Urkunden

Autor: Claudius Gurt | Stand: 31.12.2011

Urkunden sind Schriftstücke mit dem Hauptzweck, «als Zeugnisse über Vorgänge rechtlicher Natur zu dienen» (H. Bresslau). Sie können an bestimmte Formen gebunden, nach Ort, Zeit, Aussteller, Rechts- und Sachinhalt jedoch verschieden abgefasst sein. Der Funktion nach unterscheidet man zwischen rechtskonstitutiven Urkunden, mit deren Ausstellung ein Rechtsgeschäft vollzogen wurde (der meist in subjektiver Form abgefassten carta) und nachträglich ausgestellten Beweisurkunden, die der Rechtssicherung dienten (notitia). Ein entscheidendes Merkmal für die Rechtswirksamkeit der Urkunden ist deren Beglaubigung, sei es durch Unterschrift (Papsturkunde, Notariatsinstrument) oder – für das Mittelalter vorherrschend – durch das Siegel des Ausstellers oder durch Aufbewahrung an öffentlicher Stelle. Aufgrund der rechtlichen Autorität ihrer Aussteller werden die Urkunden des Mittelalters gewöhnlich in Herrscherurkunden (öffentliche Urkunden) und Privaturkunden eingeteilt. Während Erstere einer eindeutig zu bezeichnenden Ausstellergruppe zuzuordnen sind (Kaiser, Könige, Päpste), umfassen die Letzteren alle anderen Aussteller. Der den Urkunden in der traditionellen Geschichtsforschung zugeschriebene zwar bruchstückhafte, aber objektive Informationsgehalt über rechtliche oder gar gesellschaftliche Vorgänge wird aufgrund neuer Erkenntnisse zur Schriftlichkeit infrage gestellt, indem stärker die Aspekte des soziokulturell geleiteten Schriftgebrauchs analysiert werden, also die Frage, wer wann was wie und wozu schrieb.

Eine Sammlung der für die liechtensteinische Geschichte relevanten Urkunden bietet das Liechtensteinische Urkundenbuch (LUB). Die urkundliche Überlieferung in den liechtensteinischen Archiven setzt im Jahr 1298 mit einem im Vatikan ausgestellten Ablassbrief zugunsten der Kirche St. Peter in Schaan ein (PfA Schaan); zudem liegen einige jüngere Abschriften von Urkunden des späten 12. und 13. Jahrhunderts vor. Im Gebiet des späteren Liechtenstein ausgestellte Urkunden sind ab 1314 überliefert (Verkaufsbrief Graf Rudolfs II. von Werdenberg-Sargans betr. Güter in Frastanz, ausgestellt in Vaduz). Wesentlich ergänzt wird der Urkundenbestand durch ausländische Archive (besonders in St. Gallen, Chur, Bregenz, Innsbruck, Wien): die zwölf ältesten, möglicherweise auf heute liechtensteinisches Gebiet Bezug nehmenden (Privat-)Urkunden aus dem 9. Jahrhundert liegen in St. Gallen (Stiftsarchiv und -bibliothek). Aus dem urkundenarmen 10. und 11. Jahrhundert stammen zwei sich vermutlich auf Ruggell beziehende Privaturkunden von 933, je eine Urkunde Kaiser Ottos I. von 965 und Kaiser Ottos II. von 975 sowie eine Urkunde König Heinrichs III. von 1045 (ein auf 1021 datiertes Stück ist gefälscht). Sind aus dem 12. Jahrhundert sechs Urkunden überliefert (drei Papst-, zwei Kaiser-, eine Herzogsurkunde, davon eine Fälschung), setzt sich die Überlieferung im 13. Jahrhundert mit 194 LUB-Einträgen auf viel breiterer Basis fort und wird ab dem 14. und besonders dem 15. Jahrhundert nochmals wesentlich dichter. Neben einzelnen Königsurkunden (darunter die Privilegien für die Vaduzer Grafen von 1379 und 1396 sowie die Brandisischen Freiheiten von 1430) und Papsturkunden (v.a. Schutzbriefe für die Klöster St. Luzi und Churwalden mit Besitz in Liechtenstein aus dem 12. und 13. Jahrhundert, drei Ablassbriefe aus dem 17. und 18. Jahrhundert) dominieren nun die Privaturkunden. Deren Aussteller sind u.a. die Landesherren, Bischöfe, Klöster, Adelige, Städte (v.a. Feldkirch), ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Gemeinden, Ammänner und Privatpersonen. Inhaltlich handelt es sich hauptsächlich um Verträge, Kauf- und Lehensbriefe, Gült-/Zinsbriefe (→ Kredit), Gerichtsurteile, einige Ablassbriefe, im 16. Jahrhundert kommen Urfehdebriefe (→ Urfehde) dazu. Vom 17. Jahrhundert an verlieren die Urkunden gegenüber anderen Quellengattungen (Bücher, Akten) an Bedeutung.

Quellen

Literatur

  • Lothar Deplazes: Schriftlichkeit und Überlieferung im Mittelalter, in: Handbuch der Bündner Geschichte, Band 4, Chur 2000, S. 213–229.
  • Joachim Spiegel et al.: Urkunde, -nwesen, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8 (1997), Sp. 1298–1323.
  • Roger Sablonier: Die Grafen von Rapperswil, in: Der Geschichtsfreund 147 (1994), S. 5–44, hier S. 27.
  • Friedrich Beck und Eckart Henning (Hg.): Die Archivalischen Quellen- Eine Einführung in ihre Benutzung, Weimar 1994.
  • Franz Perret: Einleitung, in: Liechtensteinisches Urkundenbuch, Teil I: Von den Anfängen bis zum Tod Bischof Hartmanns von Werdenberg-Sargans-Vaduz 1416, Bd. 1: Aus dem bischöflichen Archiv zu Chur und aus dem Archiv Pfävers in St. Gallen, bearb. von Franz Perret, Vaduz 1948 (LUB I/1), S. 5–40.
  • Franz Perret: Einleitung, in: Liechtensteinisches Urkundenbuch, Teil I: Von den Anfängen bis zum Tod Bischof Hartmanns von Werdenberg-Sargans-Vaduz 1416, Bd. 2: Aus den Archiven zu St. Gallen, bearb. von Franz Perret, Vaduz 1953 (LUB I/2), S. 3–7.
  • Harry Bresslau: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. 1, Leipzig/Berlin 21912.

Zitierweise

<<Autor>>, «Urkunden», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 15.2.2025.