Tracht

Autor: Ruben Walser | Stand: 31.12.2011

Der Begriff Tracht – von althochdeutsch traht(a) für das, was getragen wird – steht für jede nach der allgemeingültigen Sitte oder den Richtlinien einer bestimmten Institution ausgerichtete Kleidung, die einer Veränderung weitgehend entzogen ist (Standes-, Berufs-, Volks- oder Nationaltrachten). Seit dem 18. Jahrhundert entstanden regionalspezifische (Volks-)Trachten als Alltags- oder Festtagskleidung bäuerlicher und kleinbürgerlicher Bevölkerungskreise. Sie wurden oft schon im 19. Jahrhundert wieder aufgegeben, erfuhren aber seit dem späten 19. Jahrhundert im Kontext einer Romantisierung des Vergangenen und als Ausdruck einer starken Verwurzelung in der Heimat eine erneute Wertschätzung. Die Tracht fand nun auch Eingang in die Mode höherer Gesellschaftsschichten und, in Anerkennung ihrer traditions- und identitätsstiftenden Funktion, ins öffentliche Leben.

Älteste Hinweise auf eine liechtensteinische Frauentracht finden sich im 18. Jahrhundert; in diese Zeit datieren eine Trachtenhaube, mehrere Mieder in meist roter Farbe sowie eine grosse Anzahl silberner Miederhaken, die 1986/87 bei archäologischen Ausgrabungen in Mauren gefunden wurden. Trachten wurden somit schon früh und wohl auch häufig getragen. Im 19. Jahrhundert verschwand die Tracht u.a. aufgrund der Textilrevolution allmählich aus dem liechtensteinischen Alltag; vereinzelt soll sie noch bis um 1860 getragen worden sein. Belegt sind Trachten bei der Landesausstellung 1895 und der 200-Jahr-Feier 1912.

Ihren Wiederaufschwung erlebte die Tracht in Liechtenstein ab Mitte 20. Jahrhundert. Nach einem ersten Aufblühen in den 1930er und 40er Jahren (Landesausstellung 1934, Huldigung 1939, Fürstenhochzeit 1943) entstand 1954 auf Initiative von Maly Ospelt-Real (1917–1978) in Vaduz ein erster Trachtenverein. Anlässlich des 50. Geburtstags von Fürst Franz Josef II. sowie der 150-Jahr-Feier der Souveränität Liechtensteins 1956 wurden kostengünstige «neue» Trachten angeschafft und in fast allen Gemeinden Trachtenvereine gegründet. Um die entstandene Kluft zwischen der alten und der neuen Tracht zu überwinden, wurde am 15.12.1965 auf Initiative von Adulf Peter Goop die Liechtensteinische Trachtenvereinigung als Dachverband der trachtentragenden und das Brauchtum pflegenden Vereine gegründet. Die Trachtenvereinigung bestellte eine Trachtenkommission, deren Empfehlungen 1966 zur Schaffung einer «Landestracht» in den Landesfarben und – für die Vaduzerinnen – einer repräsentativeren «Festtagstracht» führten. Nachdem dieses Konzept umstritten blieb, entwickelte eine erneute Trachtenkommission 1988–90 die wissenschaftlich besser untermauerte und auf ältere liechtensteinische Vorbilder gestützte, bis heute gültige «Liechtensteiner Tracht» sowie eine eigene Tracht für die Triesenbergerinnen.

Die «Liechtensteiner Tracht» unterliegt strengen Richtlinien. Neben Trachtenschuhen mit schlichter Metallschnalle gehören weisse, gemusterte Strümpfe und Handschuhe, ein schwarzer, gebauschter Rock, eine weisse Bluse mit Häkelspitzen an den Ärmeln, Schmuck in Altsilber (evtl. mit roten Granatsteinen), eine entsprechende Tasche, eine Radhaube in Schwarz und Silber sowie eine Schürze, passend zum roten Mieder (seit 1998 sind auch Tannengrün, Dunkelblau und Lachs erlaubt). Es bestehen zudem Mädchen-, Buben- und Männertrachten, für die jedoch historische Vorbilder fehlen. Auch verschiedene Musik- und Gesangvereine sowie Volkstanzgruppen verfügen über Trachten. Die Tracht wird vor allem an Landes-, Gemeinde-, Kirchen- und Vereinsanlässen getragen, aber kaum im Alltag. Sie ist für viele Trägerinnen Ausdruck der Heimat- und Traditionsverbundenheit.

Literatur

  • Christine Burckhardt-Seebass: «Trachten», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.11.2012.
  • P. Egger: Identität und Tracht, in: Mitteilungsblatt der Erzherzog Johann Stiftung, 2006, H. 8, S. 101f.
  • Kornelia Pfeiffer: Die Landestracht – ein geadeltes Kleid, in: Der Monat, 2006, Heft 3, S. 20f.
  • 50 Jahre Trachtenchor Vaduz, 2005.
  • 33 Jahre Liechtensteinische Trachtenvereinigung, zusammengestellt von Adulf Peter Goop, Vaduz 1998.
  • Karl Ilg: Die erneuerte Frauentracht in Liechtenstein und extra in Triesenberg, in: Montfort 46 (1994), S. 332–337.
  • Adulf Peter Goop: Brauchtum in Liechtenstein, Vaduz 1986, S. 314f.

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

  • Jürgen Schremser: Modernität und Tradition. Vergangenheitspolitik im gesellschaftlichen Wandel Liechtensteins zwischen Geschichtsverklärung, Traditionsstiftung und Quellenkritik, in: Gestern – Heute – Morgen: Perspektiven auf Liechtenstein. Vortragsreihe zum Jubiläum «300 Jahre Fürstentum Liechtenstein», hg. von Fabian Frommelt und Christian Frommelt, Bendern 2020 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 61), S. 281–301, hier S. 298f.
  • Zukunft braucht Herkunft. 50 Jahre Liechtensteinische Trachtenvereinigung, hg. von der Liechtensteinischen Trachtenvereinigung, Redaktion und Konzept: Alexander Batliner, Vaduz 2015.
  • Ralph Kellenberger: Kultur und Identität im kleinen Staat. Das Beispiel Liechtenstein, Bonn 1996, S. 190–193.

Zitierweise

<<Autor>>, «Tracht», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 7.2.2025.