Staatsanwaltschaft

Autor: Lukas Ospelt | Stand: 9.4.2025

Die Staatsanwaltschaft ist eine staatliche Behörde, deren Hauptaufgabe in der Strafverfolgung sowie in der öffentlichen Anklage im Strafverfahren (→ Strafrecht) besteht. Das moderne Institut der Staatsanwaltschaft geht im deutschen Sprachraum im Wesentlichen auf Landesgesetze der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Dies gilt allerdings nicht für das Fürstentum Liechtenstein, wo die Staatsanwaltschaft erst 1914 eingerichtet wurde.

Die Verwirklichung des Anklagegrundsatzes

1812 wurde in Liechtenstein das österreichische Strafgesetz von 1803 rezipiert. Dessen strafprozessuale Vorschriften überliessen es dem Gericht, das Strafverfahren einzuleiten, den Fall aufzuklären und über das Ergebnis der Ermittlungen zu entscheiden. Dieser sogenannte Inquisitionsprozess kam ohne Staatsanwalt aus.

Im Vormärz wurde von liberalen Juristen im Deutschen Bund die Einführung des Anklagegrundsatzes und damit einhergehend der Staatsanwaltschaft als öffentliche Anklägerin nach dem Vorbild des französischen «ministère public» propagiert, um die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter zu gewährleisten. Eine Vorläuferin der Staatsanwaltschaft waren die 1809 in Baden installierten Kronanwälte. 1831, 1841 respektive 1846 kam es in Baden, Hannover und Preussen zur Einführung von Staatsanwaltschaften. Im Gefolge der Revolution von 1848/49 wurden in Österreich und in den meisten deutschen Staaten Staatsanwaltschaften eingerichtet.

In Liechtenstein sah der vom Verfassungsausschuss vorgelegte Verfassungsentwurf vom 1.10.1848 (→ Verfassung) in Strafsachen den Anklageprozess vor: Der Landschreiber als Mitglied der Landesregierung sollte im Untersuchungsgericht sowie im Schwurgericht als Untersuchungsrichter und öffentlicher Ankläger fungieren. Doch dazu kam es nicht. Auch die Konstitutionelle Verfassung von 1862 schwieg sich – wie ihr Rezeptionsvorbild, die Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen von 1833 – zur Frage des Anklageprozesses bzw. einer Staatsanwaltschaft aus.

Während der Anklagegrundsatz im österreichischen Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt von 1867 verankert und durch die Strafprozessordnung von 1873 näher ausgeführt wurde, blieb Liechtenstein bei den Strafprozessnovellen von 1881, 1884 und 1909 weiterhin dem Inquisitionsverfahren verhaftet. Erst im Gleichklang mit der Einführung der neuen Strafprozessordnung (StPO) von 1913 wurde nach längeren Vorarbeiten durch die Fürstliche Verordnung vom 19.5.1914 beim Fürstlichen Landgericht eine Staatsanwaltschaft nach österreichischem Vorbild eingesetzt. Der Staatswalt musste nach den Bestimmungen der österreichischen Gesetzgebung zur Ausübung des Richteramtes befähigt sein. Sein Stellvertreter wurde aus den Beamten der Landesverwaltung entnommen. Der Staatsanwalt bzw. dessen Stellvertreter übten im Sinne der StPO die Befugnisse des öffentlichen Anklägers aus und unterstanden der Regierung. Über Verlangen der Regierung war über anhängige Strafsachen Bericht zu erstatten und in besonders wichtigen Straffällen, ferner bei politischen Verbrechen und Vergehen, war das Einvernehmen mit ihr zu pflegen.

1921 wurde der Anklagegrundsatz in Art. 102 Abs. 1 der neuen liechtensteinischen Verfassung verankert (seit 2003 Art. 100 Abs. 1).

Aufgaben und Befugnisse der Staatsanwaltschaft

2011 wurde die Fürstliche Verordnung von 1914 durch das Staatsanwaltschaftsgesetz (StAG) aufgehoben. Das StAG regelt die Organisation der Staatsanwaltschaft, ihre Aufgaben, das Weisungsrecht (der Regierung gegenüber dem Leiter der Staatsanwaltschaft und des Leiters gegenüber den anderen Staatsanwälten), die Berichtspflicht, die Dienstaufsicht sowie den Ausschluss und die Ablehnung der Staatsanwälte. Gemäss Art. 2 StAG ist die Staatsanwaltschaft zur Erfüllung der ihr durch Gesetz oder Staatsvertrag zugewiesenen Aufgaben, insbesondere in der Strafrechtspflege, berufen. Sachlich ist die Staatsanwaltschaft vor allem zur Verfolgung aller Offizialdelikte, die ihr zur Kenntnis gelangen, zuständig und verpflichtet.

Bei der Verfolgung von Widerhandlungen gegen die nach dem Zollanschlussvertrag von 1923 in Liechtenstein anwendbare schweizerische Bundesgesetzgebung delegiert die schweizerische Bundesanwaltschaft in der Praxis regelmässig das Strafverfahren an die liechtensteinische Staatsanwaltschaft. Auch für alle Tatbestände, die die jeweils anwendbaren schweizerischen Bundesgesetze den kantonalen Strafverfolgungsbehörden zuweisen, ist die liechtensteinische Staatsanwaltschaft zuständig. Mit den 2007 in Kraft getretenen Diversionsregelungen nach österreichischem Vorbild wurden den liechtensteinischen Staatsanwälten faktisch richterliche Funktionen übertragen. 2024 wurde die strafrechtliche Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden gemäss dem Rechtshilfegesetz von 2000 auf die Europäische Staatsanwaltschaft ausgedehnt.

Die Regierung kann dem Leiter der Staatsanwaltschaft schriftlich generelle Weisungen sowie Weisungen zur Sachbehandlung in einer bestimmten Strafsache erteilen. Solche Weisungen dürfen aber insbesondere nicht auf die Einstellung eines Strafverfahrens gerichtet sein. Von den Gerichten ist die Staatsanwaltschaft laut der Strafprozessordnung (StPO) von 1988 in ihren Verrichtungen unabhängig. In einer Entscheidung vom 2.12.2016 bezeichnete der Oberste Gerichtshof (OGH) die Staatsanwaltschaft als «umfassende Rechtswahrerin» und zur Objektivität verpflichtete «Hüterin des Rechts».

Personelle Entwicklung

Zwischen 1913 und 1978 gab es in Liechtenstein nur einen einzigen Staatsanwalt, der – allerdings nicht in denselben Strafsachen – als Richter beim Fürstlichen Landgericht tätig war. 1978 wurde erstmals ein vollamtlicher Staatsanwalt bestellt, 1980 folgten ein zweiter und 1988 ein dritter Staatsanwalt. Der gesetzlich schon 1989 vorgesehene Leiter der Staatsanwaltschaft wurde erst im Zuge der Finanzplatzkrise im August 2000 eingesetzt. Gleichzeitig wurde die Staatsanwaltschaft personell aufgestockt. 2023 bestand die Staatsanwaltschaft aus dem Leitenden Staatsanwalt sowie aus acht Staatsanwältinnen und -anwälten. Seit 2020 durchlaufen die künftigen Staatsanwältinnen und -anwälte nicht mehr den staatsanwaltlichen Vorbereitungsdienst, sondern den richterlichen Vorbereitungsdienst.

Quellen

Literatur

  • Patricia M. Schiess Rütimann: Gerichtsbarkeit, in: Das politische System Liechtensteins. Handbuch für Wissenschaft und Praxis, hg. von Wilfried Marxer, Thomas Milic und Philippe Rochat, Baden-Baden 2024 (= Schriftenreihe des Liechtenstein-Instituts, Bd. 1), S. 367–396.
  • Andreas Venier, Alexander Tipold: Strafprozessrecht, Wien 162024.
  • Robert Wallner: Staatsanwaltschaft und sonstige Ankläger, in: Handbuch liechtensteinisches Strafprozessrecht, hg. von Ingrid Brandstätter, Jürgen Nagel, Uwe Öhri und Wilhelm Ungerank, Wien 2021, S. 97–110.
  • Peter Bussjäger: Art. 93, in: Kommentar zur liechtensteinischen Verfassung. Online-Kommentar, hg. vom Liechtenstein-Institut, Version vom 20.12.2018.
  • Peter Collin: Staatsanwaltschaft, in: Enzyklopädie der Neuzeit, hg. von Friedrich Jaeger, Bd. 12 (2012), Sp. 566–567.
  • M. Frommel: Staatsanwaltschaft, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 1809-1812.
  • Friedrich Rulf: Staatsanwaltschaft, in: Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesammten österreichischen öffentlichen Rechtes, hg. von Ernst Mischler und Josef Ulbrich, Bd. 2/2, Wien 1897, S. 1064–1066.
  • Salomon Mayer: Handbuch des österreichischen Strafprocessrechtes, Bd. 1, Wien 1876.
  • Heinrich Albert Zachariae: Handbuch des deutschen Strafprocesses, Bd. 1/1, Göttingen 1860.

Medien

Gebäude der liechtensteinischen Staatsanwaltschaft in Vaduz, 2025 (Foto: Liechtenstein-Institut).
Gebäude der liechtensteinischen Staatsanwaltschaft in Vaduz, 2025 (Foto: Liechtenstein-Institut).

Zitierweise

<<Autor>>, «Staatsanwaltschaft», Stand: 9.4.2025, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 19.4.2025.