
Treuhandwesen
Autor: Christoph Maria Merki | Stand: 31.12.2011
Das Treuhandwesen bietet Dienstleistungen wie Vermögensverwaltung, Anlage- und Steuerberatung oder Buchführung an. In erster Linie aber gründet, strukturiert und verwaltet das liechtensteinische Treuhandwesen Holding- und Sitzgesellschaften, die sich in ausländischem Besitz befinden (sogenannte Briefkastenfirmen); man spricht daher auch vom «Gesellschaftswesen». Dieses entstand in den 1920er Jahren, als die Regierung versuchte, mit niedrigen Steuersätzen, einem liberalen Personen- und Gesellschaftsrecht (1926) und dem Gesetz über das Treuunternehmen (1928) ausländisches Kapital anzuziehen. Das liechtensteinische Treuhandwesen arbeitet seit jeher eng mit den liechtensteinischen und schweizerischen Banken zusammen, bei denen es die ihm anvertrauten Gelder platziert.
Das Treuhandwesen ist ein wichtiger Zweig der liechtensteinischen Volkswirtschaft. Die von den Sitzunternehmen direkt und indirekt geleisteten Abgaben (Gründungsgebühren, Couponsteuer, Besondere Gesellschaftssteuer) bilden seit der Mitte der 1920er Jahre eine wichtige Quelle der liechtensteinischen Staatseinnahmen (→ öffentlicher Haushalt). Zu einem bedeutenden Arbeitgeber wurde das Treuhandwesen aber erst seit den 1960er Jahren. 1940 beschäftigte es 0,5% aller liechtensteinischen Erwerbstätigen, 2007 mit 2525 Personen knapp 8% (Treuhandwesen inklusive Rechtsberatung).
Die ersten Treuhänder und Pioniere des «Finanzplatzes» Liechtenstein waren Wirtschaftsanwälte wie Wilhelm Beck und Ludwig Marxer sowie kaufmännisch gebildete «Rechtsagenten» wie Louis Seeger und Guido Feger. Sie bedurften für ihre Tätigkeit einer Konzession der Regierung. 1968 wurde für die Bewilligung der Nachweis entsprechender Ausbildung und Praxis notwendig; 1979 erfolgte die Einführung einer Treuhänderprüfung für Personen ohne fachspezifischen Studienabschluss. Das 1992 im Hinblick auf den liechtensteinischen EWR-Beitritt erlassene Treuhändergesetz machte diese Prüfung für alle Treuhänder obligatorisch; zudem wurde eine Liechtensteinische Treuhändervereinigung öffentlichen Rechts geschaffen.
Die Professionalisierung des Treuhandwesens war auch eine Reaktion auf Skandale wie den Chiasso-Skandal 1977. Um der Gefahr des Missbrauchs für kriminelle Zwecke wie Geldwäscherei zu begegnen, wurden zudem 1980 die Publizitäts-, Buchführungs- und Verantwortlichkeitsbestimmungen der Sitzgesellschaften verschärft und 1989 die Treuhänder in eine Sorgfaltspflichtvereinbarung mit der Regierung einbezogen, die 1996 durch ein Sorgfaltspflichtgesetz abgelöst wurde (→ Finanzdienstleistungen).
Literatur
- Christoph Maria Merki: Wirtschaftswunder Liechtenstein. Die rasche Modernisierung einer kleinen Volkswirtschaft im 20. Jahrhundert, Zürich/Triesen 2007, S. 136–172.
- Aktuelle Themen zum Finanzplatz Liechtenstein. Mit Beiträgen zum Stiftungsrecht, Rechtshilfe- und Sorgfaltspflichtrecht, hg. von Marxer & Partner Rechtsanwälte, Vaduz 2004.
- Christoph Maria Merki: Von der liechtensteinischen Landkanzlei zur internationalen Finanzberatung. Die Anwaltskanzlei Marxer & Partner und der Finanzplatz Vaduz, Baden 2003.
Zitierweise
<<Autor>>, «Treuhandwesen», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.