Umwelt

Autor: Bernd Marquardt | Stand: 31.12.2011

Unter Umwelt wird die natürliche Lebensumgebung verstanden, mit welcher der Mensch in biologischen und ausserbiologischen Austausch- und Abhängigkeitsverhältnissen steht. Verwandt sind die Begriffe Natur, Landschaft, Ökosystem und Lebensraum. Nicht gemeint ist hier die soziale Umgebung.

Begriff, historische Perspektive und Phasen

Der Begriff der natürlichen Umwelt wurde 1866 durch den deutschen Naturforscher Ernst Haeckel (1834–1919) geprägt. In den 1970er Jahren stieg er zum Schlüsselbegriff der ökologischen Reformbewegung auf, welche die Zukunftsfähigkeit der modernen industriestaatlichen Entwicklung im Blick auf deren Abhängigkeit von den Eigenschaften und Grenzen des Natursystems hinterfragte. Dieser Diskurs wurde europa- und amerikaweit parallel geführt. Dabei wurde der Umweltbegriff mit dem auf die 1880er Jahre zurückreichenden Konzept des ästhetischen Naturschutzes zur Staatsaufgabe des Umweltschutzes im Sinn der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen verwoben. In den 1990er Jahren trat das Konzept der Nachhaltigkeit als Maxime einer generationsübergreifenden menschlichen Umweltnutzung hinzu.

Ungeachtet der Modernität der Terminologie sind Umweltschutz und Nachhaltigkeit der Sache nach erheblich ältere Phänomene. Diesen hat sich seit den 1970er Jahren das interdisziplinäre und internationale Forschungsgebiet der Umweltgeschichte zugewandt, das historische Gesellschaft-Umwelt-Beziehungen aus einer systemtheoretischen Warte untersucht.

In Liechtenstein ist die Begrenztheit der natürlichen Umwelt angesichts des kleinstaatlichen Charakters besonders offensichtlich. Die drei markantesten Veränderungen der liechtensteinischen Umweltgeschichte lagen, abgesehen von geologischen Prozessen (→ Geologie), in den grossen Rodungen des Hochmittelalters (→ Wald), in der Kanalisierung des Rheins im 19. Jahrhundert (→ Wuhrsysteme) und in den beschleunigten industriestaatlichen Landschaftsveränderungen seit 1950. Zu unterscheiden sind das agrarische und das industrielle Umweltregime.

Agrarisches Umweltregime

Die grossen Rodungen des 12./13. Jahrhunderts verwandelten die nacheiszeitliche Waldlandschaft am Alpenrhein in eine agrarische Kulturlandschaft mit einem Mischgepräge aus Energie- und Bauholzwäldern, Weiden, Alpen, Wiesen, Anbauflächen und dörflichen Siedlungszellen. Deren Umweltprobleme lagen weniger in der Verschmutzung von Luft und Gewässern als vielmehr im Risiko der Übernutzung von Wald- und Agrarflächen. Im Zentrum der Umweltnutzung stand das Modell der Allmende, eine Form herrschaftlich-kommunalen Gesamteigentums, das die überlebenswichtigen Teilökosysteme Wald und Weide durch Verfahren der Kontingentierung des Holzbezugs und der zu weidenden Nutztiere regulierte. Besonders die Nutzung des Walds als wichtigster Energie- und Baumaterialspender, der sich in ausgesprochen langfristigen Zyklen regeneriert, war regelungsbedürftig. Die Gemeinden kannten die Obergrenzen ihres überschaubaren örtlichen Natursystems und praktizierten in diesem Rahmen eine systematische Mengensteuerung der Umweltbeanspruchung. Mehrjährige Rotationssysteme von Weide und Feld, jahreszeitliche Rotationssysteme über mehrere Weide-Höhenstufen (→ Alpwirtschaft) sowie Mehrfachnutzungen, etwa von Wald und Weide, stellten ergänzende Strategien dar, um aus knappen Flächen einen optimalen Nutzen unter gleichzeitiger Vermeidung der Übernutzung zu ziehen. Ziel war die Nachhaltigkeit im Sinn einer generationsübergreifenden Beständigkeit der Symbiose zwischen Lokalgesellschaft und Umweltraum.

Industrielles Umweltregime

Der Weg zum industriellen Umweltregime bahnte sich in Liechtenstein mit einem zuvor nicht vorstellbaren grosstechnischen Umwelteingriff an: mit der Kanalisierung des Alpenrheins. In Umsetzung des internationalen Vertragswerks der Jahre 1837 und 1847 verwandelten Liechtenstein und der benachbarte schweizerische Kanton St. Gallen bis zum Jahrhundertende die traditionelle Wildflusslandschaft mit ihrer Vielfalt an Inseln und Auwäldern in eine Nutz- und Siedlungslandschaft mit einem steindammbewehrten, schnurgeraden Kanal in der Mitte. Damit verbunden war eine starke Zurückdrängung von Lebensräumen wie Rieden und Auen und der darin beheimateten Flora und Fauna. Dass mit dem 19. Jahrhundert ein intensivierter gesellschaftlicher Umweltzugriff einsetzte, zeigte sich ebenso in der Ersetzung der naturgemässen, mehrheitlichen Laubwälder durch reine Nadelholzwälder, die auch das Waldgesetz von 1866 nicht verhinderte. Zudem ist das Verschwinden der Grossraubtiere ein Indikator: Wölfe waren in Liechtenstein bis 1812 nachweisbar, Luchse bis 1854 und Braunbären bis 1888. Als das Bevölkerungswachstum deren Lebensräume und Nahrungsgrundlagen spürbar einengte und sich die Raubtiere ersatzweise an die menschlichen Nutztiere hielten, setzte eine gnadenlose Bejagung ein.

Die in den 1840er Jahren Mitteleuropa erfassende Industrielle Revolution brachte neuartige Umweltprobleme mit sich, besonders Gewässer- und Luftverschmutzungen. Führende Industriestaaten begannen, ein Schutzrecht zu entwickeln, wofür das Immissionsschutzrecht der preussischen Gewerbeordnung von 1845 und das Wassergesetz Badens von 1899 als Marksteine gelten können. Die ab den 1880er Jahren in Preussen entstandene neoromantische Naturschutzbewegung, die industriestaatliche Verschandelungen von Schönheiten der hergebrachten agrarischen Kulturlandschaft kritisierte, brachte in den 1920er Jahren verschiedene deutsche und österreichische Landesnaturschutzgesetze hervor.

Liechtenstein schloss sich diesem Trend 1933 mit einem eigenen Naturschutzgesetz an. Geschützt werden sollten sowohl Objekte als auch bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Doch wurden erst zwischen 1961 und 1978 neun Naturschutzgebiete im Umfang von 0,98 % der Landesfläche ausgeschieden. In den 1990er Jahren setzten Bestrebungen ein, kanalartigen Fliessgewässern ein natürliches Gepräge zu geben, was z.B. ab 1996 beim Giessa in Vaduz oder 2000–03 bei der Mündung des Binnenkanals in den Rhein bei Ruggell umgesetzt wurde.

Die liechtensteinische Industrialisierung (ab den 1860er Jahren) sowie das Bevölkerungswachstum und die intensivierte Landwirtschaft führten zunächst v.a. zu Problemen im Bereich der Gewässer und des Abwassers; 1957 kam ein erstes liechtensteinisches Gewässerschutzgesetz zustande. Von der beschleunigten Industrialisierung ab den 1950er Jahren und veränderten Lebens-, Wohn- und Konsumgewohnheiten gingen weitere grundlegende Umweltveränderungen aus, etwa in den Bereichen Abfall und Energie. Die zweite Generation fossiler Energieträger, das Erdöl, ermöglichte eine (Massen-)Motorisierung. Von Balzers bis Schaanwald und am Eschnerberg bildete sich eine flächenintensive halburbane Hangfuss-Agglomeration heraus. Die Kolonisierung des Rheintals und der Aussichtsterrassen mit Wohngebieten und Gewerbebauten hatte einen Kulturlandverlust von etwa einem Viertel zur Folge, womit die Themen Landschaftszersiedlung, Verkehr und Raumplanung zur ernsten Herausforderung der staatlichen Umweltgesetzgebung aufrückten. 1969 kam ein erster Landesplan zustande und 1985 wurde das Baugesetz angepasst. 1992 folgte ein Gesetz über die Erhaltung und Sicherung des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens. Parallel bildeten sich ab 1950 stark rationalisierte Landwirtschaftsformen mit fabrikartigen Stallgebäuden, motorisierten Arbeitsmaschinen, dem Masseneinsatz von Kunstdüngemitteln und dem Aufsprühen insekten-, pilz- und unkrauttötender chemischer Giftstoffe heraus. Die bislang energieproduktive Landwirtschaft wurde zusehends subventioniert, womit die Überdüngung und der übermässige Einsatz von Pestiziden zu Umweltproblemen ersten Rangs aufstiegen. Das Bodenschutzgesetz von 1990 versuchte gegenzusteuern.

Seit den 1970er Jahren intensivierte sich der wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurs um die industriestaatlichen Umweltgefahren, was sich in Liechtenstein besonders in der Gründung der Liechtensteinischen Gesellschaft für Umweltschutz (LGU) 1973 niederschlug. Parallel dazu nahm die liechtensteinische Umweltschutzgesetzgebung einen spürbaren Aufschwung. Anders als in der Schweiz wurde kein gesamthaftes Umweltschutzgesetz erlassen, sondern eine Reihe sachgebietsbezogener Einzelgesetze: 1976 kam das reformierte Gewässerschutzgesetz zustande (2003 novelliert), 1985 das Luftreinhaltegesetz (2003 novelliert), 1988 das Abfallgesetz, 1990 das Bodenschutzgesetz, 1996 das Gesetz zum Schutz von Natur und Landschaft. Seit den späten 1990er Jahren spielen zunehmend das nachvollzogene europäische Umweltrecht und der völkerrechtliche Umweltschutz, etwa das Protokoll von Kyoto von 1997 zur Reduktion der weltklimarelevanten Kohlendioxidemissionen, eine Rolle.

Literatur

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

  • Cyrus Beck: Zur Geschichte des Umweltrechts in Liechtenstein. Ein Beispiel für den markanten Einfluss des Schweizer Rechts, in: Die Beziehungen Liechtenstein – Schweiz. Beiträge aus Anlass des 100-Jahr-Jubiläums des Zollanschlussvertrags, hg. von Georges Baur, Christian Frommelt und Fabian Frommelt, Gamprin-Bendern 2024 (= Liechtenstein Politische Schriften, Bd. 64), S. 161–193.

Zitierweise

<<Autor>>, «Umwelt», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 10.2.2025.