
Wohnungsbau
Autoren: Julia Frick, Fabian Frommelt | Stand: 31.12.2011
Wohnungsbau ist derjenige Sektor der Bauwirtschaft, der sich der Erstellung von Wohnraum widmet, in Abgrenzung zu Bauten mit gewerblichem oder öffentlichem Zweck. Als Träger des Wohnungsbaus treten neben Privatpersonen auch Gemeinden (sozialer Wohnungsbau) sowie Unternehmen, Pensionskassen usw. auf. Der Wohnungsbau umfasst Ein- und Mehrfamilienhäuser, Geschosswohnungen oder ganze Wohnsiedlungen, Eigentümer- und Mietwohnungen. Er ist eng verbunden mit der Demografie und den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung, der Wirtschaft und dem Sozialstaat.
Der Wohnungsbau war im ländlichen Liechtenstein bis ins 19. Jahrhundert weitgehend auf Bauernhäuser beschränkt. Andere Wohnformen gab es nur in einer sehr schmalen Oberschicht (→ Wohnen). Der Wohnungsbau wurde seit dem Mittelalter durch gewohnheitsrechtliche Regeln eingeschränkt, etwa durch das Nachbarrecht und das Hofstattrecht (Bindung des Hausbaus an den Besitz einer berechtigten Hofstatt). Ab 1806 bestand in ganz Liechtenstein ein Hausbauverbot. Mit dessen Aufhebung um 1840 folgte eine Phase erhöhter Bautätigkeit. Schon ab 1835 entstanden neuartige, gemauerte Zweifamilienwohnhäuser. Nach 1873 errichteten Textilfabrikanten in Vaduz und Triesen erste Arbeiterwohnhäuser. Bei späteren Wohnbauten von Betrieben und Pensionskassen trat die soziale Komponente zunehmend hinter Kapitalanlage- und Renditeüberlegungen zurück. Nicht am Wohnungsbau beteiligt waren in Liechtenstein Wohnbaugenossenschaften.
Entgegen dem allgemeinen Konjunkturverlauf war die Wohnbautätigkeit in den krisenhaften 1930er Jahren mit einem durchschnittlichen Zuwachs von 41 Wohnhäusern jährlich (1931–37) deutlich höher als noch 1925–29 (22 Häuser), wurde aber im Zweiten Weltkrieg u.a. durch Zementmangel gebremst. In der zweiten Jahrhunderthälfte folgte der Wohnungsbau stärker der Konjunktur und war wie das ganze Baugewerbe eine Stütze der Wirtschaft und besonders der Beschäftigung. Nach einem Höhepunkt in den 1960er Jahren ging das Wachstum des Wohnungsbaus in der Rezession von 1974–76 deutlich zurück und sank in den 1980er und 90er Jahren weiter auf ein mit über 2 % jährlich nach wie vor hohes Niveau.
Der Wohnungsbau ist v.a. durch Zuwanderung und steigendes Wohlstandsniveau bedingt, was auch Bodenpreise und Mieten steigen liess. Hinzu kamen meist tiefe Zinsen für Hypothekaranlagen und (Bau-)Kredite sowie die staatliche Wohnbauförderung: Die öffentliche Hand fördert in Liechtenstein das private Wohneigentum, bietet aber selbst kaum sozialen Wohnraum an (abgesehen von Heimen). Hatte die staatliche Subventionierung des Wohnungsbaus 1937–40 v.a. der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gedient, zielte das 1958 erlassene Eigenheimförderungsgesetz ganz bewusst und nicht unideologisch auf die Stärkung des Wohneigentums gegenüber Mietverhältnissen. Aufgrund des mehrfach revidierten, seit 1977 allgemeiner der Wohnbauförderung dienenden Gesetzes gewährt der Staat in Liechtenstein wohnhaften Landesbürgern (seit 1993 auch Bürgern von EWR-Staaten und seit 2004 Schweizern) zinslose Darlehen und Bausubventionen.
Entsprechend standen im Jahr 2000 95 % aller Gebäude im Eigentum von Privatpersonen, nur 2 % gehörten dem Staat und den Gemeinden, die restlichen 3 % teilten sich Bau-/Immobiliengesellschaften, Versicherungen, Personalvorsorgestiftungen usw. 72 % der Wohngebäude waren Einfamilienhäuser, 19 % Zwei- und Mehrfamilienhäuser und 10 % andere Wohngebäude. Trotzdem ist der Anteil der Mietwohnungen an den besetzten Wohnungen 1960– 2000 von 26 % auf 48 % gestiegen. Die staatliche Wohnbauförderungspolitik trug zusammen mit der wenig griffigen Raumplanung zur Zersiedelung bei, auch wenn der Staat seit 1965 das verdichtete Bauen fördert.
Quellen
- Statistisches Jahrbuch Fürstentum Liechtenstein 1977–.
Literatur
- Christoph Maria Merki: Wirtschaftswunder Liechtenstein. Die rasche Modernisierung einer kleinen Volkswirtschaft im 20. Jahrhundert, Zürich/Triesen 2007, S. 112–120.
- Bauen für Liechtenstein. Ausgewählte Beiträge zur Gestaltung einer Kulturlandschaft, hg. von Patrik Birrer, Redaktion: Patrik Birrer, Hansjörg Frommelt, Jürgen Fränzer, Vaduz 2000.
- Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928–1939, Bd. 1, Vaduz/Zürich 1997, 22000, S. 151–153.
- Mario F. Broggi: Der Landschaftswandel im Talraum des Fürstentums Liechtenstein. Der Einfluss von Siedlungsentwicklung und Landnutzung auf die Landschaft aus raumplanerisch-ökologischer Sicht, dargestellt am Beispiel des Alpenrheintals im Fürstentum Liechtenstein, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 86 (1986), S. 7-325, hier S. 244–248.
- Josef Büchel: Zur liechtensteinischen Bauordnung, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 32 (1932), S. 41–52.
Von der Redaktion nachträglich ergänzt
- Cornelia Herrmann: Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechtenstein, hg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bd. 1: Das Unterland, Bern 2013, Bd. 2: Das Oberland, Bern 2007 (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Neue Ausgabe, Bde. 122 und 112).
Medien
Zitierweise
<<Autor>>, «Wohnungsbau», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 16.2.2025.