
Volkskunde
Autor: Herbert Hilbe | Stand: 31.12.2011
Die Volkskunde (heute auch Europäische Ethnologie) untersucht als empirische und vergleichende Wissenschaft kulturelle Phänomene der materiellen Kultur (Alltagskultur) und die subjektive Einstellung des Menschen zu diesen. Sie war bis zu ihrer Neuorientierung in den 1960er und 70er Jahren auf die ländlichen Bevölkerungsschichten fokussiert. Brauch, Volkslied und Sage standen im Mittelpunkt der volkskundlichen Forschung. Heute versteht sie sich als eine Kulturwissenschaft und befasst sich mit dem gesamten Lebenszusammenhang einer Gesellschaft oder einer gesellschaftlichen Gruppe. Die Volkskunde berücksichtigt stets den räumlichen, sozialen und/oder historischen Kontext. Indem vorzugsweise kleinere Gruppen oder Lebenswelten untersucht werden, ergibt sich ihre fachliche Eigenständigkeit.
In Liechtenstein besteht keine institutionell verankerte volkskundliche Forschung. Jedoch nahm der Historische Verein für das Fürstentum Liechtenstein 1912 die «Darstellungen über alte Sitten und Gebräuche, Sagen, Sprichwörter und Volkstrachten» als Vereinsaufgabe in die Statuten auf.
Frühe volkskundliche Informationen enthalten die Landesbeschreibungen der Landvögte Franz Gilm von Rosenegg (1784) und Josef Schuppler (1815). Sie lieferten dem absolutistisch regierenden Fürsten detailliertes Wissen über Land und Bevölkerung. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war im Sog der 1812/18 erschienenen «Deutschen Sagen» der Gebrüder Grimm v.a. die Sammlung der Sagen modern. In der Publikation «Die Sagen Vorarlbergs» von Franz Josef Vonbun (1858) sind auch liechtensteinische Sagen enthalten. Im Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein erschienen ab etwa 1915 vermehrt Artikel zur Volks- und Heimatkunde. Als wichtige frühe Beiträge sind die Artikel «Liechtensteiner Volksbräuche und Volkssagen» von Albert Schädler und «Spruch und Brauch im menschlichen Leben» sowie «Vaduzer Sprüche» von Josef Ospelt zu nennen. In den «Vaduzer Sprüchen» findet sich bereits eine Ausweitung auf das gesamte Feld der Volkspoesie: Grussformeln, Kindersprüche, Liedertexte, Bauernregeln usw. Auch die seit 1951 jährlich erscheinende «Bergheimat» des Liechtensteiner Alpenvereins enthielt volkskundliche Beiträge, v.a. von David Beck und Alexander Frick.
In neuerer Zeit sind in einzelnen Gemeinden Initiativen zu Publikationen entstanden, die sich mit volkskundlichen Themen befassen. Seit 1983 erscheinen in Triesenberg unregelmässig die «Heimeligen Zeiten» (begründet von Engelbert Bucher), seit 1992 die Zeitschrift «Eintracht» der Liechtensteinischen Trachtenvereinigung und seit 1995 die «Balzner Neujahrsblätter». Auch in den von den Gemeinden herausgegebenen Mitteilungsblättern sind gelegentlich volkskundliche Artikel enthalten. Die Gemeinden Gamprin, Ruggell, Schaan und Vaduz haben Dorfbeschreibungen publiziert. Eine umfassende Darstellung des Liechtensteiner Brauchtums lieferte 1986 Adulf Peter Goop in Zusammenarbeit mit Robert Allgäuer und den Volkskundlern Vera Meier und Dominik Wunderlin. Dieses Werk wurde 2005 neu aufgelegt und um moderne Bräuche und moderne Forschungsansätze ergänzt. Die musikalische Volkskunde wurde in den letzten Jahren von Josef Frommelt teilweise untersucht (→ Musik); eine umfassende Darstellung dazu fehlt bislang.
Neben den schriftlichen Arbeiten und Untersuchungen sind in den letzten Jahren auch Filme über alte Handwerksberufe entstanden. Zudem präsentieren einzelne Museen in den Gemeinden volkskundliche Exponate. Sie beziehen sich meist auf ein spezielles Thema: Das Walsermuseum Triesenberg auf die Walser, das Biedermannhaus in Schellenberg auf das bäuerliche Wohnen, das Küefer-Martis-Huus in Ruggell auf Wasser und Rhein und das geplante Museum in der Mühle Eschen auf die Ernährung. Diese Themenmuseen ergänzen die volkskundliche Ausstellungen und Sammlungen des Liechtensteinischen Landesmuseums. Grössere, aber nur teilweise öffentlich zugängliche Sammlungen finden sich in den Gemeinde Mauren, Triesen und Balzers.
Literatur
- Herbert Hilbe: Volkskundliche Forschung in Liechtenstein, in: Historiographie im Fürstentum Liechtenstein, hg. von Arthur Brunhart, Zürich 1996, S. 127–136.
Zitierweise
<<Autor>>, «Volkskunde», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 7.2.2025.