
Rätien
Autor: Max Hilfiker | Stand: 31.12.2011
Bezeichnung für das Gebiet der Räter, dann der römischen Provinz Raetia, ab dem Mittelalter des Bistums Chur, schliesslich Graubündens. Nach dem Alpenfeldzug der Römer 15 v.Chr. erfolgte die Errichtung der römischen Provinz mit der Hauptstadt Augusta Vindelicorum (Augsburg, D). Ausser dem Gebiet der eigentlichen Räter gehörte auch das nordöstlich des Bodensees gelegene Gebiet der Vindeliker dazu. Rätien erstreckte sich von den Donauquellen bis zur Innmündung und zum Alpenkamm mit Nord- und Südtirol, Graubünden ohne das Bergell und das Puschlav, Glarus, St. Gallen, Appenzell und dem Thurgau östlich der Murg sowie Liechtenstein und Vorarlberg. Ursprünglich gehörte auch das Wallis dazu. Der rege Handelsverkehr über die Bündner Pässe und die Via Claudia Augusta über den Brenner hinterliess ein reiches Fundgut. Die romanisierte Provinz wurde nach 150-jähriger Friedenszeit unter Kaiser Diokletian (284–305) oder Kaiser Konstantin I. (306–37) zweigeteilt: südwestlich der Iller lag die Raetia prima mit Chur als Verwaltungssitz; Augsburg blieb Hauptstadt der Raetia secunda. Diese wurde am Ende des weströmischen Reichs den Alamannen überlassen, die Raetia prima fiel an das Ostgoten-, dann an das Frankenreich. Der aus der Raetia prima entstandene, weitgehend selbständige Bischofsstaat hiess ab dem 7. Jahrhundert nach dem Wegfall Tirols und der Entstehung einer neuen Bistumsgrenze bei Oberriet-Götzis Churrätien. Karl der Grosse führte um 806 die Grafschaftsverfassung ein, im 10. Jahrhundert kam es zur Teilung: Oberrätien umfasste den Vinschgau/Landeck, Ursern und das heutige Graubünden bis zum Rätikon; zu Unterrätien gehörten Maienfeld, das Sarganserland, Liechtenstein, das Toggenburg, Appenzell, das Rheintal und Vorarlberg.
Der 1799–1803 bestehende Kanton Rätien war ein Verwaltungsbezirk der von Napoleon errichteten Helvetischen Republik, an die sich der Dreibündestaat unter französischem Druck anschloss. Ein Regierungsstatthalter leitete den Präfekturrat, die Distrikte und die Munizipalitäten. Napoleons Mediationsakte von 1803 gab dem Kanton seine alte Staatsordnung unter dem Namen «Graubünden» zurück.
Literatur
- Handbuch der Bündner Geschichte, Bd. 1: Frühzeit bis Mittelalter, hg. vom Verein für Bündner Kulturforschung, Chur 2000.
- Martin Leonhard: Die Helvetik (1798–1803), in: Handbuch der Bündner Geschichte, Bd. 3: 19. und 20. Jahrhundert, hg. vom Verein für Bündner Kulturforschung, Chur 2000, S. 249–257.
- Otto P. Clavadetscher: Rätien im Mittelalter. Verfassung, Verkehr, Recht, Notariat. Ausgewählte Aufsätze. Festgabe zum 75. Geburtstag, hg. von Ursus Brunold und Lothar Deplazes, Disentis 1994.
Zitierweise
<<Autor>>, «Rätien», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 12.2.2025.