Sozialhilfe (Fürsorge)

Autorin: Julia Frick | Stand: 31.12.2011

Die traditionelle kirchliche, öffentliche und private Fürsorge diente der Bekämpfung existenzieller Armut. Sie wurde ab Mitte der 1950er Jahre durch die Sozialversicherung enorm entlastet und in den 1960er Jahren als Sozialhilfe neu definiert. Sozialhilfe stellt seither ein sowohl wirtschaftliches als auch soziales «Auffangnetz» dar. Zusammen bilden Sozialversicherung und Sozialhilfe die Grundpfeiler des Sozialstaats.

Im Mittelalter oblag die Unterstützung von Bedürftigen und Bettlern besonders der Kirche (→Bettelwesen); im Sinne der christlichen caritas sahen z.B. Jahrzeit-Stiftungen oft Spenden für die Armen vor. Ab dem Spätmittelalter versorgten die Gemeinden die Dorfarmen und durchziehende Bettler mit der «Spend». Die Unterhaltspflicht der Gemeinden wurde in der frühen Neuzeit auf mittellose und erwerbsunfähige Gemeindebürger eingeengt. Weitere Fürsorgeinstrumente der Gemeinden waren das «Ummi-ässa» (täglich wechselnde Verköstigung durch die Bürgerhaushalte) und die «Armen-Vergantung» (Versorgung durch den Mindestfordernden). Der Fürst gewährte Bittstellern in patriarchalischer Manier Unterstützungen aus Gnade. Ärzte waren im 19. Jahrhundert verpflichtet, Arme unentgeltlich zu behandeln.

Erste Schritte eines staatlichen Fürsorgewesens waren 1836 die Errichtung eines Waisenamts sowie 1845 einer landschaftlichen Armenkommission und eines durch Verlassenschaftsabhandlungstaxen, Verehelichungstaxen und Strafgelder geäufneten Landesarmenfonds. Das Gemeindegesetz von 1864 und das Armengesetz von 1869 wiesen die Unterstützungspflicht zuerst den Verwandten zu; in zweiter Linie hatten verarmte oder erwerbsunfähige Gemeindebürger Anspruch auf eine Unterstützung durch die Heimatgemeinde. Eine wesentliche Verbesserung brachte ab 1870 die Errichtung von «Armenhäusern» (→Bürgerheime).

1921 wurden die kommunale Armenfürsorgepflicht und die staatliche Oberaufsicht in der Verfassung verankert. Dank bedeutenden Teilschritten in der Sozialgesetzgebung beinhaltete die soziale Fürsorge ab 1931 die Arbeitslosen-, Tuberkulose-, Säuglings-, Kranken- und Altersfürsorge, ab 1932 die Jugend- und Irrenfürsorge, ab 1936 Geburtstaxen. Bedürftige erhielten finanzielle Unterstützungen aus den verschiedenen Landesfonds: dem landschaftlichen Armenfonds (gegründet 1845), dem Fürstlichen Landes-Wohltätigkeitsfonds (1887), dem Irrenfürsorgefonds (1908), dem Kranken-, Alters- und Invalidenfonds (1923) oder der Fürst-Franz-und-Fürstin-Elsa-Stiftung (1929). Diese Fürsorgeleistungen wurden von der Regierung von Fall zu Fall gesprochen. Die Landesgesamtausgabe für Soziale Fürsorge stieg im Krisenjahrzehnt 1929–39 um mehr als das Zehnfache. 1941 wurde eine staatliche Tuberkulosefürsorgestelle eingerichtet, ab 1942 zahlte der Staat Kinderzulagen für Familien unter dem Existenzminimum.

Die private Caritas übte ab 1924 fürsorgerische Tätigkeiten aus, u.a. organisierte sie einen Krankenpflegedienst. Der Landesverband der Frauen und Töchter (1944) unterstützte Mütter in finanzieller Not. 1946 richtete das Liechtensteinische Rote Kreuz eine kostenlose Mütterberatungsstelle mit einer Säuglingsfürsorgerin ein.

Eine grundlegende Modernisierung der Sozialhilfe erfolgte 1965 mit dem ersten liechtensteinischen Sozialhilfegesetz (in Kraft getreten 1966, revidiert 1984). Es schuf für alle Landesbürger, die nicht in der Lage sind, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu sichern, einen Rechtsanspruch auf staatliche Unterstützung und überwand damit das karitative Almosen- und Gnadensystem; Nichtlandesbürger erhalten unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls Sozialhilfe. Die Fürsorgezuständigkeit wechselte vom Bürgerorts- zum Wohnortsprinzip. Wesentlich war die Gründung des Fürsorgeamts 1966 (seit 1992 Amt für Soziale Dienste), das für die psychosoziale Versorgung der Bevölkerung verantwortlich ist. Es umfasst die Abteilungen Sozialer Dienst (wirtschaftliche Existenzsicherung), Therapeutischer Dienst (sozialpsychiatrische Grundversorgung), Kinder- und Jugenddienst (Jugendhilfe, -pflege, -schutz) sowie Innerer Dienst. Die gesetzlich vorgeschriebene Mitwirkung der kommunalen Fürsorgekommissionen kommt in Form des Zustimmungsrechts bei der Gewährung von Sozialhilfe durch das Amt für Soziale Dienste zum Ausdruck. Letzteres betreute 2005 insgesamt 1390 Klienten; davon waren 53 % Liechtensteiner, 28 % EU- oder Schweizer Staatsbürger und 19 % Bürger anderer Staaten.

Staatliche Sozialhilfe kann in Form wirtschaftlicher Hilfe (Gewährleistung des sozialen Existenzminimums) und persönlicher Sachhilfe (Beratung, Betreuung) oder durch gerichtliche Massnahmen erfolgen. Letztere ermöglichen im sogenannten Rechtsfürsorgeverfahren die (Zwangs-)Einweisung geisteskranker oder schwer verwahrloster Personen in geeignete Anstalten (psychiatrische Kliniken, →Heime). Daneben werden auch private Sozialhilfeeinrichtungen (Sozialhilfeträger) und Selbsthilfeorganisationen mit staatlichen Förderungsbeiträgen unterstützt, u.a. die Alters- und Pflegeheime, der Verein für Betreutes Wohnen, das Heilpädagogische Zentrum, der Familienhilfe-Verband, das Frauenhaus oder die Informations- und Beratungsstelle für Frauen (infra).

Die Finanzierung der seit den 1990er Jahren stark angestiegenen Sozialhilfeausgaben erfolgt durch den Staat; die Gemeinden beteiligen sich zu 50 % an den Kosten der wirtschaftlichen Hilfe (im Verhältnis ihrer Einwohnerzahl) und der Alters- und Pflegeheime. Die Subventionierung der privaten Sozialhilfeträger obliegt dem Land.

Quellen

  • Jahresberichte Amt für Soziale Dienste 1967- (verschiedene Bezeichnungen, seit 2006: Rechenschaftsbericht), Schaan 1967–.
  • Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag 1922– (diverse Titelvarianten, seit 1999: Landtag, Regierung und Gerichte. Bericht des Landtages, Rechenschaftsbericht der Regierung an den Hohen Landtag, Berichte der Gerichte, Landesrechnung), Vaduz 1922–; online ab Jahrgang 2005.

Literatur

  • Isabel Frommelt: Analyse Sozialstaat Liechtenstein. Basierend auf der Entwicklung der Sozialausgaben des Landes 1995 bis 2004, hg. von der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz 2005.
  • Amt für Soziale Dienste, hg. vom Amt für Soziale Dienste, Schaan 2001.
  • Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, Bd. 1, Vaduz/Zürich 1997, 22000, S. 285–293, 485–494.
  • Manfried Gantner, Johann Eibl: Öffentliche Aufgabenerfüllung im Kleinstaat. Das Beispiel Fürstentum Liechtenstein, Vaduz 1999 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 28), S. 205–218.
  • Solidarität tut not. 1966–1991. 25 Jahre Sozialhilfegesetzgebung und Bestehen des Fürsorgeamtes in Liechtenstein, hg. vom Liechtensteinischen Fürsorgeamt, Redaktion: Richard Biedermann, Roland Müller, Schaan 1991.
  • Josef Büchel: Der Gemeindenutzen im Fürstentum Liechtenstein (unter besonderer Berücksichtigung des Gemeindebodens), Triesen 1953, S. 67f.
  • Irma Jehle: Wohlfahrtspflege im Fürstentum Liechtenstein, Diplomarbeit Frauenschule Luzern, Schaan 1946.

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

Medien

Sozialhilfeempfänger und -ausgaben, 1966-2005 (Amt für Sozial Dienste)

Zitierweise

<<Autor>>, «Sozialhilfe (Fürsorge)», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.