Schulwesen

Autorin: Annette Bleyle | Stand: 31.12.2011

Das Schulwesen (von lateinisch schola für Musse, Ruhe, Unterricht) ist ein wesentlicher Teil des weiter gefassten Begriffs Bildung. Es umfasst die institutionalisierten Strukturen und den rechtlichen Rahmen der organisierten Wissensvermittlung, die Unterrichtsinhalte sowie die spezifischen Unterrichts- und Erziehungseinrichtungen. Das gesamte Schulwesen steht gemäss liechtensteinischer Verfassung unter staatlicher Aufsicht, Privatunterricht ist zulässig.

Wie im übrigen ländlichen Europa dürfte Bildung auch im Raum des heutigen Liechtenstein bis ins 17. Jahrhundert v.a. als Wissensvermittlung durch die Geistlichkeit erfolgt sein, besonders in Form des Einzelunterrichts für ausgewählte, das Priesteramt anstrebende Knaben. Daraus entwickelte sich der Klassenunterricht, der durch Geistliche oder taugliche Laien gehalten und allmählich von den Gemeinden geführt wurde. Zur weiteren Vorbereitung auf ein (in lateinischer Sprache zu absolvierendes) Universitätsstudium kam für die ab dem 15. Jahrhundert belegten Studenten aus der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg v.a. die um 1400 gegründete Lateinschule in Feldkirch infrage bzw. ab 1649 das dortige Jesuitengymnasium.

Im Sulzisch-Hohenemsischen Urbar (um 1617/19) findet sich mit der Erwähnung eines Schulhauses in Vaduz der erste ausdrückliche Hinweis auf das Schulwesen im heute liechtensteinischen Gebiet. Schulstiftungen sind aktenkundig für Eschen 1653, Triesen 1692 und Vaduz 1711; aus dem Jahr 1700 stammt eine Instruktion für den Schulvogt der Gemeinde Schaan mit der Erwähnung des Schulmeisters. Der Schulbesuch war bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht verpflichtend und fand unter einfachsten Verhältnissen in einem heizbaren Zimmer eines Bauernhauses oder einer Privatwohnung statt. Der Besitzer hatte für die Instandhaltung des Gebäudes zu sorgen, die Gemeinde beschaffte das Mobiliar, die Türen, die Fenster, den Ofen sowie das Holz zum Heizen.

Die Einführung der gesetzlichen Schulpflicht für die 7- bis 13-jährigen Kinder erfolgte mit einem Erlass der fürstlichen Hofkanzlei in Wien vom 18.9.1805, der fast wörtlich einer Eingabe des Triesner Pfarrers Wolfgang Schmidt entsprach. Das war die Geburtsstunde der allgemeinen Grundschulbildung in Liechtenstein. Jede Gemeinde hatte zur Besoldung des vom Oberamt und vom Ortspfarrer angestellten Lehrers einen Schulfonds zu errichten und ein Schulhaus zu bauen. Der 1806 folgende Schulplan legte die leitenden Bildungsgrundsätze fest. Unterrichtsgegenstände waren Religion, Schreiben, Lesen und Rechnen. Der Unterricht wurde klassenweise erteilt. Von Martini (11. November) bis Georgi (23. April) wurde in der sogenannten Winterschule an allen Werktagen Unterricht gehalten, während der übrigen Monate (Sommerschule) nur am Montag-, Mittwoch- und Freitagvormittag, mit 14 Tagen «Vakanz» während der Heuernte. Die Schulabgänger mussten bis zum 20. Lebensjahr am Sonntagnachmittag in der sogenannten Sonntagsschule einen Wiederholungsunterricht besuchen (→ Fortbildungsschule). Die Leitung des Schulwesens war beim Oberamt zentralisiert. Um die Gemeinden bei der Besoldung der Lehrer zu unterstützen, wurde 1812 – ganz im Geist des Josephinismus – ein v.a. aus eingezogenen kirchlichen Kapitalien und Ehetaxen geäufneter Landesschulfonds geschaffen. Indem die örtliche Schulverwaltung und die Aufsicht über Lehrer und Schüler in den Händen der Ortsgeistlichen lagen, behielt die Kirche einen grossen Einfluss im öffentlichen Schulwesen.

Die Grundschulbildung blieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf sehr tiefem Niveau. Vorrangiges Ziel war, die Schüler zu frommen Christen und gehorsamen Untertanen zu erziehen. Daran änderten auch der neue Schulplan und die «Schulgesetze» (Verhaltensregeln für die Schüler) von 1822 wenig. In Anlehnung an das utilitaristische Schulkonzept des österreichischen Schulreformers Johann Ignaz Felbiger forderte der Paragraf 1 des Schulplans, dass der «Schulunterricht lediglich auf die nothwendigsten Kenntnisse eines Landmanns eingeschränkt werden» müsse. Wichtigste Neuerung war die Einführung eines aus dem Klerus stammenden, dem Oberamt verantwortlichen Schulinspektors; auch wurden erstmals die zu verwendenden Schulbücher genannt. Der Schulbesuch wurde trotz Schulpflicht stark vernachlässigt. Ein grosser Teil der Bevölkerung erwartete von der Schule keine Verbesserung der zukünftigen Lebenssituation der Kinder. Besonders im Sommer nutzten viele Eltern die Arbeitskraft ihrer Kinder lieber in der eigenen Landwirtschaft oder verdingten sie notgedrungen als sogenannte Schwabenkinder oder in Feldkircher Fabriken (→ Kinderarbeit). Von Seiten des Oberamts und der Pfarrer bedurfte es grosser Anstrengungen und Bussgeldandrohungen, um alle schulpflichtigen Kinder einer Grundschulbildung zuzuführen. Die Gemeinden sträubten sich gegen die kostspielige Errichtung tauglicher Schulbauten, diese Pflicht war in den meisten Gemeinden erst gegen die Jahrhundert-Mitte erfüllt. Das Schulgesetz von 1827 erhöhte die Anforderungen an die Lehrer und wertete die Sommerschule auf.

Ab 1859 führte ein neues Schulgesetz endlich zu einem qualitativen Aufschwung des Schulwesens. Die Schulpflicht wurde auf acht Jahre verlängert. Der Ausbau des Lehrplans durch die Fächer Naturgeschichte und -lehre, Geschichte, Geografie, Landwirtschaft sowie Zeichnen und Gesang brachte eine Erweiterung des Bildungshorizonts. Allerdings blieb die zulässige Schülerzahl mit 100 Schülern pro Lehrer sehr hoch. Für die Mädchen wurde die sogenannte Industrieschule (→ Handarbeits- und Hauswirtschaftsunterricht) eingeführt, die Knaben erhielten Anweisungen in der Obstbaumzucht. Der von den Dorfpfarrern erteilte Religionsunterricht und die von den Schulabgängern zu besuchende sogenannte Christenlehre behielten eine wichtige Stellung.

Nach der Einrichtung eines Schulrats in jeder Gemeinde als Lokalschulbehörde 1864 wurde 1869 ein Landesschulrat geschaffen; dieser war bis 1971 die oberste Schulbehörde. 1878 übernahm der Staat die Besoldung der Lehrer, womit eine merkliche Entlastung der Gemeinden eintrat. 1897 wurde der Turnunterricht eingeführt – vorerst nur für Knaben. Für das liechtensteinische Schulwesen mehr als 100 Jahre lang prägend war die Beschäftigung von Ordensschwestern als Lehrerinnen an Kindergärten und Volksschulen. Sie überbrückten den chronischen Lehrermangel über Jahrzehnte. Von besonderer Bedeutung waren die ab 1846 in Liechtenstein tätigen Barmherzigen Schwestern des heiligen Vinzenz von Paul in Zams.

Neben dem Schulgesetz von 1859 trug ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Ausweitung des Schulangebots zur Verbesserung des Schulwesens bei: Mit der von Ludwig Grass initiierten «Landeshauptschule» in Vaduz verfügte Liechtenstein ab 1858 erstmals über eine höhere Bildungsanstalt, an der ab 1870 auch Mädchen zugelassen waren. Damit bestand erstmals eine – wenn auch noch wenig genutzte – Chance für eine qualifizierte Mädchenbildung. 1906 entstand mit der «Sekundarschule» in Eschen eine zweite Schule mit ähnlichen Unterrichtszielen. Ab 1951 wurden diese beiden Bildungsanstalten in Vaduz und Eschen unter dem Namen Realschule geführt. 1873 begann mit der Eröffnung eines bis 1918 bestehenden, privaten Töchterinstituts die Bildungsgeschichte des Hauses Gutenberg in Balzers, das 1922–34 eine private Haushaltungsschule beherbergte. Zudem entstanden ab 1881 nach und nach in allen Gemeinden Kindergärten.

Diese Neuerungen – weiterführende «höhere Unterrichtsanstalten», Privatschulen und Kindergärten – erhielten im neuen Schulgesetz von 1929 eine gesetzliche Grundlage. Dieses Gesetz sah ausserdem die berufliche und hauswirtschaftliche Weiterbildung in Form «Freier Unterrichtskurse» vor und unterstellte die Privatschulen der Aufsicht des Landesschulrats. Von neuen, stets von katholischen Orden betriebenen Privatschulen gingen in der Folge massgebliche Impulse auf das liechtensteinische Schulwesen aus: So bestanden ab 1935 das Institut Sankt Elisabeth in Schaan (1942–46 Mädchengymnasium, 1946–77 Höhere Töchterschule, seit 1974 Realschule), 1935–39 ein Progymnasium und 1954–73 ein Lyzeum auf Gutenberg (Balzers) und 1937–81 ein von den Maristen-Schulbrüdern als «Collegium Marianum» gegründetes Privatgymnasium für Knaben in Vaduz. Besonders das 1967 in Liechtensteinisches Gymnasium umbenannte und 1981 verstaatlichte Collegium Marianum erlangte für das liechtensteinische Schulwesen grosse Bedeutung.

Eine in den 1960er Jahren geführte Schulreformdiskussion mündete in das mehrfach teilrevidierte Schulgesetz von 1971. Der Landesschulrat wurde abgeschafft und das Schulwesen direkt der Regierung unterstellt, die sich bei dieser Aufgabe auf das 1972 geschaffene Schulamt stützt. Der kirchliche Einfluss auf das staatliche Schulwesen wurde (ausser im Bereich des Religionsunterrichts) weitgehend eliminiert; so verlor die Geistlichkeit ihren Anspruch auf die Stellung des Schulkommissars bzw. -inspektors. Die bisherige achtjährige Volksschule wurde in die fünfjährige Primarschule und die vierjährige Sekundarstufe I (→ Oberschule, Realschule, Unterstufengymnasium) aufgeteilt, somit die Schulpflicht auf neun Jahre verlängert. Neu ins staatliche Grundschulsystem wurde die Hilfsschule aufgenommen (1990 wieder abgeschafft; seit 1994 besteht ein Ergänzungsunterricht). Die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Schularten, etwa zwischen Realschule und Gymnasium, wurde erhöht. Weitere Modernisierungsschritte waren u.a. die Schaffung des Schulärztlichen und des Schulpsychologischen Dienstes. Die seit den 1970er Jahren erlassenen Verordnungen über die verschiedenen Schultypen wurden 2004 durch eine umfassende Schulorganisationsverordnung ersetzt. Für die Handhabung des staatlichen Stipendienwesens besteht seit 1961 eine Kommission (→ Stipendien). Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung widerspiegelnd, erhöhte sich die Vielfalt des liechtensteinischen Schulwesens seit den 1960er Jahren: 1963 entstand die Liechtensteinische Musikschule, 1969 das Heilpädagogische Zentrum mit Sonderschule und -kindergarten, 1993 die Kunstschule Liechtenstein, 1994 wurde das seit 1980 bestehende, freiwillige 10. Schuljahr institutionalisiert, 1992 folgte die heutige Berufsmittelschule Liechtenstein und 2004 die Sportschule Liechtenstein (→ Sankt Elisabeth). Neue Privatschulen im Primar- und Sekundarschulbereich sind die 1985 eröffnete Waldorfschule in Schaan und die 1995 gegründete Tagesschule Formatio in Triesen; die 2002 eröffnete, massgeblich aus Liechtenstein unterstützte, private «International School Rheintal» in Buchs (SG) steht auch liechtensteinischen Schülern offen. Schon 1961 wurde mit dem Abendtechnikum Vaduz (einer Ingenieurschule) der Grundstein zur heutigen Universität Liechtenstein mit den Studienrichtungen Architektur und Wirtschaftswissenschaften gelegt. Ausserdem beteiligte sich Liechtenstein 1968 am Neu-Technikum Buchs (→ Interstaatliche Hochschule für Technik Buchs NTB). Weitere Studienangebote in Liechtenstein finden sich an der 1986 gegründeten Internationalen Akademie für Philosophie (IAP) und der im Jahr 2000 gegründeten Privaten Universität im Fürstentum Liechtenstein (UFL) in Triesen. Wichtige Beiträge zum Bildungsangebot leisten die verschiedenen Anbieter im Bereich Erwachsenenbildung sowie das 1986 gegründete, v.a. in der Forschung tätige Liechtenstein-Institut in Bendern.

Die traditionelle Abhängigkeit bildungswilliger Liechtensteiner von Bildungsstätten im Ausland reduzierte sich ein erstes Mal 1858 mit der Eröffnung der Landesschule in Vaduz und dann besonders mit der Möglichkeit, am 1937 gegründeten Collegium Marianum die Maturität abzulegen (eine Möglichkeit, die Mädchen allerdings erst ab 1968 offenstand). Bis heute ist Liechtenstein jedoch besonders hinsichtlich der Berufsbildung, der Lehrerausbildung und der Universitäten fast vollständig auf ausländische Einrichtungen angewiesen. Im Wintersemester 2005/06 besuchten 65 % der 873 liechtensteinischen Studierenden Universitäten, Hochschulen oder Fachhochschulen in der Schweiz, 21 % solche in Österreich, 12 % studierten in Liechtenstein und 2 % in Deutschland. Seit dem Beitritt zum EWR 1995 beteiligt sich Liechtenstein an den EU-Bildungsprogrammen SOKRATES (allgemeine Bildung) und LEONARDO DA VINCI (berufliche Bildung).

Die Entwicklung des liechtensteinischen Schulwesens ging im Vergleich zu den Nachbarstaaten langsam vor sich. Das anfängliche Niederhalten der Unterrichtsinhalte durch die Obrigkeit und der Widerstand des bäuerlichen Umfelds wirkten bremsend. Die starke kirchliche Prägung – noch gemäss Schulgesetz von 1929 hatte sich «der gesamte Schulunterricht […] nach den Grundsätzen katholischer Weltanschauung» zu richten (Art. 2) – wurde erst im Schulgesetz von 1971 beseitigt. Gleichzeitig stieg der Einfluss der Wirtschaft, was sich etwa an der Verbindung zwischen der Industrie und dem ehemaligen Abendtechnikum Vaduz bzw. heute dem Finanzdienstleistungssektor und der Universität Liechtenstein zeigt, an der Forderung nach Stärkung der wirtschafts- und naturwissenschaftlichen Fächer oder an der Gründung der International School Rheintal.

Literatur

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

  • Rupert Quaderer-Vogt: Bewegte Zeiten in Liechtenstein, 1914 bis 1926, Vaduz/Zürich 2014, Bd. 3, S. 342–364.

Zitierweise

<<Autor>>, «Schulwesen», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.

Medien

Aufbau des liechtensteinischen Bildungswesens (Amt für Statistik Liechtenstein)