Sprache

Autor: Anton Banzer | Stand: 31.12.2011

In der liechtensteinischen Verfassung von 1921 ist die deutsche Sprache als Staats- und Amtssprache festgelegt. Anders als in Deutschland und Österreich hat die gesprochene Amtssprache im täglichen Leben allerdings nur eine äusserst untergeordnete Bedeutung. Der liechtensteinische Alltag wird dominiert von der Mundart (Dialekt), die in praktisch allen Kontexten und von allen Bevölkerungsschichten angewandt wird. Ausnahmen mit Bevorzugung der Standardsprache finden sich im Bildungswesen, in den Gerichten und in der Kirche. 1970 waren 6,8 %, 1990 10 % und 2000 12,3 % der liechtensteinischen Bevölkerung nicht deutscher Muttersprache.

Sprachgeschichte

Das Gebiet des heutigen Liechtenstein war im ersten vorchristlichen Jahrtausend ein Teil des rätischen Siedlungsraums. Alsbald erfolgte von Norden her ein Übergreifen keltischer (vindelizischer) Volksteile und Kultureinflüsse, welche im Rheintal so deutliche Spuren in den Namen von Wasserläufen und Ortschaften (z.B. Bendern, Nendeln, Mäls) hinterlassen haben, dass dort eine zunehmende sprachliche Vorherrschaft des Keltischen über das Rätische vermutet werden darf. Dennoch ist eine ältere Schicht vorrömischer Namen erhalten, die sich aus dem Keltischen nicht deuten lassen, und die ein Fortbestehen des rätischen Volkstums auch in der Zeit der keltischen Vormacht augenscheinlich machen.

Als 15 v.Chr. Rätien durch die Römer erobert wurde, breitete sich allmählich die lateinische Sprache neben den alteingesessenen Mundarten aus. Das importierte vulgäre Latein nahm eine eigene, von den alten Landessprachen in Wortschatz, Intonation, Wort- und Satzbildung mitgeprägte Entwicklung, aus welcher schliesslich die rätoromanische Sprache hervorging.

Hand in Hand mit dem Untergang des Römischen Reichs begann die Germanisierung Rätiens durch die Alamannen. Von ihren ersten Vorstössen im 3. Jahrhundert dauerte es bis Mitte des 5. Jahrhunderts, ehe sie ins Bodenseegebiet vordrangen, in die Alpentäler der sogenannten Raetia prima stiessen sie im 8./9. Jahrhundert vor. Dieses südliche Rätien, zu dem auch das heutige liechtensteinische Staatsgebiet gehörte, vermochte seinen romanischen Charakter in Bevölkerung, Sprache, Kultur und Rechtsleben noch weiter zu bewahren, während das Gebiet nördlich des Hirschensprungs (Gemeinde Rüthi, SG) von Alamannen bewohnt wurde.

Mit dem Einbezug Rätiens in den fränkisch-merowingischen Machtbereich begannen sich die schon gelockerten alten kirchlichen und kulturellen Beziehungen zu Italien schrittweise aufzulösen. Nach dem Reichsteilungsvertrag von Verdun (843) gehörte Rätien gleich wie Alemannien zum ostfränkischen, deutschen Reich und öffnete sich damit mehr und mehr dem nördlichen Einfluss. Rätien wurde gleichzeitig auch kirchlich vom Erzbistum Mailand abgetrennt und der Erzdiözese Mainz unterstellt. Damit endete eine über 800-jährige, enge Bindung an den lateinischen Süden.

Das Zusammenleben des romanischen Volks mit dem im Land hausenden deutschen Adel und dessen Gesinde, ein zunehmender Handelsverkehr und verschiedene Schübe alamannischer Zuwanderung führten mit der Zeit zu einer Änderung der sprachlichen Verhältnisse, d.h. vorerst einer Verbreitung der Zweisprachigkeit, schliesslich einer allmählichen Verdeutschung Unterrätiens. Es begann ein Ablösungsprozess, der dazu führte, dass sich im heutigen Liechtenstein gegen Ende des 13. Jahrhunderts die deutsche Sprache durchgesetzt hatte. Aus diesem langwierigen und überaus komplexen sprachlichen Übergang hat sich die reiche mundartliche Vielfalt des Rheintals und ganz Unterrätiens herausgebildet.

Seit dem Abschluss der Verdeutschung ist das Sprachleben nicht stehengeblieben. Insbesondere hat der Rhein, der als jüngere politische Grenze das alte Unterrätien der Länge nach durchschneidet, in neuerer Zeit zunehmend grenzbildend gewirkt, ohne freilich die alten mundartlichen Gemeinsamkeiten ganz zu verwischen. Beidseits des Rheins steigt etwa die Zahl der romanischen Orts- und Flurnamen in südlicher Richtung an und nimmt die Volkssprache in ähnlicher Weise zunehmend andere Züge an. Auch eine ganze Reihe romanischer Reliktwörter hat sich in diesem Gebiet bis in die heutige Zeit erhalten. Diese Relikte drohen jetzt aber unterzugehen, weil mit dem Verschwinden der bäuerlichen Lebenswelt auch die sachlichen Grundlagen verloren gehen.

Mundart

Sprachgeografisch gehört Liechtenstein zum Alemannischen und kann aufgrund eines lautlichen Merkmals zum sogenannten Niederalemannischen (Ausnahme: Triesenberg) gezählt werden: Im Anlaut vor Vokal erscheint germanisch k als Aspirata /kh/, während das zum hochalemannischen zählende Schweizerdeutsche sich hier durch den Reibelaut /ch/ abgrenzt (Kind vs. Chind). Gleich wie das Liechtensteinische gehen bezüglich dieses Merkmals auch das Vorarlbergische sowie das Churer- und das Baslerdeutsch.

Im Bergdorf Triesenberg hat sich seit der Einwanderung der Walser um 1280 eine deutlich von den anderen Mundarten unterscheidbare höchstalemannische Walsermundart erhalten, welche erst in jüngster Zeit mit Anpassungstendenzen an das Niederalemannische der Nachbarn konfrontiert wird. Typisch für die Triesenberger Walsermundart ist das Erscheinen des walserischen sch-Lautes (böösch, ‹böse›), das Erscheinen des walserischen Diminutivs auf -elti (Öpfelti, ‹Äpfelchen›), das Fehlen der sonst in Liechtenstein üblichen Senkung der mittelhochdeutschen Hochzungenvokale (Milch/Melch, Suppa/Soppa, Luft/ Loft) und die Flexion des prädikativen Adjektivs (der Ofa ischd chaalta, ‹der Ofen ist kalt›) sowie der Umlaut beim flektierten Adjektiv im Femininum Singular und Neutrum Plural (lämi Chua, ‹lahme Kuh›; d Meiti sin chrängi, ‹die Mädchen sind krank›).

Die Talgemeinden Liechtensteins zeigen in ihren Mundarten trotz aller Eigenständigkeit noch immer die historisch gewachsene – heute politisch getrennte – Verbindung mit dem angrenzenden Gebiet jenseits des Rheins, aber auch mit dem St. Galler Rheintal und dem angrenzenden Vorarlberg. Verschiedene mundartliche Merkmale zeigen das lange Zusammengehen dieses Raums. Eine auffällige Gemeinsamkeit ist etwa die Monophtongierung von mittelhochdeutsch ei, ou, öu (blääch/bleich; Oog/Oug, ‹Auge›, Höö/Höu, ‹Heu›), welche diese Mundarten nicht nur von der Walsermundart Triesenbergs, sondern auch vom umgebenden Alemannischen abgrenzen.

Innerhalb Liechtensteins lassen sich die Talmundarten entsprechend der historisch-politischen Aufteilung in Oberland und Unterland (bzw. Grafschaft Vaduz und Herrschaft Schellenberg) auch mundartlich trennen: Speziell in nasaler Umgebung finden sich einige sprachlandschaftliche Unterschiede. Die Entsprechung von mittelhochdeutsch ei vor Nasal erscheint im Oberland als Monophthong /ä/ (Stää, ‹Stein›), im Unterland als nasalierter Monophthong /o/ (Stoo). Mittelhochdeutsch ie vor Nasal wird im Unterland zu nasaliertem /e/ (neena, ‹nirgends›), entgegen der Beibehaltung des Diphthongs im Oberland (niena). Mittelhochdeutsch â und ô vor Nasal sind im Unterland offen /o/ (Sooma, Boona, ‹Samen, Bohne›), im Oberland geschlossen /o/ (Sooma, Boona). Mittelhochdeutsch uo bzw. üe vor Nasal werden im Unterland monophthongiert zu offenem /o/ (Blooma, ‹Blume›) bzw. offenem /ö/ (gröö, ‹grün›), das Oberland behält die Diphthonge (Bluema, grüe). Sprachgeografisch relevant sind auch die Dehnung in offener Silbe, welche im Unterland (Booda, ‹Boden›) konsequent gilt, während im Oberland (Boda) nur partiell gedehnt wird. Diese konsequent durchgeführte (unterländische) Dehnung findet sich auch im Werdenbergischen wieder. Typisch auch die Entwicklung von mittelhochdeutsch u und ü vor r + Konsonant. Das Unterland hat hier die Diphthonge /ue/ (Duerscht, ‹Durst›) bzw. /üe/ (Füerscht, ‹Fürst›), während im Oberland normale Senkung zu /o/ (Dorscht) bzw. /ö/ (Förscht) erscheint.

Auch innerhalb der beiden Mundartgebiete Oberland und Unterland lassen sich Differenzierungen vornehmen. Eine Sonderstellung nimmt im Oberland die zu den angrenzenden Zonen der Bündner Herrschaft und des Sarganserlands im Näheverhältnis stehende Mundart von Balzers ein. Speziell kennzeichnet sie die auffällige, noch nicht geklärte Senkung von mittelhochdeutsch e zu /ä/, welche konsequent vor Nasal (Hämp vs. Hemp, ‹Hemd›) gilt, doch auch in anderer Umgebung auftritt (Mäter vs. Meeter, ‹Meter›).

Die historisch-kirchlich bedingte Zweiteilung des Unterlands (Eschen/Mauren und Gamprin/Schellenberg/Ruggell) zeigt sich sprachlich in der unterschiedlichen Entwicklung von mittelhochdeutsch ei vor oraler Konsonanz. Eschen und Mauren haben /a/ und im Plural /ä/ (Taal, Tääl, ‹Teil›, ‹Teile›), die anderen zeigen geöffnetes /o/ bzw. /ö/ (Tool, Tööl).

Literatur

Zitierweise

<<Autor>>, «Sprache», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.

Medien

Darstellung der Verdeutschung Unterrätiens, 1974 (Werdenberger Jahrbuch 1992). © Hans Stricker, Grabs. Die Pfeile deuten das etappenweise Vorrücken des Deutschen (talaufwärts) an; die Querbalken verweisen auf heutige Dialektgrenzen, denen vielfach auch zeitweilige Verdeutschungsetappen entsprechen.