Unruhen

Autoren: Bernd Marquardt, Fabian Frommelt | Stand: 31.12.2011

Sammelbegriff für den kollektiven Protest von Teilen der Bevölkerung gegen die Obrigkeit, den Staat oder die politischen, sozialen oder ökonomischen Verhältnisse. Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit wendeten sich Unruhen – bezeichnet etwa als «Aufruhr» oder «Empörung» – meist gegen konkrete Missstände mit dem Ziel der Rechtsverteidigung. Legitimitätsgrundlage war das Widerstandsrecht gegen einen Herrn, der das der Herrschaftsmacht zugrundeliegende Recht beugte. Zu den Formen gehörten Beschwerden, Versammlungen, Dienst- und Abgabenverweigerung, Gewaltandrohung oder Gewalt. Nach 1789 bürgerte sich für auf einen Verfassungsumsturz abzielende Unruhen der Begriff «Revolution» ein. Liechtenstein wurde mehrmals von Unruhen erfasst, die oft in einem grösseren geografischen und politischen Zusammenhang standen.

Spätmittelalter und frühe Neuzeit

Das erste bekannte Ereignis war die Beteiligung der Eschnerberger Bauern am Appenzellerkrieg (1403–10). Noch in der Tradition des Widerstandsrechts stand der oberdeutsche Bauernkrieg von 1525, in dem auch die Untertanen von Vaduz und Schellenberg in «Aufruhr» gegen ihren Herrn, Graf Rudolf von Sulz, traten.

Wie die adelige Fehde wurde das bäuerliche Widerstandsrecht ab 1495 mit der auf eine umfassende Friedensordnung zielenden Reichsreform beseitigt. Aufruhr wurde in der Carolina von 1532 kriminalisiert. Als Ausgleich erhielten die Gemeinden das Recht, vor einem obersten Reichsgericht gegen ihren Herrn wegen Missbrauchs der Herrschaftsgewalt zu klagen. 1684 bekamen das die Grafen von Hohenems-Vaduz in einem von ihren Untertanen gegen sie angestrengten Reichshofratsprozess zu spüren, der zur Aberkennung ihrer Herrschaftsrechte, Durchführung einer Reichsexekution und Einsetzung einer kaiserlichen Administration führte.

Eine sanftere Form von Unruhen war die Kooperationsverweigerung, durch die ein seine Kompetenzen überschreitender Herr unter Druck gesetzt und Kompromisse herbeigeführt werden konnten. In Liechtenstein ist besonders an jene mit Suppliken, Beschwerden, Ungehorsam und Gewaltdrohungen verbundenen Proteste zu denken, die auf die 1719 einsetzenden antikommunalen Reformen folgten und 14 Jahre später mit der teilweisen Anerkennung hergebrachter Untertanenrechte endeten (→ Novalzehntstreit, → Verfassung).

Bernd Marquardt

19. und 20. Jahrhundert

Wie 1719 führten auch die fürstlichen Reformen von 1808 zu Unmut in der Bevölkerung, der sich, zusätzlich motiviert durch die Ereignisse in Tirol und Vorarlberg, im sogenannten Aufstand 1809 entlud. Das europäische Revolutionsjahr 1830 fand in Liechtenstein einen Nachhall in den Unruhen 1831/32. Einen Teilerfolg erzielten die Liechtensteiner in der Revolution von 1848, allerdings wurden die fürstlichen Verfassungszugeständnisse 1852 wieder zurückgenommen. Züge von Unruhen trugen auch die Münzwirren von 1874–78.

Im 20. Jahrhundert sind die teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen nationalsozialistischen und «heimattreuen» Gruppierungen in den 1930er und 1940er Jahren zu nennen, die 1939 im gescheiterten nationalsozialistischen Anschlussputsch ihren Höhepunkt erreichten. Zu weiteren Unruhen kam es kaum mehr. Neue Formen des Protests waren die in den 1920er und 1930er Jahren häufigen Aufmärsche sowie Demonstrationen und Streiks. Seit 1921 stehen mit dem Recht auf Initiative und Referendum direktdemokratische Ausdrucksmittel für politische Unzufriedenheit zur Verfügung.

Fabian Frommelt

Literatur

Zitierweise

<<Autor>>, «Unruhen», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 12.2.2025.