
Strafrecht
Autor: Karl Heinz Burmeister | Stand: 31.12.2011
Das Strafrecht ist der Teil der Rechtsordnung, der von ihr nicht geduldetes Verhalten mit Strafe bedroht, um die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen.
Schon vor der Einwanderung der Alamannen im 5. Jahrhundert bestand für die romanische Bevölkerung ein öffentliches, vom römischen Kaiser abgeleitetes Strafrecht, das neben der Todesstrafe Körper- und Vermögensstrafen oder die Verbannung kannte. Bei den Germanen war ein öffentliches Strafrecht nur rudimentär vorhanden, namentlich für Kriegsdelikte (Verrat, Feigheit), worauf die Todesstrafe stand. Während der Hausvater eine Strafgewalt über die Hausangehörigen (Tötung eingeschlossen) ausübte, war es ausserhalb der Familie Aufgabe der Sippen, ein Unrecht nach dem Grundsatz der Talion (der Täter soll den gleichen Schaden erleiden wie das Opfer) zu vergelten. Die Blutrache war Pflicht, konnte aber durch eine vereinbarte Zahlung eines Bussgelds in Form von Vieh oder Waffen abgelöst werden. Solche Sühneverträge waren anfangs freiwillig, später wurden sie verpflichtend, um die Blutrache einzuschränken. Der Pactus Alamannorum (um 600) und die Lex Alamannorum (um 730) legten Bussenkataloge als Richtschnur für die Sühneverträge fest, die Anfang des 9. Jahrhunderts durch die Capitula Remedii auch auf die romanische Bevölkerung ausgedehnt wurden. Die Landfrieden führten seit dem 12. und besonders im 13. Jahrhundert für bestimmte Delikte Körperstrafen und die Todesstrafe ein: das Enthaupten für Mord und Totschlag, das als schimpflicher geltende Hängen für schweren Diebstahl und Raub, die Auspeitschung für kleinere Diebstähle. Das auf der Basis des alemannischen Rechts und der Landfrieden weiterentwickelte Gewohnheitsrecht bildete den Inhalt des auf lokaler Ebene geltenden Schwäbischen Landrechts, wie es 1275 im «Schwabenspiegel» niedergeschrieben wurde.
Im Spätmittelalter ging der vom römisch-deutschen Kaiser abgeleitete Blutbann, d.h. das Recht, die Blutgerichtsbarkeit auszuüben, auf die lokale Herrschaft über. Das öffentliche Strafrecht setzte sich durch: Das Anklageprinzip (Klage durch den Verletzten) trat zugunsten des von Amts wegen eingeleiteten Inquisitionsverfahrens zurück. Die Carolina von 1532 legte die aus dem römischen Recht hergeleiteten Grundsätze des Verfahrens und des materiellen Rechts fest. Strafzweck war die Vergeltung bzw. Sühne, die Unschädlichmachung des Täters und die Abschreckung. Neben der Todesstrafe gab es Körper- und Ehrenstrafen sowie die Landesverweisung (z.T. mit Brandmarkung). Das grausame Strafensystem wurde durch die häufig praktizierte Gnade vor Recht abgemildert, namentlich durch die Urfehde. Zudem gibt es Hinweise, dass im 17. Jahrhundert in der Grafschaft Vaduz wie auch sonst im deutschen Sprachraum vermehrt Gefängnisstrafen (z.B. mehrtägige Turmstrafe bei Wasser und Brot oder stundenweise Haft im Nomhaus, dem Arrest für Diebe; Gefängnisse) und als neue Bestrafungsform die Zwangsarbeit (z.B. mehrjährige Galeerenstrafe oder tageweise Arbeitsleistung beim Schlossbau oder im herrschaftlichen Garten) ausgesprochen wurden.
Das liechtensteinische Strafrecht folgte nach der Abschaffung der Carolina (1812) aufgrund eines fürstlichen Dekrets dem österreichischen StGB von 1803. Dieses enthielt den modernen Grundsatz «nullum crimen sine lege» («kein Verbrechen ohne Gesetz») sowie weitere Modernisierungen wie die Trennung von Verbrechen, Vergehen und Übertretungen. 1859 wurde das österreichische StGB von 1852 rezipiert. Auf der Basis des grundlegend reformierten österreichischen StGB von 1975 wurde 1989 ein neues liechtensteinisches StGB in Kraft gesetzt. Die Todesstrafe wurde abgeschafft, die Strafbarkeit der Homosexualität auf deren Ausübung mit unmündigen oder jugendlichen Personen beschränkt. Es wurden neue Tatbestände wie Luftpiraterie, Geiselnahme, terroristische Handlungen, Verfehlungen im Umweltschutz oder Computerkriminalität in das Gesetz aufgenommen. Abweichend vom österreichischen StGB wurde der Tatbestand des Ehebruchs gestrichen, die strafbare Mitwirkung am Selbstmord auf die Fälle «verwerflicher Beweggründe» reduziert, die Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch abgelehnt bzw. nur für die medizinische Indikation vorgesehen. Das Strafrechtsanpassungsgesetz, das gleichzeitig mit dem neuen StGB in Kraft trat, regelt den Teil des Strafrechts, der durch Verträge mit der Schweiz die Anwendung schweizerischen Strafrechts gebietet.
Das Recht des Fürsten zur Abolition und dasjenige zur Begnadigung ermöglichen es dem Fürsten, Einfluss auf das Strafrecht zu nehmen.
Im Strafverfahren folgte Liechtenstein bis 1913 dem österreichischen Verfahren bei Verbrechen und Vergehen von 1803. Ab 1913 gab es eine auf der österreichischen Strafprozessordnung von 1873 beruhende Strafprozessordnung, die mehrmals novelliert wurde. Das 1989 in Kraft gesetzte StGB machte deren grundlegende Überarbeitung notwendig. Sie stützte sich auf das österreichische Strafprozessanpassungsgesetz von 1975 und trat 1989 in Kraft.
Quellen
- Das neue liechtensteinische Strafgesetzbuch (StGB). Samt den Erläuterungen zur Regierungsvorlage und dem Bericht der Landtagskommission, das Jugendgerichtsgesetz (JGG) samt den Erläuterungen zur Regierungsvorlage und der Stellungnahme der Regierung nach der 1. Lesung im Landtag zum JGG, das Strafrechtsanpassungsgesetz (StRAG) samt den Erläuterungen zur Regierungsvorlage und die strafrechtlichen Nebenvorschriften, soweit sie durch das StRAG (Anhang 1 und 2) angeglichen wurden, hg. von Heinz Josef Stotter, Vaduz 1988.
- Johann Baptist Büchel: Auszüge aus den Protokollen des Hofgerichts der Grafschaft Vaduz aus der Zeit der Hohenemser Grafen. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 38 (1938), S. 107–149.
Literatur
- Hermann Baltl, Gernot Kocher: Österreichische Rechtsgeschichte. Unter Einschluss sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Grundzüge. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Graz 102004.
- Karin Schamberger-Rogl: «Landts Brauch oder Erbrecht» in der «Vaduzischen Grafschaft üblichen». Ein Dokument aus dem Jahr 1667 als Grundlage für landschaftliche Rechtsprechung, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 101 (2002), S. 7–14, 46–73.
- Manfred Tschaikner: «Der Teufel und die Hexen müssen aus dem Land ...». Frühzeitliche Hexenverfolgungen in Liechtenstein, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 96 (1998), S. 1–198.
- Arno Waschkuhn: Politisches System Liechtensteins. Kontinuität und Wandel, Vaduz 1994 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 18), S. 216f.
- Karl Kohlegger: Besonderheiten der liechtensteinischen Strafrechtsreform, in: Liechtensteinische Juristen-Zeitung, Jg. 11 (1990), S. 49–64.
- Joseph Ospelt: Die Gründung der Grafschaft Vaduz. Nebst kurzer Geschichte der vorausgegangenen Zeit, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 41 (1941), S. 5–69, besonders 24f., 29–31, 34–36.
- Wilhelm Beck: Das Recht des Fürstentums Liechtenstein. (Systematisch dargestellt, nebst Literaturangabe), Zürich 1912.
Zitierweise
<<Autor>>, «Strafrecht», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.