
Viehhandel
Autor: Bernd Marquardt | Stand: 31.12.2011
Zwar erfüllte die Rindviehhaltung in der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Agrarverfassung vorrangig eine Selbstversorgungsfunktion, doch wurde überschüssiges Jungvieh, das im Rahmen der ökologischen Kapazitäten der produktivsten Weiden, der Alpen, gesömmert werden konnte, im Herbst in die Städte der Umgebung verkauft. Der alpine Viehhandel gewann an Gewicht, als die Klimaverschlechterung der «Kleinen Eiszeit» im 16. Jahrhundert eine weitgehende Umwidmung von Getreideanbauflächen in Weiden erzwang. Der Verkauf von Viehüberschüssen wurde notwendig, um Getreide kaufen zu können.
Als selbst laufende Herdentiere waren Rinder auch in einem Zeitalter prinzipieller Verkehrsfeindlichkeit perfekte Exportgüter über beachtliche Entfernungen. Liechtensteinisches Vieh wurde zunächst nach Sargans verkauft, von wo aus es über die Alpen in die Städte der Lombardei getrieben wurde. Die liechtensteinischen Märkte kamen hingegen niemals über eine örtliche Bedeutung hinaus.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts führte die verkehrstechnische Vernetzung Europas durch den Eisenbahnbau zu einer erheblichen Ausweitung des Viehhandels. Für liechtensteinisches Vieh wurden einerseits neue Absatzchancen im Deutschen Reich und in Österreich eröffnet, doch liess die 1884 fertiggestellte Arlbergbahn zugleich einen starken Konkurrenzdruck aus Osteuropa, besonders Ungarn, entstehen. Den Schlag, dass die benachbarte Schweiz 1890 ihre Grenzen für das liechtensteinische Hauptexportprodukt schloss, vermochte der liechtensteinische Viehhandel durch vermehrte Viehexporte nach Österreich-Ungarn und Deutschland langfristig auszugleichen, wie das Anwachsen der Zahl der ausgeführten Tiere zwischen 1888 und 1918 von 764 auf 1321 verdeutlicht. Im Zug des Zollvertrags von 1923 öffnete sich die Schweiz erneut der Einfuhr von liechtensteinischem Vieh, jetzt gleichbedeutend mit der Möglichkeit zum Viehhandel im gesamten schweizerisch-liechtensteinischen Wirtschaftsraum. In der Zwischenkriegszeit war der Viehexport das zweitwichtigste Aktivum der liechtensteinischen Handelsbilanz. Seit 1943 ist Liechtenstein Mitglied des Viehhandelskonkordats (Interkantonale Übereinkunft über den Viehhandel). Da Liechtenstein keine Exportsubventionen leistet, finden heute praktisch keine Viehexporte statt.
Archive
- Liechtensteinisches Landesarchiv, Vaduz (LI LA).
Quellen
- Alois Ospelt: Wirtschaftsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Anhang, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 72 (1972)/Supplementband, S. 175f.
Literatur
- Christoph Maria Merki: Wirtschaftswunder Liechtenstein. Die rasche Modernisierung einer kleinen Volkswirtschaft im 20. Jahrhundert, Zürich/Triesen 2007, S. 60.
- Jon Mathieu: Eine Agrargeschichte der inneren Alpen. Graubünden, Tessin, Wallis. 1500-1800, Zürich 1992.
- Josef Büchel: Geschichte der Gemeinde Triesen, hg. von der Gemeinde Triesen, Bd. 1, Triesen 1989, S. 368–373.
- Alois Ospelt: Wirtschaftsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Von den napoleonischen Kriegen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 72 (1972), S. 5–423, hier S. 202–211
Zitierweise
<<Autor>>, «Viehhandel», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 15.2.2025.