Saisonniers

Autoren: Pio Schurti, Veronika Marxer | Stand: 31.12.2011

Als Saisonniers werden Ausländer und Ausländerinnen bezeichnet, die in einem Erwerbszweig oder Betrieb mit saisonalem Charakter für die Dauer der Saison erwerbstätig sind. Saisonstellen gibt es v.a. im Bau-, Bauneben- und Gastgewerbe sowie in der Land- und Forstwirtschaft. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren viele Liechtensteiner im Ausland als Saisonniers tätig, während danach umgekehrt ausländische Saisonniers für Teile der liechtensteinischen Wirtschaft bedeutend wurden.

Liechtensteiner als Saisonniers

Als erste temporäre Auswanderer können die ab 1404 belegten liechtensteinischen Söldner in fremden Heeren gelten (→ fremde Dienste). Die temporäre Auswanderung in anderen Erwerbszweigen wird erst im frühen 19. Jahrhundert konkret fassbar. Infolge des Bevölkerungswachstums und der Krise um 1800 wuchs in Liechtenstein die Zahl derjenigen, die keine Beschäftigung in der Landwirtschaft und im Gewerbe fanden und auf eine saisonale Tätigkeit im Ausland angewiesen waren. Daran änderten auch die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bedeutende, ständige Auswanderung und die 1861 beginnende Industrialisierung nichts.

Gemäss der Landesbeschreibung von Landvogt Josef Schuppler (1815) verdienten viele Liechtensteiner vom Frühjahr bis Spätherbst als Maurer und Zimmerleute im Ausland Geld. Vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zogen schulpflichtige Kinder der ärmsten Familien während der Sommermonate als Schwabenkinder nach Süddeutschland. Als Saisonniers tätig waren auch unverheiratete Frauen und Familienväter. Die weitaus grösste Gruppe bildeten aber ledige Männer. Die in der Regel nur angelernten Saisonniers arbeiteten meist im Baugewerbe, aber auch in der Landwirtschaft oder im Gastgewerbe. Liechtensteinische Saisonniers fanden v.a. in der Schweiz, in Frankreich und in Deutschland eine Stelle, sind aber auch in anderen europäischen Ländern und in Nordafrika belegt. 1808–42 stellte das Oberamt insgesamt 19 850 Reisepässe aus, wobei die jährliche Anzahl stark schwankte; so wurden 1810 nur an 253 Personen Reisepässe ausgestellt, 1836 dagegen an 826 (davon 99 Frauen), was mehr als 10 % der Bevölkerung entsprach. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrug die Dauer des Aufenthalts im Ausland meistens zwölf Monate. 1929 dürfte die Gesamtzahl der Saisonniers 10 % der Bevölkerung nahegekommen sein. Von 708 im Baugewerbe tätigen Männern fanden damals nur 145 eine Beschäftigung im Inland. Die grosse Zahl von Saisonniers verringerte sich in wirtschaftlichen und politischen Krisenjahren, etwa in den Revolutionsjahren 1848/49, im Ersten Weltkrieg sowie in den 1930er Jahren, was einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Liechtenstein zur Folge hatte.

Viele Saisonniers kamen im Ausland mit demokratischen, liberalen, gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Ideen in Berührung. Die Saisonniers galten in der Phase der Parteigründungen ab 1918 grösstenteils als Anhänger der Volkspartei und trugen deren Forderungen nach politischen, sozialen und wirtschaftlichen Reformen mit. An der Gründung des Liechtensteinischen Arbeiterverbands (→ Liechtensteinischer ArbeitnehmerInnenverband) 1920 waren Saisonniers massgeblich beteiligt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hörte die saisonale Auswanderung von Liechtensteinern infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs in Liechtenstein praktisch auf. Bis heute erwirbt aber die grosse Mehrheit von Liechtensteins Akademikern ihre Ausbildung als temporäre Auswanderer in Bildungsstätten im Ausland.

Pio Schurti

Saisonniers in Liechtenstein

Obwohl in Liechtenstein bereits 1946 Saisonniers als Bauarbeiter im Einsatz waren, ist diese Personengruppe erst seit 1970 statistisch erfasst. 1970 stammten 83 % der insgesamt 699 Saisonniers aus Italien. 1980 waren von den 886 Saisonniers je ein Drittel Jugoslawen und Italiener und ein Viertel Spanier. 1990 kamen von nunmehr 1061 Saisonniers 34 % aus Spanien, 26 % aus Italien, 16 % aus Jugoslawien und 12 % aus Österreich. Der historische Höchststand wurde 1972 mit 1248 Saisonniers erreicht. In der Rezession von 1973–76 wurde im Baugewerbe gut die Hälfte der Saisonniersstellen nicht mehr besetzt, was einen indirekten Export von Arbeitslosigkeit bedeutete.

Den Saisonniers standen bis zum EWR-Beitritt Liechtensteins (1995) von allen Ausländerkategorien die wenigsten Rechte zu. Ihr Aufenthalt war auf neun Monate pro Kalenderjahr beschränkt und der Familiennachzug grundsätzlich untersagt. Voraussetzung für den Familiennachzug war die Umwandlung der Saisonniers- in eine Jahresaufenthaltsbewilligung, was frühestens nach 90 Monaten Saisonaufenthalt (innert zehn Jahren) und nur einer beschränkten Anzahl von Gesuchstellern gewährt wurde (Saisonnierstatut). Aufgrund des EWR-Beitritts wurde das Saisonnierstatut 2000 abgeschafft, eine Übergangsfrist lief am 1.6.2005 aus. Bis dahin wurden alle Saisonnierbewilligungen von EWR-Staatsbürgern auf Gesuch hin sukzessive in Aufenthaltsbewilligungen umgewandelt. Seit 2005 werden für Saisonstellen meist Kurzaufenthaltsbewilligungen erteilt. Zählte man 1998 noch 659 Saisonniers (davon 591 aus dem EWR), waren es im Juni 2003 nur noch 105 (davon 104 aus dem EWR).

Bei den Saisonniers handelte es sich zu 90 % um Männer. Die Saisonarbeit ermöglichte einerseits ein materielles Auskommen, war andererseits aber mit der monatelangen Trennung von der Familie verbunden. Die meist über nur geringe Deutschkenntnisse verfügenden Saisonniers waren kaum in die liechtensteinische Gesellschaft integriert. In oft schlechten Wohnverhältnissen lebend, beschränkte sich ihr soziales Umfeld im Gastland Liechtenstein weitgehend auf den Kreis ihrer Landsleute.

Veronika Marxer

Literatur

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

  • Martina Sochin D’Elia: «Man hat es hier doch mit Menschen zu tun!» Liechtensteins Umgang mit Fremden seit 1945, Zürich 2012, bes. S. 53–55, 149–232.

Zitierweise

<<Autor>>, «Saisonniers», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 9.2.2025.

Medien

Liechtensteiner Saisonarbeiter aus Balzers, Triesen und Triesenberg zusammen mit Saisonniers aus Italien und dem Montafon (A) in Engelberg (OW), 1896 (GATb, Sammlung Pfarrer Bucher).