
Rechtssetzung
Autor: Karl Heinz Burmeister | Stand: 31.12.2011
Durch die Rechtssetzung (Gesetzgebung) wird von den dafür zuständigen Organen in einem bestimmten Verfahren (geschriebenes) Recht geschaffen und der Rechtsgemeinschaft bekannt gemacht. Bis ins Spätmittelalter herrschte Gewohnheitsrecht vor, seit dem 16. Jahrhundert setzte sich ein von der Obrigkeit gewolltes Satzungsrecht durch.
Das Zusammenleben der Menschen ist seit jeher durch Regeln geordnet, die nach ihrer Verbindlichkeit abgestuft sind in Gewohnheiten, Brauch und Sitte. Diese Verhaltensregeln werden überhöht durch eine Moral- und Sittenordnung, eine von Religion und Philosophie entwickelte Werteordnung. Der Übergang von der Sittenordnung zu einem verbindlichen Sittenrecht erfolgte bei den Germanen durch die im Thing (Gericht) versammelten Stammesmitglieder, die bestehende Sitten zu einem verbindlichen Gerichtsgebrauch erhoben. Die verpflichtend gewordenen Sitten wurden durch eine länger geübte Anwendung zum Gewohnheitsrecht, das durch die Gerichte erzwingbar war. Solange die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse einfach waren, genügte ein mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht.
Als die Verhältnisse komplizierter wurden (Arbeitsteilung, Handel, Schriftkultur), begann man das Gewohnheitsrecht aufzuschreiben und durch Rechtssetzung zu ergänzen, indem man über einen Gerichtsbeschluss das Gewohnheitsrecht durch neue Normen oder durch die Rezeption von Kirchenrecht oder römischem Recht (beides ab dem 12. Jahrhundert) ergänzte. Das geltende oder das neu zu schaffende Recht wurde vor Gericht durch Weisung (Offnung) gewiesen (geoffnet). Oft ging es dabei um die Klärung von Streitfragen zwischen der Herrschaft und der bäuerlichen Genossenschaft. In schwierigen Fällen konnte sich das Verfahren auch durch Aufbietung von Zeugen oder Einsichtnahme in Urkunden länger hinziehen. Das so gewiesene Recht nannte man Weistum (Offnung), in Liechtenstein auch Landsbrauch. Seit dem 12. Jahrhundert begann man, die Weistümer aufzuzeichnen und alljährlich vor Gericht vorzulesen. In Liechtenstein setzte die Aufzeichnung von Gewohnheitsrecht erst im 17. Jahrhundert ein, als das Recht der Herrschaft, Satzungsrecht (Gesetze) zu schaffen und damit bewusst auf Veränderungen in der Gesellschaft hinzuwirken, längst anerkannt war. Die Untertanen dürften aber dennoch einen bedeutenden Beitrag zur Rechtssetzung geleistet haben, besonders bei der Regelung von Nutzungsfragen. Der liechtensteinische Landsbrauch stellt sich als eine Zwischenform von Weistum und Satzungsrecht dar. Die Grafen von Sulz suchten für ihre Territorien Vaduz, Schellenberg und Blumenegg ein gleichförmiges Recht zu schaffen, das sich nicht nur am Gewohnheitsrecht, sondern auch am römischen, also dem Volk fremden, aber bei den Juristen umso anerkannteren Recht orientierte. Ein erster Schritt war 1531 die Anpassung des erbrechtlichen Repräsentationsrechts (Berufung der Enkel zur Erbschaft ihrer vorverstorbenen Eltern) an das 1529 nach dem römischen Recht neu geschaffene sozialere und gerechtere Reichsrecht. Die starke Orientierung am gelehrten römischen Recht führte dazu, dass das um 1600 aufgezeichnete Erbrecht für Liechtenstein und Blumenegg von einem Notar unter Zuhilfenahme von Juristen formuliert wurde; es wurde in der Folge vom Volk gutgeheissen.
Im 18. Jahrhundert trat die Beteiligung des Volks an der Rechtssetzung zurück; Recht wurde durch fürstliche Dekrete geschaffen. Erst mit der Verfassung von 1862 wurden Gesetze von einer gewählten Landesvertretung erlassen, bedurften aber der fürstlichen Sanktion. Die Verfassung von 1921 verlegte das Schwergewicht der Rechtssetzung wieder in die Volksvertretung und stärkte auch die direkte Demokratie (→Referendum). Die Rechtssetzung auf der Staatsebene ist abgestuft in Verfassung, Gesetze und Verordnungen. Das Initiativrecht für Verfassung und Gesetze steht der Regierung, dem Landtag oder dem Volk zu (→Initiative); die Regierung erstellt unter Mitwirkung von Experten einen Gesetzesentwurf, der in einem Vernehmlassungsverfahren durch die Gemeinden, Parteien und Interessenverbände begutachtet und vom Landtag in drei Lesungen beraten und verabschiedet wird, dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden kann, vom Landesfürst sanktioniert, vom Regierungschef gegengezeichnet und im Landesgesetzblatt kundgemacht wird. Auf Gemeindeebene ist Rechtssetzung nur da möglich, wo der Gemeinde ein gesetzgeberischer Freiraum zur Regelung örtlicher Verhältnisse zugewiesen worden ist (autonome Satzungen, Reglemente, Tarife, Statuten).
Literatur
- Karin Schamberger-Rogl: «Landts Brauch oder Erbrecht» in der „Vaduzischen Grafschaft üblichen“. Ein Dokument aus dem Jahr 1667 als Grundlage für landschaftliche Rechtsprechung, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 101 (2002), S. 1–127.
- Fabian Frommelt: «... darauf hab ich ylenz ain Gemaindt jn der herrschafft Schellennberg zusamenn beruefft ...». Zu den Gerichtsgemeinden Vaduz und Schellenberg 1350–1550, unpublizierte Lizentiatsarbeit Universität Zürich, Triesen 2000.
- Karl Heinz Burmeister: Caspar von Capal (ca. 1490-1540). Ein Bündner Humanist und Jurist, in: Festschrift für Claudio Soliva zum 65. Geburtstag, hg. von Clausdieter Schatt und Eva Petrig Schuler, Zürich 1994, S. 31–48, bes. 45f.
- Roman Capaul, Rolf Dubs: Einführung in das liechtensteinische Recht, Zürich 1992, S. 27–31, 59, 64–69.
- Albert Schädler: Die alten Rechtsgewohnheiten und Landsordnungen der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg, sowie des nachherigen Fürstentums Liechtenstein, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 5 (1905), S. 39–86.
Zitierweise
<<Autor>>, «Rechtssetzung», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 7.2.2025.