründete Freie Liste schaffte im dritten Anlauf 1993 den Einzug in den Landtag. Damit war erstmals eine dritte Partei im Parlament vertreten. Die 1989 als vierte Partei zur Landtagswahl antretende Überparteiliche Liste scheiterte deutlich und konnte an ihren Erfolg auf Gemeindeebene nicht anschliessen.

In den 2010er-Jahren setzte eine Tendenz zur Auffächerung der liechtensteinischen Parteienlandschaft ein. 2013 entstand nach dem Austritt eines Landtagsabgeordneten aus der VU-Fraktion die Gruppierung DU – Die Unabhängigen für Liechtenstein, welche 2013 und 2017 erstmals als vierte Partei in den Landtag einzog. Im August 2018 kam es nach Zerwürfnissen innerhalb der Parteispitze zur Spaltung der DU-Partei, worauf drei ihrer ehemaligen Mandatare im Landtag eine eigene Fraktion unter dem provisorischen Titel «Neue Fraktion» bildeten. Aus dieser ging im September 2018 die Partei Demokraten pro Liechtenstein (DpL) hervor, welche bei der Wahl 2021 in den Landtag einzog, während die DU-Partei kein Mandat mehr erlangte. Die im Juni 2022 gegründete Partei Mensch im Mittelpunkt (MiM), deren Entstehung eng mit der Kritik an den Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verknüpft war, trat nicht zu Gemeinde- oder Landtagswahlen an. Hingegen nominierte die Junge Liste, die Jugendorganisation der Freien Liste, bei den Gemeindewahlen 2023 nach parteiinternen Streitigkeiten zwei eigene Kandidaten für ein Vorsteheramt, blieb allerdings ohne Wahlerfolg.

Die ursprünglichen ideologischen Differenzen zwischen den zwei grossen Parteien FBP und VU haben sich im Verlauf der Zeit weitgehend abgeschliffen, wozu die jahrzehntelange gemeinsame Regierungstätigkeit in einer Koalition mit wechselnden Mehrheitsverhältnissen beigetragen hat (1938–1997, seit 2005). VU und FBP sind in allen Bevölkerungsschichten nahezu gleichmässig verankert und weisen das Profil von Volksparteien auf, während bei der Freien Liste und der DpL programmatische Aspekte im Vordergrund stehen. Die Wählerschaft weist ausgesprochen starke Parteibindungen auf, die im Fall der beiden Volksparteien weniger ideologisch als familiär bedingt sind, sich in den letzten Jahren einem internationalen Trend folgend aber mehr und mehr abschwächten. Personenbezogene Wahlmotive wirken besonders stark bei der direkten Wahl der Vorsteher auf Gemeindeebene. Die lange Phase der Konkordanz und Koalition endete 1997 mit dem Gang der FBP in die Opposition. Damit traten konkurrenzdemokratische Aspekte mit klarer Zuweisung der Verantwortlichkeit wieder stärker in den Vordergrund. In der Auseinandersetzung über eine vom Fürstenhaus initiierte Verfassungsrevision traten anlässlich der Volksabstimmung vom März 2003 alte ideologische Differenzen zutage – die FBP als fürstentreuere, die VU als monarchiekritischere Partei. Seit 2005 regieren die beiden grossen Parteien FBP und VU wieder gemeinsam, wobei bei beiden eine Koalition mit einer kleineren Partei als mögliche Option für die Zukunft immer wieder thematisiert wird.

Seit dem Wahlerfolg der Freien Liste 1993 und den Entwicklungen seit 2013 weist das politische System eine Tendenz vom vormaligen Zwei- zum Mehrparteiensystem auf. War die Parteiengenese in Liechtenstein von den Anfängen bis weit ins 20. Jahrhundert weitgehend von liechtensteinspezifischen Elementen geprägt, so orientiert sich die neuere Entwicklung im Parteienspektrum stärker an internationalen Trends bis hin zu populistischen Ansätzen. Die Sperrklausel von 8 % stellt jedoch kleine Parteien vor eine ständige Bewährungsprobe. Weitere Hindernisse für eine Parteienvielfalt sind und waren u.a. beschränkte personelle Ressourcen, soziale Kontroll- und ökonomische Retorsionsmechanismen, lange Zeit die Medienkontrolle durch die dominanten Parteien, Homogenität der Weltanschauung, direktdemokratische Korrekturmöglichkeiten und wirtschaftliche Prosperität bei hoher Systemzufriedenheit.

Literatur

  • Wilfried Marxer: Parteien, in: Das politische System Liechtensteins. Handbuch für Wissenschaft und Praxis, hg. von Wilfried Marxer, Thomas Milic und Philippe Rochat, Baden-Baden 2024 (= Schriftenreihe des Liechtenstein-Instituts, Bd. 1), S. 397–424.
  • Rupert Quaderer-Vogt: Bewegte Zeiten in Liechtenstein. 1914 bis 1926, 3 Bde., Vaduz/Zürich 2014.
  • Peter Geiger: Kriegszeit. Liechtenstein 1939 bis 1945, 2 Bde., Vaduz/Zürich 2010.
  • Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, 2 Bde., Vaduz/Zürich 1997, 22000.
  • Wilfried Marxer: Wahlverhalten und Wahlmotive im Fürstentum Liechtenstein, Vaduz 2000 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 30).
  • Rupert Quaderer: Liechtenstein und die Konservativen. Wege und Umwege zu den Parteigründungen (1890–1914), in: Katholizismus und «soziale Frage». Ursprünge und Auswirkungen der Enzyklika «Rerum novarum» in Deutschland, Liechtenstein, Vorarlberg und St. Gallen, hg. von Aram Mattioli und Gerhard Wanner, Zürich 1995, S. 75–112.
  • Arno Waschkuhn: Politisches System Liechtensteins. Kontinuität und Wandel, Vaduz 1994 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 18), bes. S. 243–279.
  • Helga Michalsky: Die Entstehung der liechtensteinischen Parteien im mitteleuropäischen Demokratisierungsprozess, in: Liechtenstein: Kleinheit und Interdependenz, hg. von Peter Geiger und Arno Waschkuhn, Vaduz 1990 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 14), S. 221–256.

Medien

Wahlbroschüren und -programme der Parteien zur Landtagswahl 2021 (Foto: Liechtenstein-Institut).
Wahlbroschüren und -programme der Parteien zur Landtagswahl 2021 (Foto: Liechtenstein-Institut).

Zitierweise

<<Autor>>, «Parteien», Stand: 27.1.2025, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 7.2.2025.