Tobelhocker

Autor: Manfred Tschaikner | Stand: 1.2.2021

In Liechtenstein erinnert die Vorstellung von den Tobelhockern an die letzten Hexenprozesse der Jahre 1679/80 (→Hexenverfolgung). Die Hexenverfolger und deren Nachkommen sollten nach dem Tod in das Lawenatobel (Gemeinde Triesen) gebannt sein und dort für ihre Untaten beziehungsweise für jene ihrer Vorfahren büssen. Ausserhalb Liechtensteins ist keine vergleichbare Tradition bekannt, die von der Zeit der Hexenverfolgungen bis in die Gegenwart reicht.

Nach landläufiger Vorstellung galten wilde Schluchten als Aufenthaltsorte von Geistern und Hexen. In Vorarlberg bildete der Begriff «Tobelreiterin» ein Synonym für «Hexe». Die Umkehrung der Bedeutung in Liechtenstein stand im Zusammenhang mit der 1684 de facto erfolgten Aufhebung der für rechtwidrig erklärten Urteile der letzten Vaduzer Hexenprozesse. In den ehemals pfarrlich zusammengehörigen Gemeinden Triesen und Triesenberg wurden dabei nicht nur die Opfer rehabilitiert. Mit der schon seit 1684 bezeugten Stigmatisierung als Tobelhocker kam es auch zu einer symbolischen Bestrafung der Täter, also der Kläger und Denunzianten («Brenner»). Wie diese durchgeführt wurde, ist unbekannt. Spätere Generationen deuteten sie als Folge eines Fluchs. Die räumliche Beschränkung der Tobelhocker-Vorstellung verweist jedenfalls auf eine maßgebliche Mitwirkung des Triesner Pfarrers Valentin von Kriss. Der führende Interessenvertreter der Verfolgten wird gewusst haben, dass es zu einer wirksamen Beendigung des Hexentreibens mehr bedurfte als obrigkeitlicher Anordnungen, die zum Teil gar nicht umsetzbar waren (zum Beispiel die Rückabwicklung der Konfiskationen im Gefolge der Hexenprozesse).

Mit der Ausgrenzung der sogenannten Tobelhocker-Familien gewannen die ehemals Verfolgten nicht nur rechtlich, sondern auch sozial und mental die Oberhand. Die Stigmatisierung der Sippen der einstigen Kläger und Denunzianten überdauerte mehrere Jahrhunderte. So bestanden noch bis ins 20. Jahrhundert getrennte Heiratskreise im Dorf. Nach dem Ende der Hexenprozesse hatten sich die Machtverhältnisse, nicht aber die Denkmuster geändert. Die Sündenbockfunktion war von einer Bevölkerungsgruppe auf die andere übertragen worden.

Im 19. Jahrhundert konnte selbst der Historiker Peter Kaiser die Entstehung der Tobelhocker-Vorstellung nur mehr anhand der volkstümlichen Überlieferung (→Sagen und Legenden) erklären. Eine erste literarische Bearbeitung fand das Thema Tobelhocker in Marianne Maidorfs Erzählung «Die Hexe vom Triesnerberg» (1908), die um 1930 von Niklaus Eggenberger (Grabs/SG) als Schauspiel adaptiert wurde. Ausführlicher setzte sich mit diesem Phänomen der Wiener Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia in seinem Roman «Die Hexen» (1969) auseinander. Maidorfs Buch enthielt zudem die ersten bildnerischen Darstellungen von Tobelhockern aus der Feder des Schwyzer Illustrators Melchior Annen (nach Entwürfen von Peter Balzer). Weitere künstlerische Bearbeitungen des Themas stammen unter anderem von Josef Seger (1966, 1986) und der Triesner Fotografin Maria-Luise Schwizer (2014).

Literatur

Zitierweise

<<Autor>>, «Tobelhocker», Stand: 1.2.2021, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.

Medien

«Stina Rüdi kommt zu den Tobelhockern.» Erste bildliche «Tobelhocker»-Darstellung aus dem Jahr 1908. Illustration von Melchior Annen nach einem Entwurf von Peter Balzer in Marianne Maidorfs Erzählung «Die Hexe vom Triesnerberg», erschienen 1908 im Verlag Orell Füssli, Zürich. (Unveränderter Nachdruck Vaduz 1980, © Verlag HP Gassner, Vaduz).
Die Tobelhocker, Illustration von Josef Seger, aus: Josef Seger: Dunkle Spuren. Sagen aus Liechtenstein, Vaduz 1986.


Tobelhocker, Fotografie von Maria-Luise Schwizer, Triesen, aufgenommen 2014 im Lawenatobel.