
Walser (Walliser)
Autor: Kurt Wanner | Stand: 31.12.2011
Als Walser werden die alemannischstämmigen Kolonisten bezeichnet, die im 12. und 13. Jahrhundert ihre Heimat im obersten Rhonetal (Wallis) verliessen und sich weit zerstreut im damals romanischsprachigen Grossraum der Alpen ansiedelten. Im Lauf des 14. Jahrhunderts verbreiteten sie sich in sekundären Schüben von den Erstkolonien aus weiter und gründeten zwischen den romanischen Vorbewohnern und abseits von ihnen deutschsprachige Niederlassungen.
Der Siedlungsraum der Walser überspannt die zentralen Alpentäler in einer Länge von 300 km zwischen Les Allamands (nahe bei Chamonix, F) im äussersten Westen und Galtür (Tirol) im Osten. Nach Norden gelangten die Walser ins Berner Oberland, nach Süden in die Täler jenseits des Monte Rosa und ins italienische Tocegebiet, wo Siedlungen wie Gressoney (I) und Bosco Gurin (TI) entstanden. Nach Osten führte um 1200 ein Schub ins Urserental und über den Oberalppass ins Tavetsch mit Endpunkt in der Sprachinsel Obersaxen (GR). Bedeutsamer waren zwei spätere Wanderzüge nach Graubünden: Der eine führte zur Gründung der Stammkolonie im Rheinwald (Lehensbrief 1286), von der aus das Safien- und das Valsertal und vermutlich auch das Avers erschlossen wurden. Ein zweiter Zug begründete die Muttersiedlung Davos (Lehensbrief 1289), von wo aus das innere Schanfigg (u.a. Arosa) und das oberste Prättigau mit Klosters walserisch wurden. Im St. Galler Oberland entstanden Walser-Niederlassungen im Calfeisental, Weisstannental und an den linksseitigen Hängen des St. Galler Rheintals. Um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert erreichten Walliser Siedler die Bergflanken rechts des Rheins: in Liechtenstein am Triesenberg und vermutlich auf Planken, in Vorarlberg im Laternsertal und auf Damüls, von wo aus sie das Grosse Walsertal durchsetzten und das Gericht Tannberg mit Lech sowie das Kleine Walsertal besiedelten. Über Einsprengsel im Montafon reichte die Zuwanderung bis nach Galtür im Tirol.
Als Ursachen der Wanderbewegung wurden die Überbevölkerung des Oberwallis, Naturkatastrophen, Klimaveränderungen mit grosser Trockenheit im Rhonetal, Seuchenzüge und Kriegswirren vermutet. Eine zentrale Rolle spielten die politisch-sozialen Verhältnisse, die es den oft mehrfach unter sich verschwägerten Feudalherren erlaubten, ihre kriegsgewohnten Untertanen im Zug des Landesausbaus in unwirtlichen Gegenden anzusiedeln. Diese geplanten, herrschaftlich organisierten Ansiedlungen bezweckten eine Festigung der Herrschaftsansprüche, die Vermehrung der Bevölkerung, die Rodung von Nutzflächen oder den Unterhalt und die Kontrolle alpiner Passübergänge. In Verträgen mit den rätischen Herren, die sie herbeigerufen hatten, sicherten sich die Walser als Entgelt für die kolonisatorische Tätigkeit eine Rechtslage, die sie zu einem privilegierten Stand zwischen den vielen Hörigen und den wenigen Vollfreien machte. In den Lehens- und Freiheitsbriefen, welche die ersten Kolonisten von den Freiherren von Sax-Misox (Rheinwald 1274) und von Vaz (Davos 1289) erhielten, wurden ihnen die volle persönliche Freiheit ohne Abgaben an den Herrn und die freie Erbleihe, durch die sie das gepachtete Gut vererben und verkaufen konnten, zugestanden, wobei sie einen festen Zins für alle Zeiten zu mässigen Bedingungen aushandeln konnten. Dazu kam das Recht der Selbstverwaltung in einer eigenen Gerichtsgemeinde mit freier Ammannwahl und der durch den Gütereinsatz des Herrn gesicherte Geleitschutz. Das sogenannte Walser-Recht ist nichts Singuläres, es wurde auch andernorts den Neusiedlern als Kolonistenrecht zugesprochen.
Über den Vorgang der Walser-Ansiedlung in Triesenberg ist wenig Gesichertes bekannt. Der Beginn der Walser-Kolonisation im Gebiet der späteren Grafschaft Vaduz wird um 1300 angenommen. Die erste urkundliche Erwähnung von Walser-Siedlungen auf Triesenberg (Parmezg, Guflina, Gnalp, Masescha) erfolgte in einem Schiedsspruch von 1355, gemäss dem sieben «Walliser» einen bereits zuvor innegehabten Teil des Alpgebiets bei Malbun von den Schaanern als Erblehen übernahmen. 1363 ist die Anwesenheit von Walsern im Bergebiet oberhalb von Planken (→ Saroja) erwähnt. Ob es sich bei Triesenberg (und evtl. Planken) um Sekundärsiedlungen handelt oder ob die Besiedlung direkt vom Wallis aus erfolgte, lässt sich nicht nachweisen; eine sprachliche Verwandtschaft mit der Stammkolonie Davos und den Walser-Siedlungen im Prättigau ist offensichtlich. Eine aktive Rolle der Grafen von Werdenberg-Sargans bei der Ansiedlung und die Gewährung von Kolonistenprivilegien werden vermutet, ein Beleg fehlt aber ebenso wie ein Schirm- und Freiheitsbrief. Ihre bevorzugte Rechtsstellung verloren die Triesenberger Walser allmählich; nach 1600 waren sie den übrigen Untertanen gleichgestellt.
Bis ins 20. Jahrhundert haben die Walser manches von ihrer angestammten Eigenart erhalten. Auffälligstes Merkmal ist die Sprache, ihre inmitten einer romanischen Umwelt durch Jahrhunderte bewahrte höchstalemannische Mundart, die in Verbindung mit dem Wallis steht. Auffällig sind der ungewöhnliche Vokalreichtum, die Verschiebung des «s» zu «sch» (sie = schii, uns = ünsch/insch, Füchse = Függsch), die Aufhellung der Laute (Haus = Hüüs, drei = drii), die Wandlung von -nk zum weicheren -ch (trinken = triichä, treiche), das «ei» bei Verben (sie geht = schii geit, er steht = är steit), Eigenarten in der Verkleinerungsform (Häuschen = Hüüschi, Mädchen = Meitjä, Kühlein = Chüetschi). Walser-Deutsch ist eine durch auffällige Eigenart, hohe Altertümlichkeit, örtliche Neuerungen mit romanischen Einschlägen gekennzeichnete, in den einzelnen Kolonien verschiedenartig fortentwickelte Bergmundart, das wesentlichste Erbgut, das die Rhonetalauswanderer zu bewahren vermochten.
Nach älteren Auffassungen waren die Walser bei ihren neuen Niederlassungen den Berghöhen über den Talgründen zugestrebt und hatten ihre Häuser nach altgermanischer Art aus Holz gebaut; heute weiss man, dass Natur und Not sie dazu zwangen. Den zur Niederlassung herbeigerufenen Walsern konnten die Dynasten nur wenig genutzte Landstriche zuweisen; die gut bebaubaren Flächen waren von den alteingesessenen Bewohnern besetzt. Die Neusiedler mussten sich mit Berglagen zufrieden geben, die häufig über 1500 m ü.M. lagen. Da es hier wenig ebenen Boden gab, der zur Dorfgründung einlud und da sie für ihre Wirtschaftsweise einen breiten Umschwung benötigten, waren die Walser gezwungen, sich in verstreuten Hofsiedlungen niederzulassen. Diese Streusiedlungen waren durch Natur, Wirtschaft und begrenzte Lehen bedingt. Wo die topografischen Verhältnisse dazu zwangen, schlossen sie ihre Häuser dorfartig zusammen. Auch der Hausbau ist aus den Bedingungen der Umwelt und dem viehwirtschaftlichen Bauernbetrieb zu erklären. Es gibt kein «Walserhaus», das man in allen Kolonien antreffen kann. Walser-Häuser sind meist Holzbauten, weil in der waldreichen Landschaft Holz das gegebene, traditionelle Material war.
Die Walser mussten ihre Existenz bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts einseitig auf eine bergbäuerliche Viehwirtschaft ausrichten, in einigen Passregionen ergänzt durch die Säumerei. Dies führte zur Entwicklung gleicher oder ähnlicher Arbeitsweisen und -geräte (gekrümmte Sense, System der Heutrocknung und des Heuzugs im Winter, Holzgeräte in der Milchverarbeitung). Die bis 1888 auch in Triesenberg übliche, dann durch rentablere Genossenschaftsbetriebe ersetzte private Einzelsennerei galt als typisch walserisch. Erhalten haben sich in Triesenberg als «Beigla» bezeichnete Alprechtshölzer.
Das gemeinwalserische Brauchtum ist spärlich. Es finden sich einige Motive und Gestalten in Sagen wie die Wildmannli, die Doggi oder die Totenzüge. Gemeinsam war den Walsern die Verehrung des hl. Theodul (auch in der Kapelle St. Theodul auf Masescha/Triesenberg).
Da die ersten Siedler noch keine Familiennamen trugen, lassen sich kaum genealogische Rückschlüsse zur Urheimat herstellen. Vom 14. Jahrhundert an sind die heute noch gebräuchlichen Familiennamen nachweisbar, die regional als typisch walserisch gelten. In Liechtenstein sind dies u.a. Beck, Bühler, Eberle, Frommelt, Gassner, Hilbe, Lampert, Nägele, Ospelt, Pfeiffer, Schädler, Schlegel, Sele.
Was die Walser heute in ihren rund 150 Siedlungen zusammenhält, ist das Bewusstsein der gemeinsamen Herkunft und Sprache. Letztere ist heute v.a. bei den italienischen Walsern gefährdet, teilweise bereits ausgestorben. Tourismus, neue Medien und Schule tragen auch in den anderen Walser-Regionen zu einer starken Sprachvermischung bei. Die Internationale Vereinigung für Walsertum mit Sitz in Brig (VS) sowie zahlreiche regionale Walser-Vereinigungen setzen sich seit 1960 für die Erhaltung und Förderung von Sprache und Volkstum der Walser ein. Seit 1962 findet alle drei Jahre ein internationales Walser-Treffen statt, so 1965, 1980 und 2010 in Triesenberg.
Literatur
- Max Waibel: Unterwegs zu den Walsern in der Schweiz, in Italien, Frankreich, Liechtenstein und Vorarlberg, Frauenfeld 2003.
- Paul Zinsli: Walser Volkstum in der Schweiz, in Vorarlberg, Liechtenstein und Italien. Erbe, Dasein, Wesen, Chur 72002.
- Bruno Wickli: Die Walser am Triesenberg und ihre Wirtschaftsform, in: Bausteine, Bd. 1, Zürich 1999, S. 371–410.
- Werner Meyer: Das Hochmittelalter, in: Handbuch der Bündern Geschichte, Chur 2000, S. 138–193, bes. 174–178.
- Enrico Rizzi: Geschichte der Walser, Anzola d'Ossola 1993.
- Josef Eberle: Walser Heimatmuseum Triesenberg. Museumsführer, Triesenberg 1992.
- Engelbert Bucher: Walsersiedlungen in Liechtenstein. Werden und Entwicklung, Buchs 1992.
- Louis Carlen: Walserforschung 1800–1970. Eine Bibliographie, Visp 1973.
- Hans Kreis: Die Walser. Ein Stück Siedlungsgeschichte der Zentralalpen, Bern/München 21966.
Medien
Zitierweise
<<Autor>>, «Walser (Walliser)», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 9.2.2025.