Wald

Autor: Bernd Marquard, Mario F. Broggi | Stand: 17.4.2023

Der Wald ist ein durch den Bewuchs nicht nur einzeln stehender Bäume geprägtes Ökosystem. Heute sind rund 43 % des liechtensteinischen Staatsgebiets bewaldet, wobei – wie in der Schweiz – der alpine Krummholzgürtel mit Legföhren und Grünerlen zum Waldareal gezählt wird. Die mitteleuropäischen und damit auch die liechtensteinische Waldgeschichte kann in vier Perioden untergliedert werden: in das naturnahe Waldland, die grossen Rodungen des 12./13. Jahrhunderts, den vorindustriellen Energie- und Versorgungswald auf der Grundlage der herrschaftlich-genossenschaftlichen Agrarverfassung sowie den modernen Erwerbs- und Erholungswald.

Das nacheiszeitliche Waldland

Nach dem Ende der letzten Eiszeit vor 10 000 Jahren war ganz Liechtenstein unterhalb von 1800 m ü.M. bewaldet. Die von zahlreichen Wasserläufen durchzogene Talebene des Alpenrheins war von Auenwäldern geprägt, welche in die Laubmischwälder der Berghänge übergingen. In Zonen oberhalb von 1300 m ü.M. dominierten Nadelwälder. Zur typischen Waldfauna gehörten Bär, Wolf und Luchs. Das Auftreten von sesshaften Ackerbauern und Viehhaltern ab dem 5. Jahrtausend v.Chr. brachte eine waldbäuerliche Jäger-Hirten-Wanderfeldbaukultur hervor, beseitigte aber noch nicht das urwaldhafte Gepräge.

Die grossen Rodungen des 12./13. Jahrhunderts

Der Landesausbau des hohen Mittelalters war der tiefste Einschnitt der mitteleuropäischen Waldgeschichte. Das Waldkleid wurde systematisch gerodet und durch eine bäuerliche Kulturlandschaft ersetzt. Damals galt der Wald nicht als schützenswertes Gut, sondern in seiner Beseitigung wurde die Voraussetzung für die Gewinnung von Lebensräumen für eine wachsende Bevölkerung gesehen. In Liechtenstein wurden selbst die Gebirgswälder jenseits des Kulms stark zugunsten der Alpwirtschaft reduziert. Die Rodungsbewegung lief um 1300 mit den Walsergründungen Triesenberg und Planken aus. Hintergrund war, dass der permanente Versorgungsbedarf der bäuerlichen Bevölkerung an Waldprodukten die Wahrung von Mindestwaldbeständen voraussetzte. Zudem spielten Reliefbedingungen eine Rolle: Grössere Waldflächen erhielten sich besonders in den agrarisch kaum anders nutzbaren Steillagen der Berghänge und in den überschwemmungsgefährdeten Teilen der Rheinauenwälder. Allerdings kam es auch in den nachfolgenden Jahrhunderten zu Rodungen.

Der vorindustrielle Energie- und Versorgungswald

Das Waldprodukt Holz war vor der Industriellen Revolution der wichtigste Energieträger und Rohstoff, in seiner Bedeutung vergleichbar dem heutigen Erdöl. Zu 80–90 % fand es als Brennholz für die Heiz- und Kochenergie der Haushalte Verwendung. Holz wurde auch für alle sonstigen Befeuerungsprozesse benötigt, z.B. für die Dorfschmiede oder für das Bergwerk im Valorschtal. Die übrigen 10–20 % des Holzes dienten als Baumaterial für Wohnhäuser, Ställe, Zäune, Rheinschutzbauten und Brücken sowie zur Anfertigung von Möbeln, Geräten, Wagen usw. Der Gewinnung von Futter und Düngemitteln diente die Laubnutzung, indem Herbstlaub und Äste im winterlichen Stall verfüttert oder als Streue mit Nährstoffen angereichert und anschliessend auf die Felder transferiert wurden. Eine wichtige Waldnutzung war die Waldweide für Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine. Den Wald als Rohstofflieferanten brauchte es für die Köhlerei und die Harzgewinnung. Hinter dieser Multifunktionalität stand das Bedürfnis, aus knappen Agrarflächen einen optimalen Versorgungsnutzen zu ziehen. Eine wichtige Funktion erfüllen die Wälder bis heute als Schutz gegen Lawinen, Hangrutsche und Überschwemmungen (Schutzwald).

Das Waldnutzungs- und -schutzrecht musste so beschaffen sein, dass es der Vielheit überlebenswichtiger Waldfunktionen gerecht wurde, eine ausgewogene Versorgung gewährleistete und den Gesamtbestand einer nur langsam nachwachsenden Ressource wahrte. Diesem Zweck diente die kollektiv-kommunale Eigentumsform der Allmende und ein dichtes Netz öffentlicher Schutznormen. Grundsätzlich durfte Brenn- und Bauholz nur zur Eigenversorgung eines Haushalts bezogen werden, nicht aber verschwenderisch oder zu Verkaufszwecken. Der Brennholzbezug war mengenmässig begrenzt, die Holzentnahme zudem bewilligungs- und anweisungspflichtig. Gemeindliche Geschworene bzw. herrschaftliche Waldvögte wählten einzelfallbezogen die geeignetsten Bäume aus. Ergänzend gab es besonders geschützte Baumarten, Orte und Zeiten. Normübertretungen waren unter Strafe gestellt. Ab dem 15. Jahrhundert sind rechtliche Konflikte um die Waldnutzung überliefert.

Gesteigerte Waldnutzungsrechte waren der Herrschaft zuerkannt. Sie hatte in den Wäldern das alleinige Jagdrecht (→ Jagd). Zur Bau- und Brennholzversorgung der herrschaftlichen Einrichtungen mussten von Untertanen Fronen geleistet werden, indem für den herrschaftlichen Bedarf Holz geschlagen oder an den Bestimmungsort transportiert wurde. Zudem hatte die Herrschaft in den Alpwäldern das Holzschlagrecht. Den Holzschlag im Samina- und im Valorschtal verlieh die Herrschaft an Private aus der vorarlbergischen Gemeinde Frastanz. Wenn die Untertanen zur Gewinnung von Kulturland Wälder rodeten, mussten sie hierfür der Herrschaft eine Abgabe, den sogenannten Noval- oder Neubruchzehnten bzw. Neugereutzins oder -schilling, entrichten.

Älteste normative Quellen für die Waldnutzung sind die Bannordnungen von 1504, 1530, 1607, 1642 und 1658 sowie die Waldordnungen von 1559 und 1587. Die reichsgräfliche Waldordnung von 1658 und ihre reichsfürstliche Nachfolgerin von 1732 zogen das bewährte Waldnutzungs- und -schutzrecht zusammen. Abgesehen von Details wie dem Verbot der Schaf- und Ziegenwaldweide und der Harzgewinnung (1732) brachten sie keine grundlegenden Neuerungen.

Die Entwicklung zum Erwerbs- und Erholungswald

Vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts fand ein Wandel vom bäuerlichen Energie- und Versorgungswald hin zu einem marktwirtschaftlichen Erwerbswald mit Bau- und Arbeitsholz als Handelsware statt. Markantestes Merkmal dieses Wandels war der Verlust der energetischen Versorgungsfunktion des Waldes, indem nachwachsendes Brennholz und Holzkohle zunehmend durch fossile Steinkohle und Erdöl ersetzt wurden.

1791 erhielt das Vaduzer Oberamt von der Hofkanzlei in Wien verschiedene Instruktionen für eine geregelte Forstwirtschaft. In diesen taucht erstmals der Gedanke von Waldwirtschaftsplänen auf, nach welchen der Holzschlag so reguliert werden sollte, dass die Menge des zu schlagenden Holzes genau im Verhältnis zu den vorausgesetzten Jahren des Nachwuchses stehen sollte. Allerdings setzte sich die Bewirtschaftung nach Waldwirtschaftsplänen erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch. Das Bestreben nach einer rationelleren Waldbewirtschaftung wirkte sich auch dahingehend aus, dass die natürlich vorherrschenden Laubbäume dem schneller wachsenden und insofern profitableren Nadelholz (v.a. Fichten) zu weichen hatten, das nunmehr in Gestalt grossflächiger Monokulturen durch Kahlschläge bewirtschaftet wurde. Des Weiteren setzte eine Entwicklung hin zu einer Entflechtung von Holz- und Weidewirtschaft ein. Entgegen der mitteleuropäischen Tendenz wurden die in Gemeinbesitz befindlichen Wälder kaum privatisiert, sodass sich heute der grösste Teil des Waldareals in Gemeinde- oder Genossenschaftsbesitz befindet. 1842 wurde das herrschaftliche Holzschlagrecht in den Alpwäldern abgelöst, 1848 die Wald- und Holzfron und 1869 der Neugereutschilling abgeschafft. Ein bis heute bestehender Überrest der Nutzung des Waldes als Versorgungswald ist das Recht zum Bezug von Bau- und Brennholz im Rahmen des Gemeindenutzens (Losholzbezug).

Nachdem 1838 ein Waldamt geschaffen worden war, erging 1842 die erste moderne Waldordnung. Dieser folgte jene von 1865, die unter zahlreichen Anpassungen, etwa 1896, 1903 und 1957, in ihren Grundzügen bis heute fortwirkt. Sie unterstellte alle Wälder der Oberaufsicht des Staats, richtete eine staatliche Forstverwaltung ein, formulierte ein Bestandserhaltungsgebot und liess Ausrodungen nur mit staatlichen Genehmigungen zu.

Im Gefolge des verbesserten Hochwasserschutzes ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert kam es zu einem abermaligen Rodungsschub, indem Rheinauenwälder in Agrarflächen umgewandelt wurden. Zu einer gewissen Kompensation führte nach 1950 die Wiederbewaldung aufgegebener Alpweiden. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts setzte ein Umstellungsprozess auf eine naturnahe Waldwirtschaft ein. Ein Markstein war die Aufgabe der Kahlschläge 1948. An deren Stelle trat der Femelbetrieb, bei welchem in einem Waldareal nur einzelne Bäume gefällt werden. Im Zug der Intensivierung des Autoverkehrs und der Einengung des Lebensraums durch die zunehmende Überbauung gewann in den letzten Jahrzehnten die Erholungswirkung des Waldes zunehmend an Bedeutung. Dieser Umstand wie auch die ökologische Bedeutung des Waldes haben im Waldgesetz von 1991 ihren Niederschlag gefunden.
Bernd Marquardt

Charakteristik des Waldareals

Der Wald bedeckte in Liechtenstein 2018 eine Fläche von ca. 6865 ha, was 43 % der Landesfläche entsprach. Die alpine Waldgrenze liegt bei 1850–1900 m ü.M., wobei knapp 70 % der Waldfläche über 900 Meter Meereshöhe liegen. Der Liechtensteiner Wald besitzt ca. zwei Millionen Bäume, davon sind 70 % Nadel- und 30 % Laubhölzer. Die häufigste Baumart ist mit 51 % die Fichte, auf dem zweiten Platz folgt mit 13,5 % die Buche. In Liechtenstein gibt es eine grosse Vielfalt verschiedenster Waldgesellschaften auf kleinstem Raum. Im Rheintal finden wir ein sehr ozeanisches Klima, im Regenschatten des Dreischwesternmassives dagegen kontinentalere Bedingungen, was die Entwicklung verschiedener Waldgesellschaften zur Folge hat. Die noch vorhandene Naturnähe der Waldbestände bildet die wichtigste Grundlage für eine Reservatssausscheidung.

Das 1992 publizierte Inventar der Naturvorrangflächen im Fürstentum Liechtenstein weist im darin enthaltenen Waldinventar 51 Waldgesellschaften aus. Die buchenwaldbetonten Waldgesellschaften machen über 40 % der Waldfläche aus, weitere 12 % bilden die Tannen-Buchenwälder. Die natürlichen Buchenwälder sind vor allem an den Rheintalhängen dominant. Hier beträgt allerdings der Anteil standortsfremder Baumarten (meist Fichte) rund 60 %. Die nicht buchenfähigen Laubwälder nehmen einen Flächenanteil von 5 % ein. In den oberen Lagen schwindet allmählich die Buche mit Übergängen zum Buchen-Tannenwald und Tannenwald, der etwa 10 % der natürlichen Waldvegetation einnimmt. Die natürlichen Fichtenwälder ihrerseits bilden den grössten Anteil an Waldgesellschaften ab 1200 m ü.M. Die Föhrenwälder nehmen ihrerseits etwa 7 % Flächenanteil ein, besonders an kleinflächigen Spezialstandorten.

Waldreservate und Sonderwaldflächen

Das 1991 erlassene Waldgesetz ermöglichte erstmals die Ausscheidung von Waldreservaten durch die Regierung im Einvernehmen mit dem Waldeigentümer. Die entsprechende Vollzugsverordnung der Regierung folgte im Jahr 2000. Darin wurden zehn Waldreservate mit einer Fläche von 1322,1 ha ausgeschieden. Dabei handelt es sich gemäss Verordnung um Waldflächen mit vorrangiger Natur- und Landschaftsschutzfunktion, welche der ungestörten, dynamischen Entwicklung überlassen werden und in denen jegliche menschliche Aktivitäten unerwünscht sind, mit Ausnahme insbesondere der Jagd. Das mit Abstand grösste Waldreservat Garsälli-Zegerberg umfasst 924,8 ha. Ausserdem wurden 23 Sonderwaldflächen im Umfang von 557,1 ha ausgeschieden. Auch bei den Sonderwaldflächen hat die Natur- und Landschaftsschutzfunktion Vorrang, menschliche Eingriffe bleiben aber erlaubt. Jedoch sind für den Schutz besonders schützenswerter Pflanzen- und Tierarten, für die Erhaltung ökologisch besonders wertvoller Waldformen mit bedeutsamen Naturwerten oder Kulturzeugnissen sowie für die Beibehaltung spezieller waldbaulicher Betriebsarten jeweils spezifische Schutz- und Waldentwicklungsziele und entsprechende Massnahmen zu definieren.

Nach einer Reduktion der Reservatsflächen im Jahr 2007 verblieben noch neun Waldreservate mit freier Dynamik im Umfang von 1274,0 ha und 22 Sonderwaldflächen mit 478,6 ha. Zusammen macht dies 25,5 % der Liechtensteiner Waldfläche aus. Das ist im europäischen Vergleich ein beachtlicher Prozentsatz. Sehr naturnahe Waldgebiete befinden sich in den oberen Lagen, so im Saminatal oder am Zegerberg, wo aufgrund des hohen Naturschutzinteresses grösserflächig Waldreservate ausgeschieden wurden.
Mario F. Broggi

Quellen

Literatur

Von der Redaktion nachträglich ergänzt

Externe Links

Zitierweise

<<Autor>>, «Wald», Stand: 17.4.2023, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.

Medien

Strukturierter Buchen-Tannen-Fichtenwald oberhalb von Nendeln (Foto: Mario F. Broggi)
Die Waldgesellschaften in Liechtenstein im Jahr 2010. Aufgrund der starken Vertikalstufung und der Lage an der Grenze der Westalpen zu den Ostalpen zeichnet sich der Liechtensteiner Wald trotz geringer Landesfläche durch eine grosse Vielfalt aus. Fläche und Struktur des Waldes ändern sich langfristig in einem dynamischen Prozess, u.a. infolge des Klimawandels (Karte: Amt für Wald, Natur und Landschaft; Nemos Anstalt, Philip Thöny, Vaduz).
Waldordnung des Grafen Franz Wilhelm I. von Hohenems für die Grafschaft Vaduz von 1658 (Gemeindearchiv Schaan, U 27).
Holzfällergruppe im Plattawald, oberhalb von Triesen, um 1928 (Kanonikus Frommelt Stiftung, Schaan, Foto: Anton Frommelt). Der Plattawald wurde 1927–1933 abgeholzt. Die von der Gemeinde Triesen im Akkord vergebenen Arbeiten brachten in der Zeit hoher Arbeitslosigkeit willkommene Beschäftigung.
Fichten-Monokultur-Pflanzungen, wie sie nach Kahlschlägen bis zum Zweiten Weltkrieg üblich waren, dienen einseitig der Holzproduktion, bieten aber keine Lebensräume für eine vielfältige Flora und Fauna. Sie sind, noch verstärkt durch den Klimawandel, anfällig für Beeinträchtigungen durch Sturm und Borkenkäfer (Foto: Mario F. Broggi).
Schutzwald oberhalb von Planken: Ein gesunder Waldbestand schützt Siedlungen vor Steinschlag und Schneelawinen (Liechtensteinisches Landesarchiv, CDB 764/006).