Staatskrise (28.10.1992)

Autor: Wilfried Marxer | Stand: 31.12.2011

Am 11./13. Dezember 1992 wurde in Liechtenstein eine Volksabstimmung betreffend das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum EWR durchgeführt – eine Woche nach einer entsprechenden Abstimmung in der Schweiz. Bei der Terminfestlegung für diese Abstimmung hatte Fürst Hans-Adam II. ultimativ eine Vorverlegung vor den Abstimmungstermin der Schweiz gefordert. Am 28.10.1992 eskalierte die Auseinandersetzung zur sogenannten Staatskrise, indem der Fürst mit der Auflösung des Landtags, der Entlassung der Regierung Hans Brunhart und einem Notverordnungsregime drohte. Ein spontan gegründetes «Überparteiliches Komitee für Monarchie und Demokratie» – bestehend aus Gerard Batliner, Johann Beck, Cyrill Büchel, Alice Fehr-Heidegger (*1940), Josef Frommelt, Noldi Frommelt, Otto Hasler (1922–2002), Marina Kieber-Ospelt (*1952) und Franz Nägele – rief zu einer gegen dieses Vorhaben gerichteten Demonstration vor dem Regierungsgebäude auf (rund 2000 Teilnehmer) und unternahm einen Vermittlungsversuch. Noch am gleichen Tag handelten Landtag und Regierung sowie Hans-Adam II. einen Kompromiss aus (gemeinsame Erklärung von Fürst, Landtag und Regierung), der den Abstimmungstermin nach dem Urnengang der Schweiz beliess, aber ein Bekenntnis zum EWR-Abkommen einschloss, unabhängig vom Abstimmungsausgang in der Schweiz.

Die Staatskrise, bei der es im Kern um die Hauptverantwortung in der Aussenpolitik und deren Ausrichtung (Verhältnis zur Schweiz) ging, machte Unklarheiten der Verfassung in Bezug auf die Kompetenzen verschiedener Staatsorgane deutlich. In der Folge wurde eine Verfassungsrevision eingeleitet, die im März 2003 nach harten Auseinandersetzungen in die Annahme einer Vorlage des Fürstenhauses mündete (→Verfassung).

Literatur

  • Alicia Längle: Vom Funken, der die Liechtensteiner Verfassungsdebatte entzündete. Die Liechtensteiner Staatskrise vom 28. Oktober 1992 und die Theorien von Timur Kuran und James Scott über versteckte und öffentliche Meinungen, unpubl. Typoskript, Triesen 1997.
  • Roger Quaderer: Die Staatskrise vom 28. Oktober 1992 im Fürstentum Liechtenstein aus verfassungsrechtlicher Sicht, Diplomarbeit Universität Innsbruck, unpubl. Typoskript, Schaan 1993.
  • Arno Waschkuhn: Politisches System Liechtensteins: Kontinuität und Wandel, Vaduz 1994 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 18), S. 110–114.

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

Zitierweise

<<Autor>>, «Staatskrise (28.10.1992)», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.

Medien

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Am 28. Oktober 1992 demonstrierten rund 2000 Menschen vor dem Regierungsgebäude in Vaduz gegen die vom Fürsten angedrohte Entlassung der Regierung und die Auflösung des Landtags (Liechtensteinisches Landesarchiv, SgAV 5/927/1, Foto: Klaus Schädler).